Medikamente im Wasser

Richtige Arzneimittelentsorgung: Umweltministerium setzt auf Apotheker

Berlin - 07.11.2018, 15:00 Uhr

Still ruht der See – wie Gewässer von Arzneimittelrückständen entlastet werden können, dazu hat die Regierung noch wenig konkrete Ideen. (c / Foto: imago)

Still ruht der See – wie Gewässer von Arzneimittelrückständen entlastet werden können, dazu hat die Regierung noch wenig konkrete Ideen. (c / Foto: imago)


Arzneimittelrückstände in der Umwelt sind ein altes, ungelöstes Problem. Vor einigen Tagen fragte die FDP-Bundestagsfraktion, welche Maßnahmen die Regierung zur Entlastung des Ökosystems plane. Der Antwort des Umweltministeriums zufolge will die Regierung unter anderem verstärkt die Bevölkerung aufklären. In dem Zusammenhang verweist das Ministerium auf die Apotheken, die laut Apothekenbetriebsordnung zur Beratung über sachgemäße Medikamentenentsorgung verpflichtet sind.

Viele Debatten, wenige Lösungsansätze – dass Arzneimittelrückstände das Ökosystem gefährden, ist bekannt. Und da der Medikamentenverbrauch aufgrund der demografischen Entwicklung steigt, wird die Umweltbelastung weiter zunehmen. Als besonders gefährlich gelten dabei endokrin wirksame Substanzen wie etwa Hormone. Auch Antibiotika stehen häufig in der Debatte.

Grundsätzlich lässt sich dem Problem auf zwei Wegen begegnen. Zum einen, die Arzneimittelrückstände aus dem Abwasser zu entfernen. Dafür müssten Kläranlagen eine zusätzliche Reinigungsstufe einführen, was kostspielig ist und die Wirkstoffreste auch nicht rückstandlos entfernen würde. Ein anderer Ansatzpunkt ist es, den Medikamenteneintrag in die Gewässer verringern.

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Schädigung des Ökosystems

In den letzten Jahren haben die Grünen diese Thematik wiederholt aufgegriffen. Auch in dieser Legislaturperiode liegt dem Bundestag ein umfangreicher Antrag der Grünen im Bundestag vor, in dem es unter anderem um einen rationaleren Antibiotika-Einsatz geht. Denn die Antibiotikabelastung der Gewässer fördert das Wachstum von multiresistenten Keimen. Einer aktuellen EU-weiten Studie zufolge starben 2015 allein in Deutschland durch solche Erreger rund 2.300 Menschen – europaweit waren es 33.110 Todesopfer. 

Auch die FDP-Bundestagsfraktion sorgt sich um die Umweltbelastung durch Arzneimittelrückstände. Ein besonderes Augenmerk legen die Freien Demokraten dabei auf hormonell wirksame Substanzen. So sei bekannt, dass Östrogene männliche Fische und Frösche verweiblichen können. Doch auch andere häufig verwendete Arzneistoffe könnten die Fauna schädigen – beispielsweise sei nachgewiesen, dass Oxazepam, Propranolol und Diclofenac das Wachstum verschiedener Fischarten sowie des mexikanischen Flohkrebses beeinträchtigen.

Gesamtbilanzierung nicht möglich

In einer kleinen Anfrage wollten die Freien Demokraten vor einigen Tagen wissen, wie hoch das Ausmaß der Gewässerschädigung im Sinne einer Gesamtbilanzierung sei. Und welche Lösungsansätze die Bundesregierung hierzu vorschlage. Aus der Antwort des Bundesumweltministeriums geht hervor, dass die Bundesländer zwar vereinzelte Messungen durchführen. Dabei fielen insbesondere hohe Werte für Röntgenkontrastmittel, Antiepileptika, Blutdrucksenker, Antidiabetika und Schmerzmittel auf. Eine Gesamtbilanzierung lasse sich daraus jedoch nicht ableiten.

Mit diesen Informationen gibt sich Hauptfragestellerin Judith Skudelny, umweltpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, nicht zufrieden: „Wir sehen heute schon Auswirkungen der Hormone in der Umwelt – beispielsweise bei Amphibien und Fischen. Es wäre höchste Zeit, die Gesamtbilanz der Einwirkungen auf die Umwelt zu ermitteln und wirksam dagegen vorzugehen."

