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„Historische Apotheken – neu betrachtet“ – Teil 4
Medikamente für englische Schiffe – so fing alles an
Historische Apotheken stehen auch für eine Vielzahl kleinerer und größerer Ereignisse. Häufig sind historische Daten von Generation zu Generation überliefert worden. Manches Interessante und manches Überraschende ist damit verbunden. Wie kann es gelingen, dass Apotheken auch heutzutage noch etwas von ihrer Geschichte transportieren können? Teil 4 der DAZ-Serie: Roth’s alte englische Apotheke in Hamburg – beeindruckt nicht nur durch ihre ungewöhnliche Offizin im Dampferstil.
In der Hamburger Innenstadt, prominent am Jungfernstieg gelegen, befindet sich eine historische Apotheke mit einem maritimen Bezug, wie er besonders gut in die Hansestadt zu passen scheint: Roth’s alte englische Apotheke. Die alteingesessene Apotheke mit dem markanten Namen wird seit mehr als 30 Jahren von Rüdiger Bettin geleitet. Der gebürtige Lübecker berichtet DAZ.online von den maritimen Bezügen seiner Apotheke, von amüsanten Geschichten rund um den Apothekennamen, von Vorteilen einer historischen Apothekeneinrichtung und dem Anspruch, trotz Verbundenheit zur Geschichte, immer auf der Höhe der Zeit zu sein.
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Seit 1786 eine Institution in Hamburgs Innenstadt
Seit 1786 gibt es bereits Roth’s alte englische Apotheke. Sie wurde vom Medizinalrat Dr. Wendelin Roth gegründet. Der heutige Eigentümer Rüdiger Bettin berichtet DAZ.online von der Entstehungsgeschichte – soweit überliefert. Damals sei die Apotheke noch nicht an ihrem heutigen Standort am Jungfernstieg angesiedelt gewesen. Bis 1928 habe sie sich am Gänsemarkt ganz in der Nähe befunden.
Die Umsiedlung an den Jungfernstieg sei notwendig geworden, da das Apothekengebäude dem Bau eines Bürogebäudes, dem bekannten Hamburger Deutschlandhaus, habe weichen müssen. Das Deutschlandhaus muss nun ebenfalls einem – allerdings sehr am Original angelehnten – Neubau weichen. Die Entkernungs- und Abrissarbeiten begannen in der ersten Hälfe dieses Jahres.
Historische Rarität – Arzneimitteldepot für englische Schiffe
Auch eine quasi maritime Vergangenheit gehört zu der Geschichte der alteingesessenen Apotheke. Rüdiger Bettin berichtet, dass es damals eine Besonderheit dargestellt habe, dass sich in der Apotheke eines der sehr wenigen Arzneimitteldepots weltweit zur Versorgung englischer Schiffe befunden habe. Wenn englische Schiffe den Hamburger Hafen angelaufen hätten, seien ihre Arzneimittelvorräte exklusiv von Roth’s alter englischer Apotheke aufgefüllt worden, erläutert Bettin.
Apothekeneinrichtung im Dampferstil aus dem Jahre 1928
Wer heutzutage die Apotheke betritt, kann sich zu Recht ins Jahr 1928 zurückversetzt fühlen. Aus diesem Jahr stammt die im Original erhaltene Apothekeneinrichtung bestehend aus dem tropischen Edelholz Rio Palisander, auch Brasilianisches Rosenholz genannt. Die gefährdete Art ist inzwischen durch das Washingtoner Artenschutzabkommens geschützt und darf nicht mehr aus Brasilien ausgeführt werden. Beeindruckend sind zudem die in der Offizin hängenden historischen Lampen des Architekten und Malers Peter Behrens (1868-1940).
Die Offizin wirkt schlicht und edel zugleich. „Schuld“ daran ist eine Stil-Art, die an Art déco erinnert, jedoch als Dampferstil bekannt ist. „Es kam einmal ein Berliner Architekt in die Apotheke. Der war ganz begeistert und sagte mir, das ist der Dampferstil“, berichtet der Hamburger Apotheker begeistert. Dieser Einrichtungsstil ist in Passagierschiffen der 1920er und 1930er Jahre verbaut worden. Die Apotheke sei, so Bettin, entsprechend von Tischlern einer der bekannten Hamburger Werften gebaut worden, die damals zu den besten ihrer Art gehört hätten.
Einrichtung erfordert mehr Einsatz – hat aber auch Vorteile
Die markante Einrichtung der Offizin sei nicht das Einzige, was an Historischem überliefert sei, wenn es auch das sei, was die Kunden zu sehen bekämen. Im Hintergrund, heutzutage als Lager dienend, gäbe es eine weitere alte Apothekeneinrichtung. Diese stamme aus der Zeit vor dem Umzug und sei aus Mahagoni. „Wir haben praktisch zwei Einrichtungen“, so Bettin erklärend.
Die historische Einrichtung steht der Apotheke nicht nur gut zu Gesicht, sie bereitet Rüdiger Bettin auch große Freude: „Ich selbst finde es sehr gut, weil man sehr viele Medikamente noch sieht. Überall ist Glas und man kann viel sehen. Vieles ist natürlich auch in Schubladen. Ich sehe das als Vorteil. Man sieht mehr und es wirkt, als hätte man mehr Medikamente, ganz egal, ob man wirklich mehr hat als andere“, freut sich der Hamburger Apotheker. Er ergänzt: „Man läuft zwar mehr. Man hat mehr körperlich zu arbeiten, aber das ist nicht schlimm, finde ich.“ Auch die Kunden seien begeistert von der Atmosphäre der Apotheke, so Bettin.
Apothekenname führt zu Nachfragen – und amüsanten Begebenheiten
Auffallend ist nicht nur die Apothekeneinrichtung, auffallend ist auch der markante Apothekenname. Das bestätigt Apotheker Rüdiger Bettin ohne Umschweife. Einige amüsante Begebenheiten hätte es wegen des Namens schon gegeben. Immer wieder führe er auch zu interessanten Nachfragen. Die Fantasie der Kunden scheint auf jeden Fall angeregt.
Zuweilen werde er für „Herrn Roth“ gehalten – was er naturgemäß verneinen müsse, berichtet Bettin schmunzelnd. Der Begriff „englische“ führe zudem zu der Nachfrage, ob die Apotheke denn von Engländern gegründet worden sei. Einmal sei er sogar von einem älteren Herrn darauf angesprochen worden, ob er auch Deutsch spreche, so Bettin.
Der Name der Apotheke habe sich zudem im Laufe der Geschichte immer mal wieder gewandelt. So sei zum Beispiel infolge der Bombardierungen der Engländer im Zweiten Weltkrieg vorübergehend der Begriff „englische“ aus dem Namen entfernt worden. Bald nach Kriegsende sei die Apotheke aber wieder als Roth’s alte englische Apotheke geführt worden, so Bettin.
Motto: mit Tradition im Herzen Anforderungen genügen
Der Homepage der Apotheke ist ein Sinnspruch zu entnehmen, der dem Motto der Apotheke entspricht: „Tradition pflegen heißt nicht, Asche aufzubewahren, sondern Glut am Glühen zu halten“ Zitiert werde der französische Historiker und Politiker Jean Jaurès (1859-1914). Für Rüdiger Bettin bedeutet dieses Zitat: „Es sagt mir, dass man Altes bewahren soll und dass man dennoch immer auf der Höhe der Zeit sein muss. Das heißt, Tradition im Herzen, aber dennoch den heutigen Anforderungen genügen.“
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