Umstrukturierung des Apothekensektors

Frankreichs Wettbewerbshüter empfehlen bahnbrechende Maßnahmen

Frankreich / Remagen / Stuttgart - 23.04.2019, 09:00 Uhr

Die französische Wettbewerbsbehörde hält die Apothekenlandschaft in Frankreich für „renovierungsbedürftig“ und plant nicht nur die Erneuerung der Fassade, wie hier an einer Pariser Apotheke. (Foto: cel)

Die französische Wettbewerbsbehörde hält die Apothekenlandschaft in Frankreich für „renovierungsbedürftig“ und plant nicht nur die Erneuerung der Fassade, wie hier an einer Pariser Apotheke. (Foto: cel)


Die französische Wettbewerbsbehörde schlägt umfangreiche Maßnahmen zur Liberalisierung des Apothekensektors vor, darunter eine Lockerung des Online-Handels mit Arzneimitteln und der Apothekenpflicht und eine Deregulierung beim Apothekenbesitz. Die Apothekerschaft läuft dagegen Sturm.

In Frankreich sorgt eine Untersuchung der Wettbewerbsbehörde zur Liberalisierung der Arzneimitteldistribution und des Apothekensektors für große Aufregung. Es ist nicht die erste dieser Art. Bereits im Jahr 2013 hatte die Autorité de la Concurrence (ADLC) eine ähnliche Bewertung durchgeführt. Aus der Sicht der Wettbewerbshüter waren die damaligen Empfehlungen jedoch nicht angemessen befolgt worden. Deshalb hat die Behörde den Sektor erneut unter die Lupe genommen.

Viele Apotheken rentieren sich nicht mehr

Am 4. April 2019 hat sie nun ihre Stellungnahme („Avis“) vorgelegt. Diese bezieht sich im Wesentlichen auf fünf Hauptthemen: Den Online-Verkauf von Arzneimitteln, die Apothekenwerbung, die Erweiterung der Rolle des Apothekers, das Apothekenmonopol und die Regeln für den Apothekenbesitz. Wie aus dem Dokument hervorgeht, beobachtet die ADLC in den letzten Jahren eine Erosion der Rentabilität der Apotheken. Diese werde herbeigeführt durch die große Abhängigkeit vom erstattungsfähigen Markt und den dortigen Kostendämpfungsmaßnahmen, aber auch durch den verstärkten Wettbewerb im Bereich der nicht-apothekenpflichtigen Gesundheitsprodukte, bei dem die Apotheken mit den „Parapharmacies“ und Supermärkte nicht mithalten können. Hier will die Behörde nun Abhilfe schaffen, aber längst nicht alle Empfehlungen schmecken der Apothekerschaft.

Online-Handel und Werbung

So erscheint den Wettbewerbshütern das Regime für den Online-Verkauf von Medikamenten in Frankreich zu restriktiv. Bislang hätten nur 2,3 Prozent der Apotheken eine Online-Lizenz, und der Online-Verkauf von Arzneimittel mache nur ein Prozent des Gesamtumsatzes in dem hierfür freigegebenen Segment aus, hat die ADLC ermittelt. Die Behörde schlägt deshalb Erleichterungen vor, um das Geschäft anzukurbeln, wie etwa die Möglichkeit, dass Online-Apotheken ihr Verkaufsangebot auf einer gemeinsamen Seite anbieten und dass sie Lagerräume getrennt von ihrer Apotheke nutzen können.

Außerdem sollen die Möglichkeiten der Preiswerbung für optionale verschreibungsfähige Medikamente (PMF), die ansonsten in der Selbstmedikation abgegeben werden, gelockert werden, ebenso wie die Werbung für Hygieneartikel. Auch für Apothekendienstleistungen sollte nach den Vorstellungen der ADELC geworben werden dürfen.

Freigabe des Fremdbesitzes und neue Chancen für Umsatzwachstum

Ein weiterer Vorschlag bezieht sich auf die Weiterentwicklung der Apotheken. Sie könnten in Zukunft zur ersten Anlaufstelle für die Versorgung werden. Dies würde allerdings den Ausbau und die Vergütung neuer Dienstleistungen voraussetzen. Hierüber könnten sich die Apotheken neue Chancen für Umsatzwachstum zu erschließen. 

Ein großer Streitpunkt ist die Beteiligung externer Investoren am Kapital einer Apotheke. Der bestehende restriktive Rahmen scheine den Finanzierungsbedarf einiger Apotheken nicht zu decken, meint die Behörde. Außerdem sei eine zu knappe Finanzdecke auch ein Hemmschuh für erwünschte Modernisierungs- oder Entwicklungsprojekte hin zu innovativen Apotheken-Modellen. Um hier Abhilfe zu schaffen, schlägt die ADLC vier Optionen vor, ohne selbst ein bestimmtes Modell zu präferieren: eine Erhöhung der Anzahl von Minderheitsanteilen oder der Anzahl der Mehrheitsbeteiligungen an Apotheken, die Eröffnung des Kapitals für Fremdinvestoren beziehungsweise für eine Mehrheit ausländischer Investoren. 