Apotheker als Entsorgungs-Coaches

Und was plant die Regierung gegen die Gewässerbelastung zu unternehmen? Aus der Antwort des Ministeriums geht hervor, dass die Pläne dazu erst konkretisiert werden müssen. Vor zwei Jahren sei der sogenannte Stakeholderdialog etabliert worden, der die „ Spurenstrategie des Bundes“ entwickeln soll, deren Maßnahmen bis zum Frühjahr 2019 in vier Arbeitsgruppen ausgearbeitet werden sollen. Dabei soll es unter anderem um Maßnahmen zur Umsetzung der Herstellerverantwortung und zu verstärkten Öffentlichkeitskampagnen zur fachgerechten Entsorgung gehen.

Was die Aufklärung der Bevölkerung betrifft, dazu verweist das Ministerium auf verschiedene Informationsmaterialen des Umweltbundesamtes, die schon jetzt zur Verfügung stehen sowie auf die Verantwortung der Apotheken. „Eine Information und Beratung in den Apotheken über die sachgerechte Entsorgung von Arzneimitteln ist grundsätzlich bereits vorgesehen (§ 20 Absatz 2 der Apothekenbetriebsordnung)“, schreibt der parlamentarische Staatssekretär Florian Pronold (SPD). Für diese Aufgabe sollen die Apotheker durch das Umweltbundesamt offenbar zusätzlich fit gemacht werden: „Darüber hinaus läuft aktuell ein Pilotprojekt, in dem die Apotheken hinsichtlich eines nachhaltigen Umganges mit Arzneimitteln informiert und sensibilisiert werden sollen.“ 

Arzneimittelrücknahmesysteme nicht erforderlich

Kernelemente der Öffentlichkeitskampagne des Umweltbundesamtes sind es, dass Arzneimittelreste nicht über die Toilette, Waschbecken oder Spüle entsorgt werden sollen, sondern über den Restmüll. Es sei denn, in der Packungsbeilage sind gesonderte Vorschriften genannt. Den allermeisten Apothekern dürfte dies bereits bekannt sein. Bis vor zwei Jahren gab es in Apotheken noch Arzneimittelrücknahmesysteme. Die Frage der FDP, ob diese Systeme wieder eingeführt werden sollen, verneinte das Ministerium. Die Entsorgung über den Restmüll ist aus Sicht der Bundesregierung sicher genug.

Falsche Medikamentenentsorgung nicht Hauptursache

Doch welchen Anteil macht eine unsachgemäße Arzneimittelentsorgung durch die Bürger eigentlich aus? Die im kommunalen Abwasser enthaltenen Arzneimittelwirkstoffe stammen zu annähernd 20 Prozent aus Gesundheitseinrichtungen und zu etwa 80 Prozent aus Haushalten. Die Gewässerbelastung durch hormonell wirksame Arzneimittel komme überwiegend durch metabolische Ausscheidungen zustande und nur in geringem Maße durch die nicht sachgerechte Entsorgung. 

„Als einziger Ansatz lässt sich lediglich die Öffentlichkeitskampagne zur richtigen Entsorgung von Arzneimitteln begrüßen. Aus diesem Eintragungspfad gelangt aber lediglich nur ein Bruchteil der Medikamente ins Wasser“, kommentiert Skudelny.

Biologisch abbaubare Wirkstoffe?

Die Liberalen fragten zudem, ob die Regierung plane, „nachhaltigere Arzneimittel“ zu fördern. Mit „nachhaltig“ meint die FDP in dem Zusammenhang, dass vermehrt biologisch abbaubare Wirkstoffe zum Einsatz kommen sollten und bekanntlich schädlichere Wirkstoffe wie Ethinylestradiol, Propranolol, Oxazepam, Diclofenac ersetzen sollten. Das Ministerium verweist hierzu darauf, dass bei der Zulassung von neuen Arzneimitteln die Umweltverträglichkeit der Wirkstoffe geprüft und falls erforderlich, Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden würden.

Beim medizinischen Einsatz bereits zugelassener Arzneimittel stehe jedoch die leitliniengerechte Patientenversorgung im Vordergrund, schreibt das Ministerium. In dem Zusammenhang ist anzumerken, dass biologisch abbaubare Arzneistoffe auch durch menschliche Enzyme rasch inaktiviert werden könnten. Dies könnte die Effektivität für den Menschen allerdings einschränken.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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