Lager, Touren-Anzahl, Kooperationen

Wie könnte sich der Gehe/Alliance-Deal für die Apotheker auswirken?

Berlin - 18.12.2019, 07:00 Uhr

Schon jetzt wird viel diskutiert über die mögliche Fusion zwischen der Gehe und Alliance Healthcare. Für die Apotheker, die bei einem der beiden Unternehmen bestellen, könnten sich wichtige Fragen ergeben. Wir haben einige Themen analysiert. ( s/ Foto: Gehe/Alliance/DAZ.online)

Schon jetzt wird viel diskutiert über die mögliche Fusion zwischen der Gehe und Alliance Healthcare. Für die Apotheker, die bei einem der beiden Unternehmen bestellen, könnten sich wichtige Fragen ergeben. Wir haben einige Themen analysiert. ( s/ Foto: Gehe/Alliance/DAZ.online)


Wenn das Kartellamt grünes Licht gibt, könnte vielleicht schon im kommenden Jahr der Umbau des deutschen Großhandelsmarktes beginnen. Denn dann wollen zwei der größten Grossisten, Gehe und Alliance Healthcare, fusionieren. Ganz davon abgesehen, dass sich dann die Machtverhältnisse unter den Großhändlern verschieben würden, hätte dies höchstwahrscheinlich auch auf die alltägliche Arbeit der Apotheker großen Einfluss – zumindest jener Apotheker, die bei einem der beiden Unternehmen bestellen. DAZ.online hat mögliche Szenarien durchgespielt. Ein Überblick.

Die beiden US-amerikanischen Mutterkonzerne McKesson und Walgreens Boots Alliance (WBA) haben sich schon geeinigt: In einem möglichen Joint Venture zwischen der Gehe und Alliance soll das WBA-Unternehmen 70 Prozent halten, die Gehe 30 Prozent. Über die konkrete Konstruktion des gemeinsamen Unternehmens ist bislang noch nichts bekannt – schließlich müssen die beiden Konzerne während der Prüfungen des Kartellamtes vorsichtig sein. Sollte der Deal zustande kommen, dürfte ein neuer Branchenriese entstehen, denn gemeinsam hätten Gehe und Alliance Healthcare knapp 30 Prozent Marktanteil. Insbesondere Apotheker, die einen der beiden Großhändler als Erstlieferanten nutzen, werden sich auf Veränderungen einstellen müssen.

Aber welche Auswirkungen könnte der Zusammenschluss konkret für die Apotheker haben? Hier einige mögliche Szenarien:

1) Die Lager. Einen ersten Hinweis auf mögliche gemeinsame Ziele konnte man am vergangenen Montag aus Unternehmenskreisen vernehmen. Demnach wollen Gehe und Alliance in vier großen Bereichen Kosten senken und so gemeinsam sparen. Einer dieser Punkte ist die „Dichte der Großhandelsverteilerzentren“, die sich negativ auf die „Markteffizienz“ auswirke, hieß es aus den Unternehmen. Klar ist: Bislang wurden keine Schließungen solcher Zentren kommuniziert. Dass solche Schließungen anstehen könnten, liegt allerdings auf der Hand.

Insgesamt betreiben die elf vollversorgenden Mitglieder des Bundesverbands des pharmazeutischen Großhandels (Phagro) in Deutschland 111 Großhandelszentren. Dem Vernehmen gehören davon knapp mehr als 40 zu Gehe und Alliance. Ein Blick auf die Verteilung dieser 40 Zentren (s. Abbildung) zeigt, dass sich die beiden Unternehmen in mehreren Regionen sehr nah kommen. Beispielsweise befinden sich unter anderem in Bayern, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Berlin, Sachsen und Sachsen-Anhalt Lager beider Unternehmen, die nicht weit voneinander entfernt sind. In einer ersten Reaktion hatte AEP-Chef Jens Graefe gesagt, dass er von einer Schließung von etwa 20 Zentren ausgehe – jedes zweite Gehe/Alliance-Verteilerzentrum würde demzufolge schließen.

Die Niederlassungen der Pharmagroßhändler in Deutschland

Für die Apotheker sind die Folgen schwer einzuschätzen. Je nachdem wie groß die bleibenden Lager sind, könnte sich an der Touren-Anzahl etwas ändern. Wenn die bleibenden Lager die Kapazitäten des schließenden Lagers problemlos übernehmen können, würde sich wenig ändern. Gibt es diese Kapazitäten nicht, könnte sich für die Pharmazeuten, zumindest in der Übergangszeit, der Service ausdünnen.

Marke, Psychologie, Stunde der Genossenschaften, Touren

2) Die Marke und die Psychologie. In dem gemeinsamen Joint Venture soll der WBA-Konzern mit Alliance die Mehrheit übernehmen. Das könnte wiederum zur Folge haben, dass auch der gesamte Markenauftritt für den dann fusionierten Großhändler geändert wird. Aus den blauen Wannen könnten dann gelbe werden. Aus der „gesund leben“-Kooperation könnten dann „Alphega“-Apotheken werden. Noch gibt es keine konkreten Hinweise darauf. Sollte es so kommen, wäre es für viele eingefleischte Gehe-Apotheker aber ein großer, schwieriger Schritt. Die Gehe-Kooperation zählt rund 2100 Mitglieder, viele Apotheker sind seit Jahrzehnten überzeugt dabei. Gerade diesen Pharmazeuten wäre es sicherlich schwer zu erklären, dass die Gehe-Marke nicht mehr länger existiert.

