Wirkmechanismus weiterhin ungeklärt

Paracetamol könnte Diabetikern schaden

Stuttgart - 10.04.2019, 12:15 Uhr

Hohes Alter und Diabetes – plus Paracetamol. Steigert diese Kombination das Risiko für Schlaganfälle? (c / Foto: Alexander Raths / stock.adobe.com)

Hohes Alter und Diabetes – plus Paracetamol. Steigert diese Kombination das Risiko für Schlaganfälle? (c / Foto: Alexander Raths / stock.adobe.com)


Dass sich NSAR negativ auf das Herz-Kreis­lauf-Sys­tem auswirken können, ist in den Apotheken bekannt. Während Paracetamol meist aufgrund seiner Lebertoxizität eher kritisch betrachtet wird, kann es in einigen Fällen eine Alternative zu NSAR darstellen, vor allem im Alter. Eine französische Studie richtet den Blick nun darauf, dass Paracetamol bei älteren Diabetikern das Risiko für Schlaganfälle erhöhen könnte. Der Wirkmechanismus von dem verbreiteten Schmerzmittel ist jedoch immer noch nicht verstanden.

Wird das „sichere“ Paracetamol, wie es in der DAZ 48/2016 hieß, fälschlich immer wieder als Risiko-Analgetikum diskutiert? In den letzten Jahren war beispielsweise immer wieder die Frage aufgekommen, ob es sich bei Einnahme in der Schwangerschaft negativ auf das ungeborene Kind auswirken könnte. Bislang bleibt Paracetamol das Analgetikum der Wahl in der Schwangerschaft. 

Ein Pharmako-logisch! UPDATE zu Nicht-steroidalen Analgetika widmete sich in der DAZ 48/2016 den kardialen Risiken von NSAR. Drei Botschaften erscheinen dabei als Fazit für den HV zentral: „Das kardiovaskuläre Risiko ist dosisabhängig und im Bereich der durchschnittlichen Tagesdosis (DDD = daily defined dose) kaum erhöht. Das kardiovaskuläre Risiko ist kein Gruppeneffekt der COX-Inhibitoren oder der Coxibe, sondern eine individuelle Eigenschaft eines einzelnen Wirkstoffes. Je länger ein COX-Inhibitor verordnet ist, desto niedriger wird das kardiale Risiko.“

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In einem zweiten Teil wurde Paracetamol (im Kontrast zu NSAR) in der DAZ 48/2016 als besonders verträglich hervorgehoben: So bestehe kein Blutungsrisiko, der Blutdruck werde – wenn überhaupt – nur gering erhöht, es bestehe kein Ulkus-Risiko, eine Einschränkung der Nierenfunktion müsse kaum beachtet werden und es sei auch kein kardiales Risiko beschrieben.
Diese weitgehende Nebenwirkungsfreiheit bezahle man bei oraler Gabe allerdings mit einer geringeren Wirksamkeit. Vor allem der fehlende anti-inflammatorische Effekt ist bekannt. 

Eine französische Studie lässt nun an der Unbedenklichkeit von Paracetamol erneut zweifeln – dieses Mal in einem Bereich, in dem es eigentlich als sicher galt: Bringt Paracetamol doch kardiovaskuläre Risiken mit sich?

Weit verbreitet und wenig verstanden

Die „American Geriatrics Society“ hatte vergangenen Dienstag in einer Pressemitteilung auf eine Studie aufmerksam gemacht, die im Journal jener Gesellschaft erschienen ist. In der Pressemitteilung liest man, dass der Einsatz von Paracetamol zwar seit langem weit verbreitet und weitestgehend sicher ist – gleichzeitig überraschend in diesem Zusammenhang sei jedoch, dass man erst jetzt beginne zu verstehen, wie Paracetamol wirkt. Zusätzlich richtet die Organisation, wie ihr Name schon sagt, einen gesonderten Blick auf geriatrische Besonderheiten. Als Grund für die Studie zur Sicherheit von Paracetamol nennen die Autoren in der Publikation eine systematische Literaturübersicht über Beobachtungsstudien aus dem Jahr 2015, die zuletzt die allgemeine Diskussion um die Sicherheit von Paracetamol kontrovers angeregt haben soll.

„Der genaue Mechanismus der analgetischen und antipyretischen Wirkung von Paracetamol ist noch nicht geklärt; zentrale und periphere Wirkungsmechanismen dürften eine Rolle spielen“, das liest man zum Wirkmechanismus von Paracetamol in einer Fachinformation mit dem Stand Februar 2019. In einer anderen Fachinformation vom Januar 2015 heißt es: „Nachgewiesen ist eine ausgeprägte Hemmung der cerebralen Prostaglandinsynthese, während die periphere Prostaglandinsynthese nur schwach gehemmt wird. Ferner hemmt Paracetamol den Effekt endogener Pyrogene auf das hypothalamische Temperaturregulationszentrum.“

In der aktuellen französichen Studie heißt es zum Wirkmechanismus, dass Paracetamol ähnlich wie NSAR die Prostaglandinsynthese senkt, allerdings nicht die Thrombozyten beeinflusst, was zu weniger gastrointestinalen Nebenwirkungen führen könnte.

