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Teuerstes Arzneimittel der Welt
Zolgensma: Kassen fordern Härtefallprogramm auf Herstellerkosten
Zolgensma® von Novartis macht seit einiger Zeit auch in Deutschland Schlagzeilen: Das Gentherapeutikum für Kinder mit Spinaler Muskelatrophie gilt als das teuerste Arzneimittel der Welt. Während es in den USA seit Mai zugelassen ist, ist man in Europa noch nicht so weit. Dennoch zahlen erste Kassen die Behandlung – wohl auch wegen des medialen Drucks. In einem Brief an den Bundesgesundheitsminister fordert nun ein Bündnis aus Kassen, Gemeinsamem Bundesausschuss und Universitätsklinika gesetzliche Regelungen für Fälle wie diese.
Der kleine John aus Sebnitz, der einjährige Michael aus Ludwigsburg und der zweijährige Mustafa aus Hannover – sie alle leiden an einer seltenen Erkrankung, spinaler Muskelatrophie (SMA). Seit kurzem gibt es mit Zolgensma® (Onasemnogene Abeparvovec-xioi) ein neues Arzneimittel, das mit nur einer Spritze Heilung verspricht. Das Problem: Diese eine Spritze kostet rund 2 Millionen Euro – und während die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA dem Gentherapeutikum im vergangenen Mai die Zulassung erteilte, ist die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) noch nicht so weit. Novartis rechnet im ersten Quartal 2020 mit einer positiven Entscheidung des CHMP bei der EMA. Bis dahin kann das Arzneimittel nur als Einzelimport bezogen werden.
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Für die Eltern der betroffenen Kinder eine schlimme Situation: Es gibt ein Arzneimittel, das helfen kann, aber wer soll es bezahlen? Sie starteten Aktionen mit der Presse und im Internet, sammelten Spenden und viel Aufmerksamkeit. Am Ende erklärten sich die Kassen bereit, die Kosten für das nicht zugelassene Arzneimittel zu übernehmen.
Vereinter Appell an den Bundesgesundheitsminister
Doch die in den Medien losgetretene Welle ist den Krankenkassen offensichtlich nicht geheuer. Die nächsten Eltern fordern bereits öffentlichkeitswirksam die Therapie für ihre erkrankten Kinder ein. Nun hat sich ein Bündnis aus Kassen (GKV-Spitzenverband, AOK Bundesverband, BKK Dachverband, Knappschaft, IKK, vdek, Knappschaft, Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau) dem Verband der Universitätsklinika Deutschlands und Gemeinsamem Bundesausschuss (G-BA) in dieser Angelegenheit an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gewandt. In einem Brief, der nebenbei auch an die Gesundheitspolitiker der Regierungsfraktion adressiert ist, beziehen sie zur aktuellen Situation Stellung – und werben für eine gesetzliche Regelung.
Wie ist also die Situation? Die SMA ist mit einer Inzidenz von etwa 1:10.000 Neugeborenen eine seltene Erkrankung, deren Krankheitsverlauf bei Säuglingen unbehandelt rasch fortschreitet und zu einer generalisierten Muskelschwäche und Lähmung der Atemmuskulatur mit Todesfolge führt. Allerdings ist Zolgensma® nicht die einzige Behandlungsmöglichkeit: Seit 2017 steht mit Nusinersen (Spinraza®) ein in Deutschland zugelassenes Medikament zur Verfügung, das regelmäßig verabreicht werden muss. Der G-BA hat für Spinraza® für die fragliche Patientengruppe einen „erheblichen Zusatznutzen“ festgestellt. Die Wirksamkeit von Zolgensma® sei wahrscheinlich mit der von Spinraza® vergleichbar, heißt es in dem Brief von Kassen, Kliniken und G-BA – oder könnte diesem überlegen sein. Direkte vergleichende Studien lägen jedoch nicht vor. Und ohne Risiken sei die neue Therapie keineswegs. Und so erklärten die Unterzeichner sehr deutlich:
Angesichts der erheblichen Renditen, die mit Arzneimitteln für neuartige Therapien (ATMP) insgesamt und bereits absehbar insbesondere auch mit Zolgensma® erzielt werden, kann es nicht ohne Widerspruch hingenommen werden, wenn bereits ohne eine Zulassung anstelle eines Härtefallprogramms (Compassionate Use) über eine beispiellose Medienkampagne ein erheblicher Druck auf Krankenkassen und Ärzte entfaltet wird, das nicht zugelassene Medikament zu Lasten der Versichertengemeinschaft vorab einzusetzen“.
