Fehlverhalten im Gesundheitswesen

Kassen bleiben Betrügern auf der Spur

Berlin - 29.11.2018, 17:30 Uhr

Betrugsfälle im Arzneimittelbereich haben den Kassen monetär betrachtet den größten Schaden verursacht, die Zahl der Fälle ist aber in anderen Bereichen höher. (Foto: Andrey Popov / stock.adobe.com)

Betrugsfälle im Arzneimittelbereich haben den Kassen monetär betrachtet den größten Schaden verursacht, die Zahl der Fälle ist aber in anderen Bereichen höher. (Foto: Andrey Popov / stock.adobe.com)


Die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen haben es nach wie vor mit Betrügern zu tun. Sie bekommen allerdings auch immer mehr Hinweise auf Fehlverhalten. Laut einem jetzt vorgelegten Bericht des GKV-Spitzenverbandes verfolgten die Kassen 2016/2017 mehr als 40.000 alte und neue Fälle, von denen sie 24.172 abschließen konnten. Die Höhe der gesicherten Forderungen belief sich auf fast 50 Millionen Euro. Monetär betrachtet nehmen die Betrugsfälle im Arzneimittelbereich den größten Anteil ein, die Fallzahlen sind allerdings in anderen Bereichen höher.

Es geht zumeist um Abrechnungen von Leistungen, die gar nicht, anders, unnötigerweise oder mit ungenügender Qualifikation erbracht wurden. Ebenso um Rezeptfälschungen und Leistungsmissbrauch. Das alles kostet die gesetzliche Kranken- und Pflegekassen jährlich Millionen – doch sie holen sich das Geld immer häufiger von den erschlichenen Beitragsgeldern ihrer Versicherten zurück.   

Das zeigt der aktuelle Bericht des Vorstands des GKV-Spitzenverbandes über die Arbeit und Ergebnisse der Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen, der am gestrigen Mittwoch dem GKV-Verwaltungsrat vorgelegt wurde. Der Bericht beschreibt die Schwerpunkte der Arbeit im Berichtszeitraum 2016/2017, führt die Ergebnisse der Tätigkeitsberichte seiner 110 Mitglieder zu einer GKV-Gesamtsicht zusammen und leitet aktuelle Positionen und Forderungen ab. Konkrete Beispiele enthält der Bericht allerdings nicht – es sind vor allem viele Zahlen. Und die haben insgesamt eine Tendenz nach oben.

49 Prozent mehr externe Hinweise

So ist im Vergleich zum Berichtszeitraum 2014/2015 die Zahl der bei den Fehlverhaltensbekämpfungsstellen der Kranken- und Pflegekassen eingegangenen externen Hinweise auf Fehlverhalten von 16.764 auf 25.039 angestiegen. 3371 Strafanzeigen wurden 2016/2017 gestellt. Tatsächlich wächst das Bewusstsein für Fehlverhalten zusehends – nicht zuletzt seitdem die Korruption im Gesundheitswesen im Sommer 2016 strafbar wurde. So räumt auch Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbandes, ein, dass die Zahlen auch ein Beleg dafür seien, „dass die vom Gesetzgeber im letzten Berichtszeitraum geänderten Rahmenbedingungen erste Wirkung entfalten und Fehlverhalten besser erkannt und häufiger aufgedeckt wird“. Doch sie zeigten ebenso, dass es zu viel Fehlverhalten gebe.

Schaut man sich die Leistungsbereiche genauer an, so fällt auf, dass die höchsten Fallzahlen im Pflegebereich liegen. 4228 Fälle in diesem Bereich konnten 2016/2017 abgeschlossen werden – 2681 davon betreffen die häusliche Krankenpflege. Die „gesicherten Forderungen“ in diesem Bereich belaufen sich auf gut vier Millionen Euro. Darunter sind solche Forderungen zu verstehen, die unanfechtbar festgestellt wurden. Über alle Bereiche hinweg wurden über den zweijährigen Berichtszeitraum 24.172 Fälle abgeschlossen und gut 49 Millionen Euro an Forderungen gesichert, die wieder an die Solidargemeinschaft zurückfließen – mehr als 7 Millionen Euro mehr als im vorangegangenen Berichtszeitraum. Im Bereich der Arzneimittel konnten 2480 Fälle abgeschlossen worden; die Schadenssumme ist hier jedoch mit mehr als 13 Millionen Euro die anteilig höchste.  

GKV-Spitzenverband
Die Kassen können sich zunehmend Forderungen sichern – das heißt allerdings noch nicht zwingend, dass sie das Geld auch wiedersehen.

