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Statistik
Positiver HIV-Schnelltest – wie wahrscheinlich ist die Infektion?
Seit Oktober sind HIV-Schnelltests in Apotheken, Drogerien oder aus dem Netz erhältlich. Statistik-Experten plädieren für verständlichere Aufklärung. Denn auch bei korrekten Herstellerangaben ist die Fehlerquote ihren Berechnungen zufolge höher, als angenommen. Unter anderem wegen dieser Limitationen hatte die ABDA im vergangenen Jahr die Apothekenpflicht für die Selbsttests gefordert.
Bin ich HIV-positiv? Für die Antwort wünschen sich Betroffene eigentlich keine Wahrscheinlichkeiten, sondern Gewissheit. Diese versprechen HIV-Schnelltests, die seit Oktober auch in Apotheken, Drogerien oder im Netz verkauft werden dürfen. Die Deutsche Aids Hilfe empfiehlt dazu Tests mit einem CE-Kennzeichen und einer nahezu hundertprozentigen Sensitivität. Dies trifft beispielsweise für den von Ratiopharm vertriebenen „Autotest VIH“ zu. Der Gebrauchsinformation zufolge liegen die Sensitivität bei 100 und die Spezifität bei 99,8 Prozent.
Das klingt doch ziemlich sicher, oder? Der Schein trügt, erklären Professor Gerd Gigerenzer (Max-Planck-Institut für Bildungsforschung), Professor Thomas Bauer (Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung) und Professor Walter Krämer (TU Dortmund) in der „Unstatistik des Monats“, die vergangene Woche veröffentlicht wurde.
Sensitivität und Spezifität
Um die Schlussfolgerungen der Statistik-Experten nachzuvollziehen, hilft es möglicherweise, sich den Unterschied zwischen Sensitivität und Spezifität noch einmal zu vergegenwärtigen. Die Sensitivität steht für die Wahrscheinlichkeit, mit der das Testergebnis einer tatsächlich infizierten Person positiv ausfällt. Hier liegt der Autotest VIH, sofern er korrekt angewendet wird, mit 100 Prozent auf der dunkelgrünen Seite.
Die Spezifität gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass eine Person, die nicht HIV-infiziert ist, ein negatives Testergebnis erhält. Ein Wert von 99,8 Prozent bedeutet, dass die „Falsch-Alarm-Rate“ 0,2 Prozent beträgt.
Einer von 13 positiven Tests trifft zu
Im Falle von HIV-Infektionen ist diese Fehlerquote gar nicht so niedrig, wie sie klingt. Weshalb, verdeutlichen die Statistik-Experten anhand einer Beispielrechnung. So leben laut dem Statistischen Bundesamt in Deutschland etwa 69 Millionen volljährige Personen. Schätzungen des Robert Koch Instituts zufolge sind davon etwa 11.400 mit dem HI-Virus infiziert, ohne es zu wissen. Hochgerechnet auf die 69 Millionen Erwachsenen ist das eine von 6.000 Personen.
Würde man nun hypothetisch eine Stichprobe von genau 6.000 Menschen testen, fiele das Testergebnis der einen, tatsächlich infizierten, Person positiv aus. Aufgrund der „Falsch-Alarm-Rate“ von 0,2 Prozent erhielten allerdings auch zwölf weitere Personen ein positives Ergebnis, die gar nicht infiziert sind. Umgekehrt ausgedrückt: Von 13 positiven Testergebnissen wäre nur eines zutreffend. Und diese Rechnung basiert auf den Annahmen, dass die Herstellerangaben korrekt sind und der Test richtig angewendet wurde. Andernfalls könnte die Trefferquote sogar noch geringer sein.
„Sie sind wahrscheinlich positiv“ – unwahrscheinlich!
In den Gebrauchsinformationen steht bei einem positiven Ergebnis: „Sie sind wahrscheinlich HIV-positiv“. Bei unserem Rechenbeispiel wäre das Gegenteil der Fall. Denn ein korrektes Testergebnis von 13 entspricht einer Wahrscheinlichkeit von acht Prozent, tatsächlich mit dem HI-Virus infiziert zu sein. Dies liegt nicht daran, dass die Tests schlecht sind, sondern an der Natur der Statistik und an der Indikation.
Außerdem raten die Hersteller den Betroffenen, sich bei einem positiven Ergebnis rasch an einen Arzt zu wenden, um dieses zu bestätigen. Dies ist wiederum ein guter Rat. Sofern die Betroffenen nicht eine gefährliche und falsche Schlussfolgerung gezogen haben. „In ähnlichen Situationen haben Menschen über Suizid nachgedacht und auch begangen – obgleich sie tatsächlich nicht infiziert waren – um Stigma und sozialer Diskriminierung zu entgehen, die immer noch mit AIDS verbunden sind“, mahnt das Team von „Unstatistik des Monats“.
Aufklärung gehört dazu
Die Experten betonen, dass HIV-Schnelltests zwar sinnvoll sein können, es jedoch zum verantwortungsvollen Umgang gehöre, die Menschen verständlich darüber aufzuklären, was ein positives Testergebnis wirklich bedeutet. Denn nicht jeder weiß, wie Gesundheitsstatistiken zu interpretieren sind.
Apotheker können dies allerdings. Unter anderem deshalb hatte sich die ABDA im Vorfeld der Freigabe der HIV-Tests für deren Apothekenpflicht eingesetzt. „Denn bei Tests kann es zu falsch-positiven Ergebnissen kommen und der Anwender meint, HIV-positiv zu sein, obwohl er nicht infiziert ist“, erklärte ABDA-Präsident Friedemann Schmidt in seiner Stellungnahme ans Bundesgesundheitsministerium (BMG) vergangenen Juni. Aufgrund ihrer wissenschaftlichen Kompetenz und Beratungserfahrung können Apotheker Ratsuchenden verständlich machen, welche Limitationen bei den Tests bestehen und was im Falle eines positiven Ergebnisses zu tun ist. Dies ist bei einem Kauf im Netz nicht gewährleistet.
Status: nicht apothekenpflichtig
Das Bundesgesundheitsministerium hatte die Forderung der ABDA im August jedoch abgelehnt. „Das ausdrücklich gewünschte niedrigschwellige Angebot, das auch einen Bezug über das Internet ermöglicht, würde mit der Apothekenpflicht konterkarieren.“ Die Notwendigkeit zur persönlichen Beratung bei dieser hochsensiblen Fragestellung sieht das BMG offenbar nicht.
Ende September, kurz bevor der Verkauf der Tests beginnen konnte, verwies das BMG in einer Pressemittelung auf gemeinsame Informationsseiten mit dem Paul-Ehrlich-Institut. Dort befinden sich in der Tat einige hilfreiche Tipps für die Anwender. Beispielsweise werden Ratsuchende darauf hingewiesen, dass ein Selbsttest erst zwölf Wochen nach einer vermuteten Infektion aussagekräftig ist. Und dass man sich ein positives Testergebnis unbedingt durch einen Labortest bestätigen lassen soll. Doch die Frage ist, ob dieses passive Informationsangebot eine aktive Beratung ersetzen kann.
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