DGRA-Jahreskongress

Die Sorgen der EMA im Brexit-Interim

Remagen - 28.05.2019, 15:30 Uhr

EMA-Chef Guido Rasi erklärte in der Deutschen Gesellschaft
für Regulatory Affairs (DGRA), mit welchen Problemen die EMA im Zuge des Brexits zu kämpfen hat. (Foto: imago images / Globallmagens)

EMA-Chef Guido Rasi erklärte in der Deutschen Gesellschaft für Regulatory Affairs (DGRA), mit welchen Problemen die EMA im Zuge des Brexits zu kämpfen hat. (Foto: imago images / Globallmagens)


Bis ein Arzneimittel vom Reagenzglas über das Tierlabor und eine Einrichtung der klinischen Forschung zur Zulassung gelangt, muss es zahlreiche Hürden nehmen. Dieser Hindernislauf wird von „Regulatory Affairs“-Experten betreut, und zwar beiderseitig von Industrie-und Behörden-Seite. In der Deutschen Gesellschaft für Regulatory Affairs (DGRA) pflegen diese Experten einen regen Austausch. Sie haben sich kürzlich zu ihrem Jahreskongress in Bonn getroffen.

Zum wiederholten Mal war in diesem Jahr der Direktor der Europäischen Arzneimittelagentur Guido Rasi zu Gast beim DGRA-Jahreskongress. Der Umzug der EMA von London nach Amsterdam sei physisch abgeschlossen, berichtete Rasi den deutschen Regulatory Affairs-Fachleuten, aber die EMA habe in diesem Übergangsjahr noch einiges vor sich. Der EMA-Direktor lobte die Interimsräumlichkeiten, die die Agentur in Amsterdam zunächst beziehen musste, bis das neue Gebäude im November dieses Jahres fertig wird. Es gehe dort allerdings etwas beengter zu als in London.

EMA braucht dringend neues Personal

Außerdem kämpft die EMA nach wie vor mit dem großen Personalverlust. Zum Stand Ende April 2019 beläuft sich die Zahl der Mitarbeiter auf 791, von denen 451 (57 Prozent) bereits in Amsterdam tätig sind. 312 (39 Prozent) befinden sich weiterhin an einem Telearbeitsplatz in London. 125 Beschäftigte haben die Agentur bereits verlassen. Zwar konnten rund 80 Stellen bereits wiederbesetzt werden, aber nach Rasi´s Einschätzung könnte sich der Personalengpass bis zum Jahresende noch verschärfen. Er rechnet insgesamt mit einem Verlust eines Viertels der Belegschaft. Damit käme die Agentur unter das Limit von 772, das laut Rasi für die Aufrechterhaltung der Kernaktivitäten mit der höchsten Priorität (Kategorie 1) braucht.

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400 zentrale Zulassungen an EU 27-Behörden übertragen

Daneben musste die ranghöchste europäische Arzneimittelbehörde in den letzten beiden Jahren auch noch die Folgen des Brexits für die europäischen Zulassungen bewältigen. Wie die EMA zwischenzeitlich mehrfach berichtete, wurden die Behörden-Rapporteurships für insgesamt 400 zentrale Zulassungen, für die ein Transfer in ein EU 27-Mitgleidsland notwendig war, erfolgreich übertragen. Lediglich vier stehen noch aus. Bei den nationalen Zulassungen, die auf einem gegenseitigen Anerkennungsverfahren (MRP) oder einem dezentralen Verfahren (DCP) beruhen, sieht es noch nicht ganz so gut aus.

Nachholbedarf an allen Ecken und Enden

Notgedrungen hat die EMA ihre Aktivitäten für den Übergangszeitraum zurückgefahren. So musste laut Rasi die Arbeit an fast 120 Leitlinien zu Humanarzneimitteln und 24 Leitlinien zu Tierarzneimitteln vorübergehend ausgesetzt werden. Dasselbe gilt für die Veröffentlichung neuer Daten aus klinischen Studien. Er sorgt sich zudem über den großen Nachholbedarf der EMA hinsichtlich der IT-Infrastruktur. Dringend benötigte Updates befänden sich in der Warteschleife und eine Modernisierung dieses kritischen Teils sei dringend erforderlich. Weiterhin müsse das Mitarbeiter-Training wieder in Gang kommen. Derzeit würden aus Kapazitätsgründen hauptsächlich die Neuankömmlinge ausgebildet. Bei seiner Juni-Sitzung wolle das Management Board diskutieren, wie und wann die Aktivitäten der Agentur nach und nach wieder hochgefahren werden könnten.

