50 Jahre Zentrale Fortbildung in Gießen

Revolutionen in der Arzneimitteltherapie

Gießen / Stuttgart - 12.03.2019, 12:45 Uhr

Auch
Professor Dr. med. Dr. rer. nat. Ernst Mutschler, hier mit Kammerpräsidentin
Ursula Funke, war als ehemaliger Sprecher der Akademie für pharmazeutische
Fortbildung der LAK Hessen bei der 100. Zentralen Fortbildung dabei. (c / Foto: LAK Hessen)

Auch Professor Dr. med. Dr. rer. nat. Ernst Mutschler, hier mit Kammerpräsidentin Ursula Funke, war als ehemaliger Sprecher der Akademie für pharmazeutische Fortbildung der LAK Hessen bei der 100. Zentralen Fortbildung dabei. (c / Foto: LAK Hessen)


Am vergangenen Wochenende hatte die Landesapothekerkammer Hessen zum 100. Mal zu ihrer Zentralen Fortbildungsveranstaltung in Gießen geladen. Seit 50 Jahren wird diese zweimal pro Jahr kostenlos von der LAK Hessen angeboten. Gefeiert wurde das mit einer unterhaltsamen Zeitreise durch alle fünf pharmazeutischen Fachrichtungen, präsentiert von den hessischen Hochschulprofessoren. Dabei wurde deutlich, wie essenziell Fortbildungen für Heilberufe sind. Auch aktuelle politische Themen wurden nicht ausgelassen.

Es war ein stürmisches und verregnetes Wochenende, an dem die LAK Hessen vergangenen Samstag und Sonntag zu ihrer 100. Zentralen Fortbildungsveranstaltung in die Kongresshalle am Berliner Platz in Gießen geladen hatte. Nicht viel gemütlicher dürfte das Wetter am 15. November 1969 gewesen sein, als die Zentrale Fortbildung zum ersten Mal stattfand. Wie das damals war? Keiner scheint es mehr so genau zu wissen, denn Unterlagen zur ersten Veranstaltung konnte die Kammer keine mehr auftreiben. 

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Ein Glück, dass die Pharmazeutische Zeitung offenbar bei jeder Fortbildung fleißig mitgeschrieben hatte, sodass Prof. Dr. Axel Helmstädter (Avoxa – Mediengruppe Deutscher Apotheker GmbH, Eschborn) sich für seinen Vortrag „Arzneimittelinnovationen im historischen Kontext“ auf diese Aufschriebe beziehen konnte. Aus diesen gehe hervor, dass sich die Zentrale Fortbildung schon immer großer Beliebtheit erfreut habe: Regelmäßig seien über 600 Teilnehmer dabei gewesen, man hätte in der Vergangenheit noch Stühle hineintragen müssen – die Räumlichkeiten der Veranstaltung wurden schließlich größer. Seit Mai 1979 dient die Stadthalle Gießen als Veranstaltungsort. Dort waren nun beim 100. Jubiläum zwar nicht alle Plätze besetzt; sowohl am Samstag und Sonntag sollen aber jeweils rund 300 Teilnehmer im Publikum gesessen sein.

Als es für Fortbildung noch Medaillen gab

Schon zu Beginn konnte man bei den Fortbildungen Punkte sammeln – obendrein gab es sogar Medaillen und regionale Veranstaltungen, die die Zentrale Fortbildung vorbereiten sollten. Prof. Dr. Herbert Oelschläger (1921-2006) folgten als Sprecher der Akademie für pharmazeutische Fortbildung der LAK Hessen viele weitere bekannte Namen: Prof. Krieglstein, Jutta Dudek, Prof. Mutschler, Prof. Blume und seit 14 Jahren Prof. Steinhilber. Letzterer (Institut für Pharmazeutische Chemie, Goethe-Universität Frankfurt am Main) moderierte die 100. Veranstaltung. Aber auch Frau Dudek und Prof. Mutschler sowie der Ehrenpräsident der LAK Hessen, Jürgen Funke, waren vor Ort.

Doch es blieb nicht nur historisch, sondern wurde auch aktuell und politisch: Sowohl die Kammerpräsidentin Ursula Funke als auch Johannes Zippel, als Vertreter des Magistrats der Stadt Gießen (Stadtrat, Freie Wähler), wandten sich mit Grußworten an das Publikum.

„Preisbindung ist Verbraucherschutz“

Kammerpräsidentin Ursula Funke betonte, dass ein Rx-Versandverbot sehr wohl juristisch möglich sei – drei Gutachten würden das bestätigen. Deshalb halte man an der Forderung nach einem Rx-Versandverbot fest, gerade auch nachdem die EU vergangene Woche wieder einmal „Wettbewerb über alles“ stellen würde: „Preisbindung ist Verbraucherschutz, das sollten die Politiker nun endlich kapieren!“ Es gehe um die Sicherung der Struktur, auch im Zeitalter des E-Rezepts. Auch Stadtrat Zippel betonte, wie wichtig für Patienten eine „Apotheke des Vertrauens“ sei, wo im Zweifel auch das Gespräch mit dem Arzt gesucht werde: „Das kann nur in einer Apotheke vor Ort geschehen.“ Außerdem zeigte er sich erfreut über die Entwicklung, die er in Neubaugebieten beobachte: Dort soll es immer mehr Ärztehäuser mit integrierten Apotheken geben.

