Astra Zeneca warnt vor Brexit-Folgen

„Dichte Transportwege und doppelte Qualitätskontrollen als Nadelöhr“

Remagen - 16.10.2018, 09:00 Uhr

(Foto: tanoante / stock.adobe.com)

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Gebetsmühlenartig warnen die großen Pharmaverbände seit Wochen und Monaten vor den möglicherweise gravierenden Folgen eines „No deal-Brexits“ für die Arzneimittelversorgung. Ob sie von der „großen Politik“ gehört werden, ist unklar. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung meldet sich jetzt der Chairman von Astra Zeneca, Leif Johansson, mit seiner individuellen Sicht der Dinge zu Wort, kurz vor dem nächsten EU-Gipfel.

„Medikamente sind nicht wie Tomaten oder Autos", stellt der Vorstandsvorsitzende des britisch-schwedischen Pharmakonzerns Astra Zeneca Leif Johansson, in einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.) in London fest. Gut fünfeinhalb Monate vor dem Austritt fordert der Schwede pragmatische Lösungen, um die Brexit-Risiken für seine Branche und die Patienten zu minimieren. Johansson will zwar keine Panik schüren, legt aber trotzdem den Finger in die Wunde.

Angst vor dichten Transportwegen

„Unsere größte Sorge ist, dass die Transportwege nach dem Brexit vorübergehend dicht sind“, sagt der Pharma-Manager. „Deshalb sorgen wir dafür, dass die Medikamente näher bei den Patienten gelagert werden als normalerweise üblich." Die Vorbereitungen hierfür liefen auf Hochtouren, berichtet er. Astra Zeneca und andere Hersteller stocken ihre Lagerhaltung auf dem Kontinent und in Großbritannien auf. 

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Der britische Gesundheitsminister Matt Hancock habe die Pharmaindustrie aufgefordert, in ihrer Medikamenten-Lagerhaltung einen Extrapuffer von sechs Wochen aufzubauen. An diese Empfehlung halte sich auch Astra Zeneca. Für die Hersteller seien die Vorbereitungen auf den Brexit ein Rennen gegen die Zeit, schreibt die F.A.Z.

Unnötige doppelte Qualitätskontrollen und Freigaben

Zu einem weiteren Nadelöhr könnten die Kontrollen und Sicherheitschecks werden, die im stark regulierten Pharmamarkt eine wichtige Rolle spielen. Kommt es zu einem harten Brexit, so würden Qualitätskontrollen von Fertigarzneimitteln und Wirkstoffen, die in Großbritannien vorgenommen werden, in der EU wahrscheinlich nicht mehr akzeptiert, weil UK dann ein Drittstaat ist. So sieht es das harmonisierte Arzneimittelrecht der Union vor. Die Medikamente müssten dann auf dem Kontinent nochmals getestet werden. Sonst dürfen sie in der Europäischen Union nicht vermarktet werden. Die britischen Behörden haben angekündigt, dass sie nach dem Brexit Qualitätskontrollen für Medikamente, die in der EU vorgenommen wurden, vorübergehend weiter akzeptierten werden. Zumindesten die britischen Patienten wäre damit erst mal „aus dem Schneider“.

Plan B für Zweit-Testungen

Nicht so die Patienten in der „Rest-EU“. Der Chairman von Astra Zeneca hofft allerdings, dass sich die Europäische Union ähnlich flexibel verhalten wird: „Eine gegenseitige Anerkennung von Produkttests wäre wichtig", mahnt Johansson. Aber ob die Verantwortlichen in Brüssel sich dazu durchringen können, sei derzeit unklar. Um auf der sicheren Seite zu sein, baue sein Unternehmen Kapazitäten für zusätzliche Qualitätskontrollen im EU-Mitgliedsland Schweden auf. Dort sollen dann gegebenenfalls die zusätzlichen Produkt-Testungen für Importe aus britischer Fabrikation vorgenommen werden.

Problemfälle

Es gebe aber auch Problemfälle, gibt er weiter zu bedenken, wie etwa das Krebsmedikament Zoladex. Astra Zeneca schaffe es nicht rechtzeitig zum Brexit-Termin, dafür separate Produkttests in der EU sicherzustellen. Andererseits könne der Hersteller das wichtige Onkologikum nach eigenen Angaben nicht viele Monate im Voraus in seinen Lagern in Kontinentaleuropa bunkern, weil es nur eine begrenzte Haltbarkeit habe. „Zoladex ist ein schwieriger Fall", sagt Johansson. Im schlimmsten Fall eines harten Brexits wäre das Unternehmen wohl darauf angewiesen, dass die EU britische Qualitätskontrollen weiterhin akzeptiert.

Auf die Frage, ob Astra Zeneca garantieren könne, dass nirgendwo in Europa im nächsten Frühjahr die Medikamente fehlen werden, antwortet Johansson, dass es auf dieser Welt nur wenige Garantien gebe. Gleichwohl versichert er, dass man sein absolut Bestes tun werde, um die Versorgung der Patienten sicherzustellen. 

Hoffnung auf einen geordneten Brexit

Mit einem Jahresumsatz von 22,5 Milliarden Dollar (19,5 Milliarden Euro) und 60 000 Mitarbeitern gehört Astra Zeneca zu den größten europäischen Pharmaherstellern. Seine Therapiebereiche Herz-Kreislauf und Stoffwechsel, Onkologie, Atemwege, Entzündungen und Autoimmunerkrankungen, Neurologische Erkrankungen sowie Infektionen und Impfstoffe unterstreichen, wie breit das Unternehmen aufgestellt ist.

Insgesamt werden die Brexit-Vorbereitungen Astra Zeneca umgerechnet rund 45 Millionen Euro kosten, so Johanssons Einschätzung in der F.A.Z.. Man bereite sich auf alle Eventualitäten vor. Der Astra Zenca Chairman gibt sich jedoch weiter optimistisch: „Der wahrscheinlichste Fall ist aus unserer Sicht immer noch, dass Europa einen geordneten Brexit hinbekommt."

Verständigen sich beide Seiten auf ein Austrittsabkommen, so gäbe es wahrscheinlich eine Zwischenphase , in der Großbritannien an den Binnenmarkt und die Zollunion der EU angebunden bliebe. Nach bisherigen Planungen könnte diese zumindest bis Ende 2020 dauern. „Damit wäre auch die Medikamentenversorgung sichergestellt", meint Johansson.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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