Blaupause für weitere neue Arzneimittel?
Die Unterzeichner halten das derzeit zu beobachtende Vorgehen aus vielerlei Hinsicht für bedenklich: Unter anderem wegen der Unsicherheiten zu Wirksamkeit und Sicherheit und den erheblichen haftungsrechtlichen Risiken für den behandelnden Arzt bei einem Einzelimport. Zudem fürchten sie, dass die aktuelle Entwicklung mit Zolgensma® eine „Blaupause“ für weitere neue Arzneimittel sein könnte, die eine entsprechende relevante Marktpenetration noch vor Zulassung anstreben – „und damit nicht nur die Zulassung, sondern auch die Verfahren des Gemeinsamen Bundesausschuss wie auch zum geregelten Erstattungsbetrag aushebeln“.
Grundsätze für ein verbindliches Verfahren
Vor diesem fordern Kassen und G-BA ein verbindliches Verfahren für den Einsatz von Zolgensma®. So müsse die Indikationsstellung sehr kritisch im konkreten Einzelfall gestellt werden und dabei die bestehende Behandlungsalternative berücksichtigt werden. Die Indikationsstellung müsse durch Experten im Benehmen mit dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung erfolgen. Zudem dürften die Arzneimittelabgabe und die weitere Therapie ausschließlich in hochspezialisierten Zentren stattfinden, die Behandlungsverläufe seien zu dokumentieren. Die Rahmenbedingungen für eine qualitätsgesicherte Anwendung der komplexen Gentherapie seien zeitnah durch den G-BA unter Berücksichtigung der zuständigen Fachgesellschaften festzulegen. Grundsätzlich dürften nicht zugelassene Arzneimittel nur in den Fällen zulasten der GKV verordnet werden, bei denen unmittelbare Lebensgefahr ohne erfolgversprechende Alternativtherapie besteht (vgl. § 2 Abs. 1a SGB V). Nicht zuletzt fordern die Unterzeichner den Hersteller Novartis zu einem Härtefallprogramm zu verpflichten. Denn die Kostentragung für eine Anwendung nicht zugelassener Arzneimittel liege im Verantwortungsbereich des Herstellers. Solle das Arzneimittel vor der europäischen Zulassung verabreicht werden, könne dies nur im Rahmen eines Härtefallprogramms erfolgen, bei dem unter Studienbedingungen eine qualitätsgesicherte Anwendung gesichert werde.
Da zu erwarten sei, dass die vorliegende Konstellation in der näheren Zukunft erneut auftreten wird, regen die Kassen und ihre Mitstreiter an, diese Grundsätze, insbesondere die Verpflichtung der Hersteller, ein Härtefallprogramm aufzulegen, gesetzlich zu regeln.
Damit würde perspektivisch für alle Beteiligten Klarheit über das Vorgehen bestehen. Die Sicherstellung und Finanzierung qualitativ hochwertiger Arzneimitteltherapie muss auf dem Stand des medizinischen Wissens und der gesetzlichen Vorgaben erfolgen und darf nicht in die Abhängigkeit von Pressekampagnen abgleiten“.
Spahn möge daher kurzfristig seine Erwartung an den Einsatz von Zolgensma® im Sinne der genannten Grundsätze äußern – und entsprechend auf das anbietende Pharmaunternehmen einwirken.
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