Lockerung der Apothekenpflicht

Weiter empfiehlt die Wettbewerbsbörde, bestimmte Gesundheitsprodukte für die Abgabe außerhalb der Apotheken, das heißt in den Parapharmazien und in Supermärkten, freizugeben. Dies soll den Patienten eine Reihe von Vorteilen bringen, wie niedrigere Preise und einen besseren Zugang zu den Produkten. Für diese Freistellung kommen aus Sicht der Behörde bestimmte Heilpflanzen und einige apothekenpflichtige ätherische Öle, sowie In-vitro- Diagnostika (Selbsttests, Blutzuckermessgeräte et cetera), aber auch Medikamente mit optionaler ärztlicher Verschreibung (OTC-Arzneimittel), in Frage. Die Produkte sollen dort aber immer unter der Aufsicht eines qualifizierten Apothekers abgegeben werden.

Apotheker sind erbost

In einer gemeinsamen Pressemitteilung reagieren diverse Apothekerverbände auf die Vorschläge der ADLC mit Entrüstung. Die Öffnung der Offizinapotheken für Fremdkapital würde ihrer Meinung nach das Apotheken-Netzwerk zerstören, die Unabhängigkeit des Apothekers in Frage stellen und die Schließung lokaler Apotheken provozieren. Die Liberalisierung des Online-Verkaufs von Arzneimitteln sei nur im Interesse der großen Internetplattformen und vernichte lokale Arbeitsplätze, so die weitere Kritik. Auch die Freigabe von Arzneimitteln für die Abgabe außerhalb von Apotheken wird kategorisch abgelehnt. Die rein kommerzielle Sichtweise der Apotheke, die von der Wettbewerbsbehörde getragen werde, sei „eng und dogmatisch“. Ihre Positionen seien nicht vereinbar mit den Bedürfnissen der Bevölkerung.

Auch die französische Apothekerkammer (Ordre National des Pharmaciens) erteilt dieser Sichtweise eine klare Absage: „Ein Modell zerstören, das die gesundheitliche Sicherheit der Patienten garantiert: Nein danke!“

Die Union der Gewerkschaften der Offizinapotheker (l’Union des syndicats de pharmaciens d’officine, USPO) hat eine Petition gestartet. Mit einer Unterschriftenaktion, die über die Apotheken gefördert wird, können die Patienten ihre Unterstützung bekunden. Sie läuft noch bis zum Ende des Monats.

Landapotheken als tragende Säule der Versorgung

Schützenhilfe von politischer Seite bekommen die französischen Apotheker von einer Gruppe von Abgeordneten. Sie stellen sich speziell gegen die vorgeschlagene Lockerung des Online-Handels und der Apothekenpflicht. Die Parlamentarier befürchten, dass damit das empfindliche Gleichgewicht der Arzneimittelversorgung vor allem in ländlichen Gebieten ins Wanken geraten könne. Diese seien durch die medizinische Unterversorgung ohnehin schon beeinträchtigt, und die Apotheken seien dort die tragenden Säulen für die Versorgung, bekräftigen die Abgeordneten. Sie sollten gestärkt und nicht erschüttert werden und zudem entsprechende Unterstützung vom Staat erhalten.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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4 Kommentare

Pharma for you ... it’s so easy ...

von Christian Timme am 24.04.2019 um 7:22 Uhr

Man könnte auch gleich die Pharma-Industrie als Investor zur „letzten Rx-Meile“ verpflichten ... Zucky&Co. warten schon ...

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Ähm

von Stefan Haydn am 23.04.2019 um 19:35 Uhr

Jetzt erkläre man mir mal bitte, wie Fremdkapital Abhilfe schafft bei einer Nichtrentabilität, bedingt durch zu niedrige Abrechnungspreise?
Mit gesundem Menschenverstand wäre dann doch eine Erhöhung der Abrechnungspreise die 1. Maßnahme.

Fremdkapital zuschießen ohne Aussicht auf Gewinn ist wie Dividende mit Schuldenaufnahme zu finanzieren.
Ups, erinnert mich an das Geschäftsmodell großer europäischer/schweizer Versandapotheken!

Offenbar ist die Intelligenz bei Wettbewerbshütern in Europa doch ziemlich gleich(gering) verteilt.

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Grüne und FDP

von Dr Schweikert-Wehner am 23.04.2019 um 10:40 Uhr

War gestern in den Niederlanden, im schönen Roermond. Die NL haben ja alles "liberalisiert".
Ergebnis: In der Stadt gibt es hunderte Klamottenläden, aber keine einzige Apotheke, außer die Historische alte Apotheke als Museum, ohne Betrieb.

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AW: Steuerparadies

von Stefan Haydn am 23.04.2019 um 19:37 Uhr

So ist das halt in einem Niedrigsteuerparadies für Unternehmen.
Da bleibt dann leider nicht mehr genug Geld für Allgemeinwohlpflichten übrig.

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