Radioligandentherapie

Novartis kauft Rechte an viel versprechendem Prostatakrebs-Wirkstoff

Remagen - 13.11.2018, 16:10 Uhr

Das
Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) hat einen Wirkstoff zur
Radioligandentherapie bei Prostatakrebs entwickelt, jetzt will Novartis das dazugehörige Unternehmen, das die Rechte daran hält, übernehmen. ( r / Foto: Imago)

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) hat einen Wirkstoff zur Radioligandentherapie bei Prostatakrebs entwickelt, jetzt will Novartis das dazugehörige Unternehmen, das die Rechte daran hält, übernehmen. ( r / Foto: Imago)


Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) hat einen Wirkstoff zur Radioligandentherapie bei Prostatakrebs entwickelt, der offenbar das Potential hat, zu einem Blockbuster zu werden. Jetzt legt Novartis für die Übernahme der US-Firma Endocyte, die derzeit die exklusiven Rechte an 177-Lutetium PSMA-617 besitzt, mehr als 2 Milliarden US-Dollar auf den Tisch.

Für eigentlich austherapierte Prostatakarzinom-Patienten steht seit einiger Zeit die 177-Lu-PSMA-Therapie als neue Option zur Verfügung. Sie weckt große Hoffnungen, nicht nur bei den Patienten. Was verbirgt sich dahinter? Die Therapie gehört zu den so genannten Radioligandentherapien. Der Wirkstoff 177-Lutetium PSMA-617 wurde im Deutschen Krebsforschungszentrum und im Universitätsklinikum Heidelberg entwickelt. Die Abkürzung PSMA steht für Prostata-Spezifisches-Membran-Antigen. PSMA ist zwar auch auf der Oberfläche gesunder Prostatazellen vorhanden, sehr viel mehr aber auf Prostatakrebs-Zellen. Im übrigen Körper kommt das Protein dagegen kaum vor. „PSMA ist deshalb ein ideales Zielmolekül für die Diagnostik und zugleich auch für zielgerichtete Therapien von Prostatakrebs“, erklärt der Biotechnologe Matthias Eder vom DKFZ

Das Prostata-spezifische Membranantigen (PSMA) ist das Zielmolekül für den im DKFZ entwickelten Wirkstoff 177-Lutetium-PSMA-61 © PDB, Wikimedia Commons

Seiner Arbeitsgruppe war es gelungen, ein kleines Molekül (PSMA-617) zu entwickeln, das sich mit verschiedenen radioaktiven Substanzen (Radionukliden) markieren lässt. Gebunden an ein schwach strahlendes diagnostisches Radionuklid (z.B. Gallium-68) kann PSMA-617 Prostatatumoren und selbst kleinste Ansammlungen von Prostatakrebszellen in der Positronen-Emissions-Tomografie (PET) sichtbar machen. Markiert mit einem stark strahlenden therapeutischen Radionuklid (hier: Lutetium-177) kann es aber ebenso gezielt Krebszellen vernichten. Über diverse Kopplungen ist es deshalb sowohl für die Krebsdiagnostik als auch für die Krebstherapie einsatzfähig.

177-Lutetium PSMA-617 dockt spezifisch und passgenau an dem Membranantigen PSMA an. Die Krebszellen nehmen den Wirkstoff ins Zellinnere auf, so dass er sich in den Tumoren anreichert und von innen heraus seine tödliche Strahlendosis abgibt. Dies macht die Wirkung der Therapie laut DKFZ besonders präzise und zielgenau. Dabei reicht die radioaktive Strahlung im menschlichen Gewebe nur wenige Millimeter weit. Auch kleine Herde lassen sich damit gut bestrahlen, ohne dass das umgebende Gewebe allzu stark in Mitleidenschaft gezogen wird.

Ermutigende Ergebnisse

Die Therapie kommt in Frage für Patienten mit Tumoren, die ausreichend PSMA auf der Zelloberfläche ausprägen und die auf andere Behandlungen (Hormontherapie, äußere Strahlentherapie oder Chemotherapie) nicht mehr ansprechen. Und sie scheint erfolgreich zu sein. Im Rahmen individueller Heilversuche sollen schon mehr als 1000 Patienten damit therapiert worden sein. Bereits nach den ersten Versuchen im Universitätsklinikum Heidelberg soll der Prostatakrebsmarker PSA durch die Behandlung mit 177-Lutetium PSMA-617 bei etwa 70 Prozent der Patienten stark abgesunken sein. PET/CT-Aufnahmen bestätigten außerdem, dass die Metastasen kleiner wurden oder gar nicht mehr nachweisbar waren

Individuelle Heilversuche in Unikliniken möglich

Nach einem Bericht im Deutschen Ärzteblatt aus dem Jahr 2017 wird die Lutetium-177-PSMA-Radioligandentherapie (Lu-PSMA-RLT), die bislang nicht zugelassen ist, seit rund drei Jahren angewendet. Laut Ärzteblatt wird sie als individueller Heilversuch derzeit in rund fünfzehn bis zwanzig Zentren in Deutschland angeboten, hauptsächlich in Universitätskliniken. Nach DAZ.online-Recherchen gehören dazu zum Beispiel die Unikliniken in München, Bonn, und Frankfurt.

Revolutionäre Bedeutung?

Manche Übersichtsarbeiten sprächen dem Ansatz jetzt schon eine die Therapie revolutionierende Bedeutung zu, heißt es im Deutschen Ärzteblatt weiter. Die Nachfrage sei groß und steige stetig. Kein Wunder also, dass die Pharmaindustrie hier frühzeitig einen Fuß in die Tür bekommen möchte, und das scheint ihr einiges wert zu sein. Nach einer aktuellen Pressemitteilung hatte das Deutsche Krebsforschungszentrum den Wirkstoff zunächst zur präklinischen Entwicklung exklusiv an die ABX GmbH in Radeberg auslizenziert.  

Zulassungsstudie gestartet

2017 hat dann die US-amerikanische Endocyte Inc., die auf die Entwicklung zielgerichteter Krebstherapien spezialisiert ist, die exklusiven Lizenzrechte für die Entwicklung und Vermarktung des Wirkstoffs von ABX erworben und inzwischen eine Klinische Phase III-Studie zur Zulassung gestartet. Die Patienten für die Studie VISION werden gerade rekrutiert. Insgesamt sollen 750 Prostatakrebs-Patienten daran teilnehmen.

Novartis schluckt Endocyte

Am 18 Oktober 2018 gab Novartis dann bekannt, Endocyte übernehmen zu wollen, und damit auch den potentiellen first-in-class-Kandidaten 177-Lutetium PSMA-617, für 2,1 Milliarden US Dollar. Offenbar ist auch schon so gut wie alles „in trockenen Tüchern“. Die Übernahme soll im ersten Quartal 2019 abgeschlossen werden. Der Schweizer Pharma-Riese traue dem Wirkstoff, der frühestens 2021 auf den Markt kommen wird, mehr als eine Milliarde US Dollar Jahresumsatz zu, lässt das DKFZ wissen.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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