Die jetzt veröffentlichte Studie untersuchte gezielt Zusammenhänge zwischen Paracetamol, Tod und bedeutenden kardialen Ereignissen wie Schlaganfall und Herzinfarkt. Die Studie dauerte 18 Monate und umfasste 5.429 Patienten aus 175 französischen Pflegeheimen, die rund 86 Jahre alt und zu circa 74 Prozent weiblich waren. 3.190 davon nahmen kein Paracetamol ein. 
Es handelt sich um eine prospektive Studie, die sich auf Daten der IQUARE-Studie stützt, (Impact of Educational and Professional Supportive Interventions on Nursing Home Quality Indicators project). Dabei handelt es sich um eine Studie, die entwickelt wurde, um die Qualität von Pflegeheimen in Frankreich zu verbessern. Dazu gab es eine sechsmonatige Interventionszeit und eine 18-monatige Nachbeobachtungszeit. Die Daten wurden über einen Online-Fragebogen erfasst, der durch Angestellte der Pflegeheime ausgefüllt wurde.

Diabetes + Paracetamol = erhöhtes Schlaganfallsisiko?

Insgesamt habe es unter den beobachteten Pflegeheimbewohnern keinen Anstieg von Herzinfarkten oder Todesfällen gegeben: Rund 5 Prozent der Patientinnen aus der Paracetamol-Gruppe erlitten einen Schlaganfall, etwa 4 Prozent seien es in der Placebo-Gruppe gewesen, liest man in der Pressemitteilung. Bei den Pflegeheimbewohnern, die an Diabetes litten, soll jedoch ein leicht erhöhtes Schlaganfallrisiko in der Paracetamol-Gruppe beobachtet worden sein. Konkret wird das erhöhte Risiko dieser Diabetiker-Gruppe in der Publikation mit einer HR von 3,19 angegeben (KI= 1,25-8,18).
Die 2.239 Patienten, die Paracetamol einnahmen, taten dies im Schnitt in Dosen von 2353 ± 993 mg. Die Wissenschaftler kommen in der Pressemitteilung zu dem Schluss, dass Paracetamol für die meisten älteren Patienten eine sichere erste Wahl in der Schmerzbehandlung ist. Jedoch sollte es bei älteren Patienten mit Diabetes wohl mit etwas mehr Zurückhaltung zum Einsatz kommen. 

Wie Paracetamol Schlaganfälle begünstigen könnte

Was die Studienergebnisse für die Wissenschaft bedeuten könnten, diskutieren die Autoren am Ende der Studie: Dass Diabetes mellitus sich negativ auf das vaskuläre System auswirkt, ist bekannt. Es kann auch zu makrovaskulären Komplikationen wie Schlaganfällen kommen. Zudem soll eine Assoziation zwischen Typ-2-Diabetes und alkoholischer Fettleber bestehen. Die Forscher mutmaßen nun, dass eine verminderte Prostaglandinsynthese durch Paracetamol zu einer verringerten Vasodilatation und einer bevorzugten Thrombozytenaggregation führen könnte. Zudem könnte Paracetamol durch einen gesenkten Glutathionspiegel Entzündungsprozesse begünstigen. Der chronische Einsatz von Paracetamol könne eine bereits verminderte Leberfunktion zusätzlich beeinträchtigen. So könnte Paracetamol bei älteren diabetischen Patienten zu einem auslösenden Faktor für Schlaganfälle werden.

Bei der Betrachtung der Studienergebnisse muss jedoch grundsätzlich bedacht werden, dass es sich um eine Beobachtungsstudie mit all ihren Limitierungen handelt. Das schreiben die Autoren auch selbst. So bedarf es wohl weiterer Studien mit älteren Diabetikern. Allgemein scheint Paracetamol im Alter aber weiterhin erste Wahl zu bleiben.

Paracetamol im Alter: Analgetikum der Wahl

Mittlerweile verfügen Apotheker und Ärzte über eine Vielzahl an Listen, die bei der medikamentösen Therapie älterer Patienten helfen sollen. Eine davon ist die FORTA-Liste („Fit fOR The Aged“), in der Arzneimittel ja nach Indikation in verschiedene Kategorien eingeteilt werden. Für die FORTA-Kategorie B ist beispielsweise die Wirksamkeit bei älteren Patienten nachgewiesen, aber es bestehen Einschränkungen bezüglich ihrer Sicherheit und Wirksamkeit. In diese Kategorie B wird zum Beispiel das Analgetikum Metamizol in der Indikation „Chronischer Schmerz” eingeordnet. In der Kategorie D hingegen – für die der Arzt immer Alternativpräparate finden sollte – stehen die NSAR und COX-2-Hemmer. Weil Paracetamol der Kategorie A angehört, was bedeutet, dass der Nutzen bei bestehender Indikation gut belegt ist, scheint es bei chronischen Schmerzen im Alter das Mittel der Wahl zu sein. Auf eine „geringe klinische Wirkung auf Placebo-Niveau“ und auf die Hepatotoxizität wird aber auch hingewiesen.

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Eine andere bekannte Liste ist die PRISCUS-Liste (lat.: priscus – altehrwürdig): Auch dort wird für verschiedene potenziell inadäquate Arzneimittel bei älteren Patienten (z.B. Indometacin, Etoricoxib) Paracetamol als Therapie-Alternative genannt. 
Und auch in der Beers-Liste (amerikanischer Geriater Mark Beers) werden potenziell inadäquate Arzneimittel aufgeführt, die bei geriatrischen Patienten möglichst vermieden werden sollten: Während NSAR wie ASS, Diclofenac und Ibuprofen dort gelistet werden – als Grund wird das Blutungsrisiko angeführt –, taucht Paracetamol in der Liste nicht auf. In der Kategorie Herzinsuffizienz zählen NSAR und COX-2-Inhibitoren zur Gruppe potenziell ungeeigneter Arzneistoffe bei älteren Patienten, die möglicherweise zur Verschlechterung der vorliegenden Erkrankung/Syndrome führen können.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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