Tuberkulose

Aktivistinnen fechten Patentverlängerung von Bedaquilin in Indien an

Berlin - 19.02.2019, 11:30 Uhr

Dank neuer Tuberkulosemedikamente wie Bedaquilin sind auch antibiotikaresistente Formen gut behandelbar. Davon sollten alle Betroffenen profitieren, finden Überlebende und die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. (Foto: imago)

Dank neuer Tuberkulosemedikamente wie Bedaquilin sind auch antibiotikaresistente Formen gut behandelbar. Davon sollten alle Betroffenen profitieren, finden Überlebende und die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. (Foto: imago)


Zwei Frauen gegen einen globalen Pharmakonzern – Nandita Venkatesan und Phumeza Tisile haben beim Patentamt in Mumbai die Patentverlängerung des Tuberkulosemittels Bedaquilin von Johnson & Johnson angefochten. Die beiden werden von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen unterstützt. Der Wirkstoff Bedaquilin ist im Gegensatz zu den Standardtherapeutika auch bei multiresistenten Tuberkulose-Erregern wirksam.

Es klingt wie David gegen Goliath – nur dass es sich in diesem Fall um zwei Aktivistinnen handelt, die dem globalen Pharmakonzern Johnson & Johnson die Stirn bieten: Und zwar haben Nandita Venkatesan aus Indien und Phumeza Tisile aus Südafrika vor wenigen Tagen die Patentverlängerung des Tuberkulosemittels Sirturo® beim Patentamt in Mumbai (Indien) angefochten. Dies geht aus einer Pressemitteilung der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hervor, die die beiden Frauen auf politischer Ebene und mit Öffentlichkeitsarbeit unterstützt.

Ist das Formulierungspatent zulässig?

Das Patent auf Sirturo®  (Wirkstoff Bedaquilin) läuft in Indien 2023 ab. Durch ein weiteres Patent auf die Formulierung als Bedaquilin-Fumarat will Hersteller Johnson & Johnson den Patentschutz von Sirturo® bis 2027 verlängern. Nach Auffassung von Ärzte ohne Grenzen und der beiden Aktivistinnen ist die Patentierung der Salzform nach indischem Patentrecht nicht zulässig. 

Venkatesan und Tisile begründen ihre Anfechtung damit, dass bei der Patentanmeldung von Johnson & Johnson der Neuigkeitswert, der therapeutische Nutzen und der erfinderische Schritt fehlten. Die Markteinführung kostengünstiger Bedaquilin-Generika würde weiter verzögert.

J&J: kein Markthindernis für Generika mit alternativer Formulierung

Für Hersteller Johnson & Johnson stellt sich die Sachlage anders dar. So erklärte der Konzern gegenüber DAZ.online: „Die fragliche Patentanmeldung – zur Formulierung von Bedaquilin – wurde 2007 eingereicht und 2008 als Standardverfahren bei der Entwicklung neuer Arzneimittel öffentlich zugänglich gemacht. Die Anmeldung wurde erstmals 2012 vom indischen Patentamt geprüft und wird derzeit noch geprüft. Bei Erteilung würde ein Formulierungspatent Generikahersteller nicht daran hindern, den Wirkstoff in eigenen Formulierungen nach dem Juli 2023 zu entwickeln, wenn das API (active pharmaceutical ingredient)-Patent in Indien ausläuft.“ An dieser Stelle ist anzumerken, dass die Entwicklung einer neuen Formulierung ebenfalls Jahre dauern kann.

Bedaquilin: WHO-Empfehlung bei Erregerresistenzen

Der Wirkstoff Bedaquilin ist im Gegensatz zu den Standardtherapeutika auch gegen multiresistente Tuberkulosekeime (MDR-TB) wirksam und wird gegen diese Erreger von der WHO empfohlen. Im Gegensatz zu den kostengünstigen Aminoglykosiden, die ebenfalls bei diesen Tuberkuloseformen eingesetzt werden, muss Bedaquilin nicht gespritzt werden und ist nicht mit ototoxischen Nebenwirkungen behaftet. Allerdings kann Bedaquilin zu einer QT-Verlängerung führen.

Bedaquilin wurde bislang aufgrund von Phase-II-Studien und unter der Auflage zugelassen (conditional approval), dass der Hersteller weitere Daten sammelt.

Hörverlust nach Aminoglykosiden

Venkatesan und Tisile haben vor wenigen Jahren eine Tuberkulose-Erkrankung mit resistenten Erregern überlebt. Beide wurden mit Aminoglykosiden behandelt und verloren ihr Gehör. „Ich war am Boden zerstört und finanziell, emotional und mental schwer belastet“, erklärte Venkasetan gegenüber Ärzte ohne Grenzen. Aus ihrer Sicht wird es Zeit, dass Bedaquilin bald für mehr Patienten zur Verfügung steht: „Wie viele Menschen müssen noch sterben oder taub werden und auf Medikamente warten, die ihr Leben ohne verheerende Nebenwirkungen retten können?“

Tisile erkärte, sie wünsche niemandem, das durchzumachen, was sie durchgemacht habe. Die Südafrikanerin beteiligte sich deshalb an der Patentanfechtung in Indien, weil sich der Markteintritt von Bedaquilin-Generika in Indien auch auf den südafrikanischen Markt auswirken würde. Denn Indien, das auch als „Apotheke der Armen“ bezeichnet werde, verfüge über eine starke Generika-Industrie und spiele deshalb international als Exportland eine wichtige Rolle.

Tuberkulosebehandlung: Eine Frage des Geldes?

Nach Informationen von Ärzte ohne Grenzen erkrankten 2017 weltweit etwa 558.000 Menschen an MDR-TB, doch nur ein Viertel wurde behandelt. Das empfohlene Bedaquilin erhielten bis November 2018 weltweit lediglich 28.700 Menschen.

In Indien wird Sirturo® noch nicht auf dem regulären Markt angeboten und hat noch keinen offiziellen Arzneimittelpreis. In Deutschland liegt der Preis für Sirturo® 100 mg bei 4.338 Euro für eine Packung mit 24 Tabletten. Das Behandlungsschema sieht für die Wochen eins bis zwei  je 400 mg täglich (= 56 Tabletten) vor und für die Wochen drei bis 24 je 200 mg dreimal pro Woche (= 132 Tabletten). Bei einer vorgesehenen Behandlungsdauer von 24 Wochen benötigt ein Patient folglich acht Packungen, was einem Apothekenverkaufspreis von 34.704 Euro entspricht.

Im Jahre 2014 hatte Johnson & Johnson 10.000 Packungen gespendet. Im vergangenen Jahr hatte der Konzern angekündigt, eine 24-wöchige Behandlung mit Sirturo® in Schwellen- und Entwicklungsländern künftig zum Preis von 400 US-Dollar anzubieten. Am 5. März soll nach Informationen von Ärzte ohne Grenzen die Entscheidung fallen, welche Länder unter diese Kategorie fallen. Mit Südafrika und Lesotho sei bereits eine Preisvereinbarung über 400 Dollar getroffen.

Der Hersteller bezeichnet diese Summe als nicht kostendeckend. Dem gegenüber steht eine Berechnung von Pharmakoökonomie-Experten, denen zufolge Bedaquilin-Präparate für 8 bis 16 Dollar im Monat profitabel herzustellen und zu vertreiben seien.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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