- DAZ.online
- News
- Spektrum
- Welche antibiotischen ...
Computergestützte Datenanalyse
Welche antibiotischen Substanzen gab es schon im Mittelalter?
„The Lylye of Medicynes“ – Arzneien aus dem Mittelalter
Die Suche nach wirksamen antibiotischen Substanzen in alten Medizinmanuskripten weitete das „Ancientbiotics Team“ auf Texte aus dem Spätmittelalter aus. „The Lylye of Medicynes“, ein Medizinmanuskript aus dem 15. Jahrhundert, bildet die Grundlage für die neuesten Forschungen des Teams. Es handelt sich um die einzige existierende mittelenglische Übersetzung des von Bernard of Gordon in Latein verfassten Medizinbuches „Lilium Medicinae“ aus dem Jahre 1305. Es wird in der „Bodleian Library“ in Oxford verwahrt.
Das bei Historikern sehr bekannte Medizinbuch enthält 360 Rezepturen mit über 3000 Zutaten zur Behandlung von 113 unterschiedlichen Krankheitsbildern. Das Forscherteam, inzwischen aus Mitgliedern der University of Pennsylvania und der University of Warwick in Großbritannien bestehend, konzentrierte sich bei ihrer Suche auf externe Infektionen. Diese werden in dem Manuskript mit 30 unterschiedlichen Symptomen wie geöffnete Haut, Rotheit, schwarze Krusten, unschöne Gerüche, Heißgefühl oder Brennen beschrieben. Die Rezepturen sind sämtlich in einem Standardformat verfasst – beginnend mit der Applikationsart (z.B. Salbe, Sirup, Pflaster), über die Krankheitsphase, in der behandelt werden soll, und endend mit der Zutatenliste. Schwierigkeiten ergeben sich durch die häufig fehlenden exakten Dosierungen der einzelnen Wirkstoffe und die Verwendung unterschiedlicher Begriffe für die gleiche Zutat. So fand das Forscherteam zum Beispiel für Fenchel allein sechs verschiedene Bezeichnungen.
Datenanalyse erschließt Mittelaltermedizin
Eine Fragestellung des „Ancientbiotics Teams“ war, ob es möglich ist, potente antibiotische Wirkstoffe in den überlieferten Rezepturen zu finden, deren Wirksamkeit in Studien belegt werden kann? Eine andere Fragestellung war, inwiefern mittelalterliche Medizin rationalen Behandlungsmustern folgte? Um eine Rationalität belegen zu können, analysierten die Wissenschaftler die Texte mit Hilfe von computergestütztem Datamining. Es handelt sich um die Anwendung statistischer Methoden, mit deren Hilfe große Datenbestände hinsichtlich ihrer Verbindungen untereinander untersucht werden können.
Im Fall des „Lylye of Medicynes“ wurden die Inhaltsstoffe der Rezepturen standardisiert, d.h. der Computer hat zum Beispiel „gelernt“, dass die sechs Begriffe für Fenchel letztlich alle nichts anderes als Fenchel bedeuten. Die eingegebenen Zutaten wurden dann hinsichtlich bestehender Netzwerke untersucht und unter Zuhilfenahme von Standard-Algorithmen auf Gemeinsamkeiten analysiert. Ergebnis: Die Mittelalterrezepturen weisen eine deutliche hierarchische Struktur auf. Einzelne Wirkstoffe der Rezepturen wie Honig, Essig und Granatapfelblüten kommen häufig vor und spielen eine dementsprechend wichtige Rolle im Netzwerk. Insgesamt stellten die Wissenschaftler fest, dass die mittelalterlichen Medizintexte zumindest teilweise einem rationalen medizinischen Vorgehen folgten.
Suche nach antibakteriell wirksamen Rezepturen
Auf der Suche nach antibakteriellen Wirkstoffen untersuchte das Forscherteam Rezepturen mit exemplarischen Wirkstoffkombinationen. So wurde ein Mundwasser analysiert, das laut Angaben unter anderem gegen Ulzerationen, Pusteln, Schwellungen und Entzündungen eingesetzt wurde. Als Rezepturbestandteile wurden Sumach, Ochsengalle, Granatapfelrinde, Granatapfelblüte, Harz von Pistacia lentiscus, Harz des Weihrauchstrauches, Honig und Essig angegeben. Wahrscheinlich erscheint den Forschern zudem eine Mischung der Rezeptur mit Nitrit und Muttermilch.
Um die Wirksamkeit einer solchen Rezeptur in einem ersten Schritt einordnen zu können, wurden die einzelnen Bestandteile in Datenbanken wie dem Cochrane Database of Systematic Reviews eingegeben. Heraus kamen sehr unterschiedliche Ergebnisse. Eine gute Evidenz hinsichtlich bioaktiver Wirkstoffe ließ sich für Honig, Essig, Muttermilch und Ochsengalle feststellen. So besteht Honig zwar in erster Linie aus Glucose, Fructose, Saccharose (1 Prozent) und Wasser, aber auch aus Vitaminen, Mineralien, Enzymen, Aminosäuren, Pollen, Hormonen und den antibakteriell wirksamen Inhibinen. Essig wiederum wurde im Mittelalter als Kräuteressig für desinfizierende Einreibungen und zum Schutz gegen die Pest verwendet. Muttermilch ist für ihre antimikrobiellen Eigenschaften bekannt, die auf Bestandteile wie Immunglobuline (IgA) und Enzyme (Lysozym) zurückzuführen sind. Ochsengalle ist bekannt dafür, grampositive Keime hemmen zu können – eine Eigenschaft, die heutzutage allerdings nicht mehr medizinisch genutzt wird.
Weitere Forschung notwendig
Ein vorläufiges Resümee der Forschungsarbeiten des „Ancientbiotics Teams“ ist die Feststellung, dass die Mittelaltermedizin rationalen Vorgaben gefolgt ist – zumindest in Teilen – und dass es einen Schatz bioaktiver Wirkstoffe in den überlieferten Rezeptarien zu geben scheint. Dieser muss allerdings erst gehoben werden. Interdisziplinäre Forschungsarbeiten im Stile des „Ancientbiotics Teams“ könnten dabei hilfreich sein.
Doch es fehlt noch an Studien, die die Wirksamkeit tatsächlich belegen. Ferner fehlen den heutigen Wissenschaftlern die Kenntnisse über die genauen Zusammensetzungen und Anwendungen der Rezepturen, die in der Vergangenheit augenscheinlich „selbstverständlich“ waren. Eine Erkenntnis ist allerdings, dass Kombinationen unterschiedlicher Wirkstoffe häufig wirksamer als die Einzelbestandteile sind. Erklärt werden kann das eventuell durch sich teilweise ergänzende Wirkungsweisen und durch eine Erhöhung der Redundanz, wodurch ein „Ausfall“ einer Substanz durch eine andere ausglichen werden kann. Weiterführende Forschung ist allerdings unerlässlich.
1 Kommentar
es ist beschämend
von norbert brand am 04.10.2018 um 8:06 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.