3) Die Stunde der Genossenschaften? Nicht nur eine Vereinheitlichung der Marken, sondern auch die gesamte Marktentwicklung könnten viele Apotheker zum Nachdenken bringen: Will ich meine Arzneimittel auch in Zukunft von einem Unternehmen beziehen, dessen Mutterkonzerne multinationale Pharmahändler sind und (zumindest in anderen Ländern) auf die Effizienz von Apothekenketten schwören? Viele Inhaber, die dann ins Grübeln kommen, könnten langfristig über einen Wechsel ins Lager der Genossenschaften nachdenken. Zur Erklärung: Der politische Kampf der Noweda für die Apotheke vor Ort und das Rx-Versandverbot sind nicht nur aus politischer Sicht wichtig – für die Noweda selbst dürfte er sich auch Marketing-technisch gelohnt haben. Passend dazu war es die Noweda, die sich nur wenige Stunden nach Bekanntwerden des geplanten Joint Ventures zu Wort meldete und vor dem Einfluss US-amerikanischer Großinvestoren warnte. Auch die Genossenschaft Sanacorp stimmte mit ein: Der „wichtige und ausbalancierende Gegenpol“ zu den „Global Player“ sei das genossenschaftliche Lager, hieß es dort. Konkret heißt das: Im Großhandelsmarkt könnten sich auf lange Sicht zwei große Lager bilden: die Genossenschaften und die fremdfinanzierten Pharmahandelskonzerne.

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4) Die Anzahl der Touren. Erst vor wenigen Wochen erklärte Gehe-Chef Dr. Peter Schreiner im DAZ.online-Interview – damals allerdings mit Blick auf den Klimaschutz – dass er „Effizienzreserven“ im derzeitigen Belieferungssystem der Apotheken sehe. Mit dem Zusammenschluss von Gehe und Alliance würde sich in diesem Bereich definitiv etwas bewegen. Denn einer der oben genannten vier Spar-Bereiche der beiden Konzerne liegt, so heißt es aus Unternehmenskreisen, auch bei den „anspruchsvollen Lieferpraktiken“. Klar ist: Aufgrund des Rabattvertragssystems ist es für die Apotheker selbst ohne Lieferengpässe quasi unmöglich, alle gefragten Produkte vor Ort zu haben. Das heißt: Je mehr Rabattverträge, desto mehr Großhandelsbestellungen. Die Großhändler selbst liegen der Politik allerdings schon seit Jahren damit in den Ohren, dass sich ihr Honorar seit 2011 nicht geändert hat und gleichzeitig neue Verpflichtungen dazu gekommen sind. Um Kosten zu senken, werden die beiden Unternehmen wohl ziemlich schnell an ihrer Lieferfrequenz ansetzen. Was das für die Apotheker bedeutet, ist klar: Längerfristig planen, größere Bestellmengen aufgeben, Kunden vertrösten.

Die Folgen des Mega-Umbaus

5) Die Kosten. Hört man sich in der Großhandelsbranche um, stößt man immer wieder auf eine Frage: Können Gehe und Alliance überhaupt so viel sparen, um die zu erwartenden Umbaukosten wieder reinzuholen? Die Frage ist relevant, schließlich haben sich beide Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten eigene Systeme aufgebaut, die im Falle einer Fusion allesamt vereinheitlicht werden müssten. Man denke nur an die internen Lagersysteme oder an die gesamte IT-Struktur, zu der auch die Bestellsysteme – also die Brücke zu den Apotheken – gehören. Kurzum: Der Zusammenschluss der beiden Konzerne ist ein Mega-Projekt, das lange andauern wird. Die Kosten dieses Umbaus werden hoch sein. Für die Apotheker stellt sich hier automatisch die Frage: Werden Gehe/Alliance die Umbaukosten auf mich abwälzen, etwa in Form verschlechterter Konditionen?

6) Das mögliche Chaos. Noweda-Kunden werden sich vielleicht noch an den 18. November dieses Jahres erinnern. An diesem Tag schmierte das gesamte Online-Bestellsystem der Genossenschaft ab, stundenlang konnten die Apotheker nicht mehr bestellen. Mit Blick auf den oben beschriebenen, sehr ausführlichen Umbau und die Vereinheitlichung zweier unterschiedlicher Großhandelssysteme, ist das ein Szenario, vor dem sich Apotheker sicherlich fürchten. Natürlich ist es möglich, dass Gehe und Alliance ihre beiden IT-Welten problemlos im Hintergrund vereinheitlichen und dann innerhalb eines Knopfdrucks gemeinsam live gehen – ohne dass es zu negativen Auswirkungen für die Apotheker kommt. Denkbar ist aber auch, dass es beim Umbau zu technischen Problemen kommt und diese sich unmittelbar auf die Lieferfähigkeit und somit auf die Versorgung der Patienten auswirken.

7) Die möglichen positiven Effekte. Vielleicht wird es für die Apotheker auch einige positive Effekte geben, die sich aus einem möglichen Deal ergeben. Wenn es stimmt, dass die Gehe als Gegenleistung für die Mehrheitsverhältnisse im Joint Venture eine größere Einmalzahlung von WBA kassiert, dürfte die Gehe in den kommenden Jahren viel investieren. Das hat das Unternehmen in einem Brief an seine Kunden zumindest auch angekündigt. Den Apothekern stehen viele große Umstellungen ins Haus mit der Einführung des E-Rezeptes und der Anbindung an die Telematikinfrastruktur. Mit mehr Kapital in der Hinterhand könnte die Gehe hier neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln und anbieten, die den Apothekern bei diesen Umstellungen helfen.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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