Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz

Große Koalition will frühe Nutzenbewertung für Reserveantibiotika streichen

Berlin - 25.11.2019, 17:00 Uhr

Union und SPD wollen dafür sorgen, dass es für Pharmafirmen mehr Anreize zur Erforschung von Reserveantibiotika gibt. (b/Foto: imago images / Westend61)

Union und SPD wollen dafür sorgen, dass es für Pharmafirmen mehr Anreize zur Erforschung von Reserveantibiotika gibt. (b/Foto: imago images / Westend61)


Studien der europäischen Seuchenbehörde zufolge sterben in Europa pro Jahr mehr als 33.000 Menschen an den Folgen einer Infektion mit einem multiresistenten Erreger. Die Zahl der neu zugelassenen Antibiotika hat sich in den vergangenen 20 Jahren aber verringert. Damit künftig mehr Reserveantibiotika auf den Markt kommen, will die Große Koalition nun dafür sorgen, dass Pharmafirmen wirtschaftliche Anreize bekommen. Die Präparate sollen von der frühen Nutzenbewertung ausgenommen werden.

Die frühe Nutzenbewertung wurde mit dem Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) 2011 eingeführt. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat seitdem den Auftrag, Beschlüsse über den Zusatznutzen neuer Arzneimittel im Markt zu treffen. Unter anderem auf Basis dieses Zusatznutzens können der jeweilige Hersteller und die Krankenkassen dann die Verhandlungen für einen Erstattungsbetrag führen. Es gilt: Je größer der Zusatznutzen, desto besser sind die Argumente der Hersteller in den Preisverhandlungen.

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Von dieser Regelung ausgenommen wurden damals einzig die Orphan Drugs. Die Idee dahinter: Für Pharmafirmen sollte es damals Anreize geben, seltene Krankheiten weiter zu erforschen. Bei Arzneimitteln zur Behandlung einer seltenen Krankheit gilt der Zusatznutzen mit der Zulassung automatisch als belegt. Die Nutzenbewertung erfolgt trotzdem, hier geht es aber nur noch um das Ausmaß des Zusatznutzens. Nun könnte es schon bald eine zweite Ausnahme geben: Reserveantibiotika. DAZ.online liegt eine Formulierungshilfe zu einem Änderungsantrag für das Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz (GKV-FKG) vor, mit dem bestimmte Antibiotika künftig nicht mehr den Prozess der Nutzenbewertung durchlaufen müssen. Ihr Mehrwert soll automatisch als belegt gelten.

Das GKV-FKG soll Mitte Februar 2020 im Bundestag beschlossen werden, die erste Lesung im Parlament ist für Mitte Dezember vorgesehen. Nach Informationen von DAZ.online ist der Änderungsantrag zu den Reserveantibiotika allerdings noch nicht konsentiert – ebenso wie die anderen Anträge zum GKV-FKG, die sich um die Arzneimittel-Lieferengpässe drehen.

RKI und BfArM sollen Kriterien erarbeiten

Die Koalition plant, dass die Hersteller die oben genannten Ausnahmeregelungen beim G-BA beantragen sollen. Das RKI (Robert Koch-Institut) soll im Einvernehmen mit dem BfArM die Kriterien zur Einordnung von Wirkstoffen als Reserveantibiotika erarbeiten. Auf Basis dieser Kriterien kann der G-BA die Freistellung bewilligen, sie aber auch befristen. Beschließt der G-BA die Freistellung von der Nutzenbewertung, gilt der Zusatznutzen als belegt. Der Ausschuss soll sich dabei auch Stellungnahmen aus dem RKI und dem BfArM abholen. Den genauen Ablauf des Verfahrens soll der G-BA in seiner Verfahrensordnung selbst festlegen.

Antrag: Es fehlen wirksame Arzneimittel

Zur Begründung heißt es in dem Antrag:


Aufgrund von Resistenzen gegen vorhandene Antibiotika fehlen vermehrt wirksame Arzneimittel zur Behandlung von Infektionen. Die Resistenzbildung unterscheidet dieses Therapiegebiet wesentlich von anderen Therapiegebieten und erfordert einen sachgerechten Einsatz von Antibiotika und die kontinuierliche Erforschung und Entwicklung neuer Antibiotika. Nur so kann sichergestellt werden, dass bakterielle Infektionen langfristig effektiv behandelbar sind. (...) Neue Therapieoptionen sind jedoch selten. Deshalb wird geregelt, dass Reserveantibiotika im Verfahren zur Bewertung des Nutzens von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen (§ 35a) gesondert behandelt werden.“

Möglicher Änderungsantrag zum GKV-FKG


Mit der Neuregelung solle ein stärkerer Anreiz für die Entwicklung solcher Arzneimittel geschaffen werden, heißt es weiter. Und: Bei der Festlegung der Einordnungskriterien sollen RKI und BfArM die globale Liste multiresistenter Problemkeime und die Klassifikation von Antibiotika der Weltgesundheitsorganisation sowie die Resistenzdaten des RKI und der Zentralstelle für die Auswertung von Resistenzdaten bei systemisch wirkenden Antibiotika (Z.A.R.S.) berücksichtigen. Dadurch werde sichergestellt, dass die Resistenzsituation bei der Entscheidung in der Versorgung berücksichtigt wird.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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1 Kommentar

Zu kurz gesprungen

von Anddani am 25.11.2019 um 18:53 Uhr

Ein globales Problem der multiresistenten Keime lässt sich nicht mit einem nationalen Alleingang lösen. Das Problem ist doch, dass die pharmazeutischen Unternehmen wenig bis gar kein Interesse haben, in einem Bereich zu investieren, wo sie nur wenig bis keine Umsätze generieren können, weil von vorne herein der Einsatz von staatlicher Seite streng reglementiert werden wird.

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