„Aber die Briten sind immer noch da“

Auch Christa Wirthumer-Hoche beklagte in ihren Ausführungen die negativen Folgen des Brexit-Desasters. Die Leiterin der Österreichischen Arzneimittelagentur (AGES Medizinmarktaufsicht) bekleidet derzeit den Vorsitz des Management Boards der EMA.  „Wir hatten uns auf den Übergang Ende März vorbereitet, aber die Briten sind immer noch da“, sagte Wirthumer-Hoche. Nun müsse man mit dem weiteren Aufschub umgehen, ohne zu wissen, was am Ende herauskommt. Es gebe daher keinen Grund, sich entspannt zurückzulehnen, mahnte sie. Der harte Brexit sei nach wie vor nicht aus der Welt, und man könne Ende Oktober noch einmal vor derselben Situation stehen. Ebensowenig gelöst sei das Problem der Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten nach dem Ausscheiden von UK aus der EU, wobei es für Arzneimittel ihrer Meinung nach noch besser aussehen könnte als für Medizinprodukte.

Praktikable Lösungen absehbar

Immerhin zeichne sich ab, dass für manche Verwerfungen praktikable Lösungen gefunden werden könnten. So würden die Zulassungen, für die die notwendigen Transfers von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten in die EU 27 nicht bis zum Brexit-Stichtag vorgenommen wurden, nicht automatisch ungültig. Dies erfordere vielmehr eine aktive Entscheidung der EMA bzw. der nationalen Behörden.

Für die in UK durchgeführten Qualitätskontrollen und Chargenfreigaben stellte Wirthumer-Hoche in Aussicht, dass wohl für eine begrenzte Zeit Ausnahmegenehmigungen erteilt werden könnten. Die verantwortliche Person für die Chargenfreigabe müsse allerdings in der EU 27 ansässig sein, und bis Ende dieses Jahres müsse die Umlegung erfolgt sein. Auf lange Sicht sei dann ein Abkommen über die gegenseitige Anerkennung (Mutual Recognition Agreement, MRA) geplant. Solche Abkommen gibt es bereits mit anderen Drittstaaten wie der Schweiz, den USA und Kanada.

Modernisierungsschub steht bevor

Rasi erwartet für die Zukunft bahnbrechende Umwälzungen für die Arbeit der Agentur, die durch moderne Therapieformen, wie die Gen-und Zelltherapie und andere Arzneimittel für neuartige Therapien sowie die Einbindung von Real World Evidenz in die klinische Beurteilung von Arzneimitteln und durch die personalisierte Medizin getrieben werden. Der EMA-Direktor berichtete von 500 klinischen Studien mit Arzneimitteln für neuartige Therapien in der EU. 14 hätten bereits eine positive Empfehlung für die Zulassung erhalten. 

Die „Regulatory Science Strategy to 2025“

Für alle diese Entwicklungen ist das derzeitige System nach Einschätzung der Regulatory Affairs-Experten nicht fit und flexibel genug. Aller Voraussicht nach wird das europäische Arzneimittelrecht deswegen in den nächsten fünf Jahren erneut revidiert werden müssen. Um diesen Prozess mitzugestalten, braucht die EMA nicht nur den Input aus der eigenen regulatorischen Praxis, sondern auch Informationen und Vorschläge aus der Industrie und Forschungseinrichtungen. Rasi verwies an dieser Stelle auf den Entwurf der „Regulatory Science Strategy to 2025“, den die EMA im Dezember 2018 veröffentlicht hat

Die Frist zur Stellungnahme läuft noch bis zum 30. Juni 2019. Sowohl er als auch Wirthumer-Hoche appellierten dringend an das Auditorium der deutschen Regulatory Affairs-Fachleute, die Möglichkeit wahrzunehmen und ihre Anliegen vorzutragen. „Ich hoffe nächstes Jahr wiederkommen zu können, um Sie über die Zukunft zu informieren und nicht über die Vergangenheit“, resümierte Rasi.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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