EU-Kommission kündigt neuen Warnhinweis an

Titandioxid: Nicht einatmen – und auch nicht schlucken?

Stuttgart - 23.09.2019, 10:15 Uhr

Laut BfR wird Titandioxid weltweit im Millionen-Tonnen-Maßstab produziert. Knapp 90 Prozent des Titandioxids wird als Weißpigment für die Herstellung von Lacken, Farben und Druckfarben sowie Kunststoffen und Papier verwendet, weitere 10 Prozent für Kosmetika, Lebens- und Futtermittel sowie Arzneimittel. (c / Foto: Vantsura /stock.adobe.com)

Laut BfR wird Titandioxid weltweit im Millionen-Tonnen-Maßstab produziert. Knapp 90 Prozent des Titandioxids wird als Weißpigment für die Herstellung von Lacken, Farben und Druckfarben sowie Kunststoffen und Papier verwendet, weitere 10 Prozent für Kosmetika, Lebens- und Futtermittel sowie Arzneimittel. (c / Foto: Vantsura /stock.adobe.com)


Wer in letzter Zeit die Medien aufmerksam verfolgt hat, dem dürfte als Apothekenmitarbeiter eine relativ aufgeregte Diskussion der Chemieindustrie um Titandioxid aufgefallen sein. Zum Einsatz kommt Titandioxid nicht nur in Farben, Lacken, Putz oder Mörtel, es handelt sich auch um einen weit verbreiteten Hilfsstoff in Tabletten oder auch Sonnencreme. EU-weit soll der Stoff in Pulverform künftig einen Warnhinweis tragen, dass er krebserregend ist, wenn er eingeatmet wird. Frankreich will Titandioxid ab 2020 in Lebensmitteln nicht mehr in Form von Nanopartikeln zulassen. Diese Entwicklungen dürften auch die pharmazeutische Industrie beschäftigen.

Wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) am Donnerstag meldete, soll der sehr weit verbreitete Farbstoff Titandioxid in Pulverform nach dem Willen der EU-Kommission künftig einen Warnhinweis tragen. Die Festlegung habe die Brüsseler Behörde nach letzten Gesprächen mit den EU-Staaten und Interessenvertretern getroffen. Die formale Entscheidung solle im Oktober fallen, hieß es. Danach folgen aber noch mindestens 20 Monate Vorlauf, bis die neue Pflicht gilt.

Titandioxid wird unter anderem zur Herstellung von Farben, Lacken, Putz oder Mörtel verwendet. Die EU-Kommission folgt einer Beurteilung der europäischen Chemikalienagentur ECHA von 2017, wonach der Stoff in Pulverform krebserregend ist, wenn er eingeatmet wird. Ein Kommissionssprecher stellte klar, dass Titandioxid nicht verboten wird, sondern künftig einen Hinweis auf die Krebsgefahr tragen muss.

Kein Verbot aber ähnliche Konsequenzen?

Der Verband der deutschen Lack- und Druckfarbenindustrie warnte allerdings, nach der neuen Einstufung könnte die Nutzung in Deckmal-Farbkästen und Straßenmalkreiden für Kinder womöglich ausgeschlossen werden. „Wir haben nicht den Eindruck, dass die Kommission weiß, welche Auswirkungen ihr neuer Vorschlag hat. Es braucht daher unbedingt eine Abschätzung der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Folgen, wie sie eigentlich für Maßnahmen mit derart erheblichen Folgen vorgesehen ist”, erläuterte Dr. Martin Engelmann, Hauptgeschäftsführer des Verbands der deutschen Lack- und Druckfarbenindustrie e.V. (VdL) in der entsprechenden Mitteilung.

Aus Sicht der Apotheken wäre beispielsweise interessant, ob auch Sonnencremes zum Aufsprühen, die so eingeatmet werden können, einen entsprechenden Warnhinweise tragen müssten.

Auch der Verband der Chemischen Industrie (VCI) kritisiert die Pläne der EU-Kommission als überzogen und zweifelt an der wissenschaftlichen Grundlage. Die ausschlaggebende Studie sei mehr als 20 Jahre alt, und dabei hätten Ratten über einen sehr langen Zeitraum staubförmiges Titandioxid einatmen müssen. Zudem begründete Gerd Romanowski, VCI-Geschäftsführer Technik und Umwelt, den Vorschlag der Branche in der Mitteilung so: „Die EU-Kommission sollte im Sinne des Binnenmarktes einen Europa-einheitlichen Arbeitsplatzgrenzwert für schwer lösliche Stäube festlegen, statt einen wissenschaftlich nicht fundierten Präzedenzfall zu schaffen.“ Nach Auffassung des VCI handelt es sich nicht um eine stoffspezifische Wirkung des Weißpigments, sondern um eine allgemeine Wirkung von Stäuben auf die Lunge. 

Unabhängig von der Nutzung in Lacken, Farben und Baumaterialien läuft auf EU-Ebene auch eine Debatte über Titandioxid in Lebensmitteln. Der weiße Farbstoff kommt zum Beispiel in Kaugummis, Zahnpasta oder Mozzarella vor, schreibt die dpa weiter: Hier geht es nicht um Gefahren durch Einatmen, sondern die mögliche Aufnahme von Nanopartikeln im Körper. Frankreich will Titandioxid ab 2020 in Lebensmitteln nicht mehr zulassen. Eine einheitliche Haltung der EU gibt es aber noch nicht. 

