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Rote-Hand-Brief nach PRAC-Signalverfahren
Packungsbeilage muss vor falschen Laborwerten unter Biotin warnen
Biotin kann Laborergebnisse verfälschen: Fallberichte von verfälschten Laborergebnissen unter Biotin-Einnahme veranlassten den Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) der EMA jüngst zu einem Signalverfahren, in dem er die Biotininterferenz mit Laborwerten evaluierte. In einem Rote-Hand-Brief informiert das BfArM gemeinsam mit den Herstellern biotinhaltiger Produkte über die Maßnahmen. Diese betreffen nur bestimmte Biotindosierungen.
Bereits im März dieses Jahres informierte die
Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) davor, dass Biotin
(Vitamin B7, Vitamin H) Laborergebnisse verfälschen kann. Anlass war ein Patient
in den USA, der an einem Herzinfarkt verstarb, da der Infarkt aufgrund
negativer Troponin-Testergebnisse nicht erkannt worden war. An dem falsch negativen Troponintest war offenbar eine erfolgte Biotin-Einnahme des Patienten schuld.
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Dieser tödlich endende Myokardinfarkt war jedoch nicht der einzige Zwischenfall, der auf einer Wechselwirkung von Biotin mit Laborwerten beruhte. Laut der AMK-Meldung vom März wurden auch Fälle beschrieben, in denen in Studien von falsch erhöhten Estradiolwerten sowie falsch erniedrigten Parathormon- oder TSH-Werten berichtet haben. Auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) warnte vor allem bei schwangeren Frauen, die pränatale Nahrungsergänzungsmittel einnehmen. Diese würden oft Biotin enthalten. So könnten durch eine fälschlich diagnostizierte Schilddrüsenüberfunktion antithyreoidale Arzneimittel (Carbimazol, Thiamazol) zum Einsatz kommen, was ein Risiko von Missbildungen für das Embryo darstellen würde oder fälschlicherweise durch falsche Testergebnisse ein Morbus Basedow diagnostiziert würde.
Fach- und Gebrauchsinformation warnen vor Wechselwirkung mit Laborwerten
Eine erhöhte Anzahl an Fallberichten von falschen Laborwerten infolge einer kürzlichen oder gleichzeitigen Biotineinnahme veranlasste den Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) jüngst, in einem Signalverfahren die Biotininterferenz von Laborwerten zu evaluieren. Bereits am 11. Februar 2019 veröffentlichte der PRAC seine Empfehlung dazu. Der PRAC empfahl, bei biotinhaltigen Arzneimitteln zum Einnehmen mit mehr gleich 150 µg Biotin pro Dosiseinheit und biotinhaltigen Arzneimitteln zur parenteralen Anwendung mit mehr gleich 60 µg Biotin pro Dosiseinheit, die Fach- und Gebrauchsinformationen zu aktualisieren. Die Hersteller hatten dazu drei Monate Zeit. Aktuell informiert nun das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) in Abstimmung mit den Herstellern biotinhaltiger Arzneimittel in einem Rote-Hand-Brief über mögliche Interferenz von Biotin mit klinischen Laborergebnissen und dem damit verbundenen Risiko falscher Laborwerte.
Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel betroffen
Unter 4.4. Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung
Auswirkung auf klinische Laboruntersuchungen: Biotin kann Auswirkungen auf Laboruntersuchungen haben, die auf einer Wechselwirkung zwischen Biotin und Streptavidin beruhen und die in Abhängigkeit von der Untersuchungsmethode entweder zu falsch erniedrigten oder falsch erhöhten Untersuchungsergebnissen führen können. Das Risiko von Auswirkungen ist bei Kindern und Patienten mit Niereninsuffizienz erhöht und steigt mit höheren Dosen. Bei der Interpretation der Ergebnisse der Laboruntersuchungen muss eine mögliche Auswirkung des Biotins berücksichtigt werden, insbesondere wenn eine Unstimmigkeit mit dem klinischen Bild beobachtet wird (zum Beispiel Ergebnisse von Schilddrüsenuntersuchungen, die scheinbar auf Morbus Basedow hinweisen, bei asymptomatischen Patienten, die Biotin einnehmen oder falsch negative Troponintestergebnisse bei Patienten mit Herzinfarkt, die Biotin einnehmen). Sofern der Verdacht auf eine Beeinflussung durch Biotin besteht, sollten – sofern verfügbar ‐ alternative Untersuchungen, die für Auswirkungen des Biotins nicht anfällig sind, verwendet werden. Bei der Anforderung von Laboruntersuchungen bei Patienten, die Biotin einnehmen, sollte das Laborpersonal konsultiert werden.
150 µg Biotin oral, 60 µg parenteral
Das BfArM weist darauf hin dass der Rote-Hand-Brief alle biotinhaltigen Arzneimittel zum Einnehmen sowie Nahrungsergänzungsmittel oder diätetischen Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke, die mehr gleich 150 µg Biotin pro Dosiseinheit enthalten und Arzneimittel zur parenteralen Anwendung mit mehr gleich 60 µg Biotin pro Dosiseinheit enthalten.
Fälle klinisch signifikanter Biotininterferenzen mit Laboruntersuchungen wurden bei verschiedenen Dosierungen beobachtet, jedoch konnte das Risiko bei Dosierungen unter 150 Mikrogramm pro Tag (orale Anwendung) und 60 Mikrogramm pro Tag (parenterale Anwendung) aufgrund der unzureichenden Datenlage vom PRAC nicht abschließend bewertet werden. Da Biotin überwiegend über den Urin ausgeschieden wird, ist bei Patienten mit Niereninsuffizienz von höheren Biotinkonzentrationen im Blut, längeren Halbwertszeiten und von einem höheren Risiko für klinisch signifikante Interferenzen auszugehen.
Apotheker sollen bei Biotin informieren
Bei der Abgabe von biotinhaltigen Produkten sollten Apotheker die Patienten über das Risiko verfälschter Laborwerte informieren. Hierbei sollten die vielfältigen Anwendungsbereiche von Biotin als Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel (NEM) beachtet werden. Biotin wird in zahlreichen NEM angeboten, daneben findet es Einsatz bei Biotinmangelzuständen als Arzneimittel (Holocarboxylase-Synthetase- und Biotinidasemangel) oder für den täglichen Bedarf in der parenteralen Ernährung Anwendung. Hochdosis-Biotintherapien vom 300 mg Biotin täglich untersuchen klinische Studien derzeit bei Patienten mit Multipler Sklerose.
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