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Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 19. Oktober 2016 entschieden, dass für Versandapotheken mit Sitz im EU-Ausland die für deutsche Apotheken geltende Preisbindung gemäß Arzneimittelpreisverordnung nicht zur Anwendung kommt. Es ist absehbar, dass es in Folge der Entscheidung zu einer nennenswerten Verschiebung von Marktanteilen zugunsten von EU-Versandapotheken und zu Lasten der öffentlichen Apotheken in Deutschland kommen wird. Die Autoren weisen nach, dass die flächendeckende Arzneimittelversorgung in Deutschland und das im Patienteninteresse bestehende Apothekennetz mit persönlicher Beratung und ortsnahen Services durch Apotheken vor Ort nur durch ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln aufrechterhalten werden kann.

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Heute fragen sich die Apotheker vor allem politisch, wie es mit der Pharmazie weitergehen soll. Ende der 1960er kam in der Pharmazie die Frage auf, worauf sie in der Lehre zukünftig ihren Fokus legen sollte – mehr auf den Patienten oder mehr auf den Arzneistoff und seine Qualitätssicherung?

Emanzipation von der Chemie

So kamen zu dieser Zeit eine ganze Reihe von pharmakologischen Fortbildungen auf, weiß Helmstädter. Schließlich wurden 1971 die Pharmakologie und die Technologie auch zu Prüfungsfächern im 2. Staatsexamen. Dieser Entwicklung entsprechend stellte auch die Zentrale Fortbildungsveranstaltung den Menschen immer mehr in den Mittelpunkt. Auch bei den kommenden Veranstaltungen soll es wieder um patientennahe Themen gehen: „Muskel- und Bewegungsapparat“ im November 2019, „Schlaf“ (vorläufiges Thema) im März 2020.

Am vergangenen Wochenende ging es aber um alle fünf Fächer der Pharmazie und die Schlaglichter der Arzneimitteltherapie der letzten Jahrzehnte. Doch wie definiert man solche Meilensteine? Die Hochschullehrer der beiden hessischen Universitäten Frankfurt und Marburg haben die jeweiligen Highlights ihrer fünf Fachrichtungen unter vielen verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet.

Fünf Highlights und viele Gemeinsamkeiten

Zwischen den Fächern zeigten sich in den Vorträgen auch Gemeinsamkeiten. So machten die beiden Technologinnen Prof. Dr. Cornelia Keck und Prof. Dr. Maike Windbergs aus Marburg und Frankfurt beispielsweise auf technologische Entwicklungen um den Wirkstoff Morphin aufmerksam. Während Prof. Helmstädter in seinem einleitenden Vortrag bereits das Morphin als historischen Meilenstein hervorgehoben hatte.

Stellvertretend für die Klinische Pharmazie warb Prof. Dr. Carsten Culmsee aus Marburg für das „Zukunftsfach“ der Pharmazie: „Die Therapie ist wichtig, aber die pharmazeutische Betreuung ist das, was wirkt.“ Er rief die öffentlichen Apotheker dazu auf, an Studien zum Thema Medikationsmanagement teilzunehmen. Als Beispiel hob er die Parkinson-Therapie als „Polymedikation par excellence“ hervor. Zur Parkinson-Therapie schlug dann auch im letzten Vortrag am Sonntag Prof. Dr. med. Dr. phil. nat. Achim Schmidtko aus Frankfurt eine Brücke: In der ersten Auflage des Buchs „Arzneimittelwirkungen“ von Ernst Mutschler seien 1970 die Antiparkinsonmittel auf nur zwei Seiten besprochen worden. Ganz anders heute: Zum 200. Jubiläum der Zentralen Fortbildung, vermutet Schmidtko, könnte bereits ein Eingriff in die Progression von Parkinson absehbar sein.

Prof. Dr. Robert Fürst aus Frankfurt stellte als Vertreter der pharmazeutischen Biologie die Biologicals als „wahre Revolution“ in den Mittelpunkt und betonte die enge Verknüpfung der pharmazeutischen Chemie mit der Biologie: Zwei Drittel aller Wirkstoffe seien „inspired by nature“. Prof. Dr. Michael Keusgen aus Marburg, der gemeinsam mit Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz die Pharmazeutische Chemie vertrat, schlug ebenso Brücken zur Biologie, indem er beispielsweise mit Taxol-Derivaten und der Mannich-Reaktion in seinen Vortrag einstieg. Unter dem Aspekt „small molecules“ hob Schubert-Zsilavecz wiederum unter anderem die Entwicklungen in der Therapie der chronischen Hepatitis C hervor.

Eine Erkrankung, die im Rückblick auf die letzten 50 Jahre auch nicht fehlen durfte, war Aids: Dr. Ilse Zündorf und Prof. Dr. Dieter Steinhilber widmeten sich am Samstagabend nicht nur dem HI-Virus, sondern auch, mit musikalischer Untermalung, der Lebensgeschichte des Leadsängers der Band Queen, Freddie Mercury.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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