Nicht jeder Schaden kann reguliert werden

Kiefer verweist allerdings darauf, dass die zusammengeführten Kennzahlen des GKV-Spitzenverbandes allein noch kein vollständiges Abbild der gesetzlichen Krankenversicherung zeigen. „Die Bekämpfung von Fehlverhalten bei niedergelassenen Ärzten und Zahnärzten im Gesundheitswesen ist eine originäre Aufgabe von deren Institutionen. Die Fehlverhaltensberichte in diesen Bereichen werden von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung zusammengeführt.“ Zudem ist nach wie vor von einem erheblichen Dunkelfeld auszugehen.  

Der GKV-Spitzenverband betont, dass häufig Hinweise von Insidern ausschlaggebend seien, um Fehlverhalten, Abrechnungsbetrug oder Korruption aufdecken zu können. Als Beispiel nennt er in seiner Pressemitteilung den Fall des Bottroper Zyto-Apothekers. Diesen zieht der Verband auch heran, um die Schwierigkeiten bei der Schadensregulierung zu verdeutlichen: Die Staatsanwaltschaft sei hier von einer Schadenssumme für die Krankenkassen in Höhe von über 50 Millionen Euro ausgegangen. Das Landgericht habe den Apotheker schließlich wegen Abrechnungsbetrug zulasten der GKV in Höhe von 17 Millionen Euro verurteilt. Ob solche hohen Schäden aber jemals reguliert werden könnten, sei offen, so der GKV-Spitzenverband. Die finanzielle Schadenswiedergutmachung scheitere meist daran, dass schlicht „nichts zu holen“ sei, etwa wegen Insolvenz.

Besserer Whistleblower-Schutz und mehr Schwerpunktstaatsanwaltschaften

Um künftig noch besser Fehlverhalten vorbeugen und bekämpfen zu können, stellt der GKV-Spitzenverband einige Forderungen auf. Unter anderem spricht er sich für einen besseren Schutz für Whistleblower auch. Zudem seien mehr Schwerpunktstaatsanwaltschaften nötig, um die komplexen Sachverhalte effektiv bearbeiten zu können. Lediglich in Hessen, Thüringen, Bayern und Schleswig-Holstein gebe es bislang solche spezialisierten und landesweit zuständigen Staatsanwaltschaften.

Apotheker im Korruptionsstrafrecht zu unrecht ausgespart?

Der Vorstand des GKV-Spitzenverbandes nutzt den aktuellen Bericht zudem für Kritik am noch vergleichsweise neuen Korruptionsstrafrecht. So sei die Entscheidung des Gesetzgebers, Apotheker nicht strafrechtlich zu verfolgen, obwohl sie für die Abgabe bestimmter Arzneimittel vom Hersteller Sonderrabatte oder andere Vergünstigungen bekommen, „bei genauer Analyse nicht nach- vollziehbar“. Ein Beispiel dafür seien Arzneimittelrabatte, für welche die Kassen zunehmend mehrere Rabattverträge für den gleichen Wirkstoff abschließen. „Um mehr von seinem Rabattarzneimittel abzugeben, könnte eines dieser Unternehmen Apothekerinnen und Apotheker bestechen, ohne eine strafrechtliche Verfolgung fürchten zu müssen“, heißt es im Bericht.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


Diesen Artikel teilen:


2 Kommentare

konstruiert

von Gerrit Linnemann am 30.11.2018 um 12:31 Uhr

„Um mehr von seinem Rabattarzneimittel abzugeben, könnte eines dieser Unternehmen Apothekerinnen und Apotheker bestechen, ohne eine strafrechtliche Verfolgung fürchten zu müssen“, heißt es im Bericht.

So ein Blödsinn, statt Probleme zu konstruieren, sollten die Kassen sich lieber mal um die Lieferbarkeit ihrer eigenen Rabattverträge kümmern...

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Die größten Betrüger ...

von Dominik Müller am 30.11.2018 um 10:01 Uhr

... sind immer noch die KK und ihre Retaxstellen, welche ja eigentlich für beide Seiten arbeiten sollen, habe ich mir mal sagen lassen, kenne aber keinen Kollegen, welcher mal was bekommen hätte. Wir sollten endlich für ungerechtfertigte Retardationen eine Aufwandsentschädigung bekommen, dann würden die wenigstens nicht versuchen jeden Schei... zu beanstanden und hoffen, uns ist der Aufwand zu viel. 150€ sollten gerechtfertigt sein.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.