Das Weißpigment in Nahrungsmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln und Arzneimitteln

Seit dem 4. September 2019 fordert Foodwatch e.V. zum Rückruf von Dr. Oetker-Produkten auf. Konkret geht es um ein Kuchen-Deko-Produkt, das nachweislich zu 100 Prozent Titandioxid in Nanopartikel-Form enthalten soll. Foodwatch zufolge sei es „wissenschaftlich unbestritten, dass Titandioxid herstellungsbedingt praktisch immer Nanopartikel enthält“. Das belege auch ein Test der EU-Lebensmittelbehörde (EFSA), der in allen untersuchten Produkten Nanopartikel gefunden habe. 

Dr. Oetker erwecke den Eindruck, das Unternehmen müsse noch an Alternativen zu E171 (Titandioxid) arbeiten. Dabei sei der Zusatzstoff komplett verzichtbar, andere Hersteller sollen schon heute ohne Titandioxid produzieren: „Zudem gibt es unbedenkliche Ersatzstoffe wie etwa Reisstärke. In Bio-Lebensmitteln ist Titandioxid grundsätzlich verboten“, schreibt Foodwatch.

Orale Aufnahme: EFSA und BfR sehen kein Risiko, aber Forschungsbedarf

Die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) vertritt hingegen die Auffassung, dass die verfügbaren Daten keine Hinweise auf Gesundheitsbedenken für Verbraucherinnen und Verbraucher geben, das räumt auch Foodwatch ein. Allerdings sehen sowohl die EFSA als auch das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), dass weiterer Forschungsbedarf besteht. Konkret geht es um eine kleine Zahl von Studien, die mögliche negative Auswirkungen auf das Fortpflanzungssystem nahegelegt hätten. Langfristig soll eine akzeptable tägliche Aufnahmemenge des Lebensmittelzusatzes E171 (Titandioxid) bestimmt werden. 

Andererseits berichtete 2017 das Ärzteblatt über eine Studie, die zumindest für Patienten mit chronischen Darmerkrankungen ein gewisses Risiko aufzeigte. Nanopartikel aus Titandioxid hätten in in einem Mäusemodell eine akute Darmentzündung verstärkt: „Der Zusatzstoff gelangte infolge einer gestörten Darmbarriere ins Blut und wurde in der Milz abgelagert. In Gut (2017; doi: 10.1136/gutjnl-2015-310297) raten Gastroenterologen Patienten mit chronischen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa, Nahrungsmittel mit E 171 zu meiden.“ Zur Erklärung: Gut ist die offizielle Zeitschrift der British Society of Gastroenterology und eine der führenden internationalen Fachzeitschriften für Gastroenterologie und Hepatologie.

In Sonnencremes kein Problem?

Was das Thema Sonnencreme angeht, gilt Titandioxid aber weiterhin als sicher. Erst im Mai 2019 veröffentlichte die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA im Journal JAMA entsprechende Ergebnisse, die Titandioxid und Zinkoxid als allgemein sicher und wirksam anerkennen. Bereits im März 2014 schrieb auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) auf die Frage, ob Sonnencreme mit UV-Filtern in Nanogröße für Babys verwendet werden darf:  


„Obwohl das Wissen zu möglichen Risiken von Nanomaterialien zum Teil noch lückenhaft ist, ist die Wirkung von Substanzen in Nanopartikel-Größe auf die menschliche Haut vergleichsweise gut erforscht. Gesunde Haut können die winzigen Teilchen nicht durchdringen, so dass ihr Einsatz in UV-Filtern für Sonnenschutzmittel gesundheitlich unbedenklich ist.“

BfR


Grundsätzlich sollten Kinder unter zwei Jahren aber nur dann mit Sonnenschutz eingecremt werden, wenn eine direkte Sonnenexposition nicht verhindert werden kann.

Mehr zum Thema

DAZ.online Spezial: Sonnenschutz

Sonnencreme und Babyhaut: Warum weniger mehr ist

Auch wenn man im Internet auf keine breite Diskussion der pharmazeutischen Industrie stößt, so gibt es doch Hinweise, dass auch sie sich mit dem Thema Titandioxid auseinandersetzt. So bot das Nachrichteportal PharmTech.com beispielsweise schon im Juli 2019 ein Seminar mit dem Titel „Science or Hype? Navigating the Questions about Titanium Dioxide Safety“ an. Denn Titandioxid ist auch als Weißpigment in Filmüberzügen von Nahrungsergänzungsmitteln oder Arzneimitteln enthalten.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


2 Kommentare

Titandioxid

von Heinz Pietzonka am 18.01.2020 um 22:30 Uhr

Wieso wird in Frankreich Titandioxid ab diesem Jahr in
Nahrungsmitteln, Süßigkeiten, Medikamenten etc verboten
und das restliche Europa darf oder muss ( bei Medikamenten )
diesen unter Krebsverdacht stehenden Stoff weiter zu sich
nehmen ? Ein Verbot in einem europäischen Land sollte
auch für ganz Europa gelten.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Titandioxid-Nanopartikel in Lebensmitteln und Farben

von Norbert Veicht am 24.09.2019 um 9:32 Uhr

Ich verstehe nicht ganz, warum man die Nanopartikel nicht einfach durch Sieben oder Zentrifugieren abtrennt. Nanopartikel sind als weiße Farbpartikel sowieso nicht richtig zu gebrauchen, weil sie das sichtbare Licht nicht mehr vollständig reflektieren. Das ist also eigentlich unbrauchbarer Ausschuss. Es kann also nur eine Preisfrage sein. Anscheinend ist für diese Produkte selbst so ein geringer Aufwand schon zu viel.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.