Novartis vs. Ratiopharm

EuGH-Generalanwalt: Keine Arzneimittelmuster für Apotheker

Berlin - 03.02.2020, 17:20 Uhr

Ratiopharm vergab sein Diclo-Gel „zu Demonstrationszwecken“ an Apotheker und kämpft nun für eine weite Auslegung der Rechtsvorschriften zu Arzneimittelmustern: Nur weil Apotheker nicht als zulässige Muster-Empfänger erwähnt sind, heißt das nicht, dass sie keine bekommen dürfen. (Foto: daz.online)

Ratiopharm vergab sein Diclo-Gel „zu Demonstrationszwecken“ an Apotheker und kämpft nun für eine weite Auslegung der Rechtsvorschriften zu Arzneimittelmustern: Nur weil Apotheker nicht als zulässige Muster-Empfänger erwähnt sind, heißt das nicht, dass sie keine bekommen dürfen. (Foto: daz.online)


Die Frage, ob pharmazeutische Unternehmen kostenlose Arzneimittelmuster an Apotheker abgeben dürfen, ist schon lange umstritten. Die Vorgaben, die das Arzneimittelgesetz zu solchen Mustern macht, legen Juristen unterschiedlich aus. Nun soll der Europäische Gerichtshof für Klarheit sorgen – denn über den nationalen Bestimmungen schwebt auch noch der Gemeinschaftskodex für Arzneimittel. Bevor das Urteil gesprochen wird, hat nun der Generalanwalt seine Einschätzung abgegeben. Er hält die europarechtlichen Vorgaben in jeder Hinsicht für deutlich: Muster kann es nur für die Arzneimittel verordnenden Ärzte geben, nicht aber für Apotheken.

Verbietet die EU-Richtlinie 2001/83/EG – der Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel – die Abgabe kostenloser Arzneimittelmuster an Apotheker? Falls nein, räumt sie dann den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, diese Abgabe zu verbieten? Diese Fragen soll der Europäische Gerichtshof (EuGH) beantworten – vorgelegt hat sie ihm der Bundesgerichtshof.

Worum geht es?

In Karlsruhe ist ein Rechtsstreit zwischen der Novartis Consumer Health GmbH und Ratiopharm anhängig. Es geht um Dicolfenac-haltige Schmerzgele. Im Jahr 2013 gaben Mitarbeiter von ratiopharm 100g‑Packungen dieses Arzneimittels, die mit der Aufschrift „zu Demonstrationszwecken“ versehen waren, kostenlos an deutsche Apotheker ab. Novartis sah darin einen Verstoß gegen § 47 Abs. 3 Arzneimittelgesetz (AMG). Danach sei die kostenlose Abgabe von Arzneimittelmustern an Apotheker nicht gestattet. Außerdem gewährte Ratiopharm den Apothekern nach Auffassung von Novartis eine nach deutschem Recht unzulässige Werbegabe.

Das Arzneimittelgesetz bestimmt in seinem § 47 Absatz 3 („Vertriebsweg“):

(3) Pharmazeutische Unternehmer dürfen Muster eines Fertigarzneimittels abgeben oder abgeben lassen an

1.  Ärzte, Zahnärzte oder Tierärzte,

2.  andere Personen, die die Heilkunde oder Zahnheilkunde berufsmäßig ausüben, soweit es sich nicht um verschreibungspflichtige Arzneimittel handelt,

3.  Ausbildungsstätten für die Heilberufe.

Pharmazeutische Unternehmer dürfen Muster eines Fertigarzneimittels an Ausbildungsstätten für die Heilberufe nur in einem dem Zweck der Ausbildung angemessenen Umfang abgeben oder abgeben lassen. Muster dürfen keine Stoffe oder Zubereitungen

1.  im Sinne des § 2 des Betäubungsmittelgesetzes, die als solche in Anlage II oder III des Betäubungsmittelgesetzes aufgeführt sind, oder

2. die nach § 48 Absatz 2 Satz 3 nur auf Sonderrezept verschrieben werden dürfen,

enthalten.

Novartis erhob daher Klage und beantragte, Ratiopharm möge es unterlassen, an Apotheker kostenlos Arzneimittel abzugeben. Nachdem Novartis bereits in den ersten beiden Instanzen Erfolg hatte, könnte Ratiopharm nun auch in letzter Instanz das Nachsehen haben. Jedenfalls dann, wenn der Europäische Gerichtshof dem Votum des Generalanwalts am EuGH, Giovanni Pitruzzella, folgt. Dieser hat am 30. Januar seine Schlussanträge in diesem Verfahren vorgelegt und kommt zu dem eindeutigen Ergebnis: Kostenlose Apothekenmuster von Pharmaunternehmen sind nach dem Gemeinschaftskodex unzulässig.

Generalanwalt hat keine Zweifel

Art. 96 der Richtlinie 2001/83 erlaubt unter dort näher aufgeführten Voraussetzungen die „ausnahmsweise“ Abgabe von Gratismustern „an die zur Verschreibung berechtigten Personen“. In seinem zweiten Absatz erlaubt er, dass die Mitgliedstaaten die Abgabe von Mustern bestimmter Arzneimittel weiter einschränken dürfen.

Der Generalanwalt legt diese Vorschrift klassisch aus: nach ihrem Wortlaut, nach ihrer Systematik und ihrem Sinn und Zweck. Und stets kommt er zu dem Schluss, dass die „außergewöhnliche Werbemaßnahme“ des Arzneimittelmusters nur an Ärzte, also an zur Verschreibung berechtigte Personen, zulässig ist. Anders als die Kommission sei er nicht der Auffassung, dass der Wortlaut von Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 „offen“ sei und aus grammatikalischer Sicht nichts dagegen spreche, auch Apotheker als potenzielle Empfänger kostenloser Arzneimittelmuster zu betrachten.

Gefahr aus der Apotheke?

Zwar räumt Pitruzzella ein, dass Ärzte und Apotheker den gleichen Informationsbedarf haben – was in der Richtlinie 2001/83 anerkannt werde. Jedoch könne ihnen die Information über verschiedene Kanäle zugehen. Der Gesetzgeber habe davon ausgehen dürfen, dass das wirtschaftliche Interesse an der Abgabe dringender sein könne als das Interesse an der Verschreibung. Es bestehe eher die Gefahr, dass Apotheker Muster an Patienten abgeben als Ärzte – schließlich wissen Verbraucher, dass Apotheken über Arzneimittel verfügen. „Die Abgabe kostenloser Arzneimittelmuster an die Öffentlichkeit zum Zwecke der Verkaufsförderung ist jedoch untersagt. Durch den Ausschluss der Apotheker von dieser Abgabe würde gleichzeitig jegliche Gefahr einer Umgehung dieses die Öffentlichkeit betreffenden Verbots beseitigt werden“, heißt es dazu in den Schlussanträgen.

Nicht zuletzt geht der Generalanwalt noch darauf ein, dass im vorliegenden Verfahren das Apothekenmuster damit gerechtfertigt wurde, dass Ratiopharm die Konsistenz und den Geruch des Arzneimittels verändert habe, nachdem Apotheker hieran Kritik geübt hätten. Nun sollten es die Apotheken testen können – für Pitruzzella ein „utopischer“, wenn nicht gefährlicher Ansatz. „Wird ernsthaft davon ausgegangen, dass jeder Apotheker sämtliche von ihm angebotenen Arzneimittel persönlich testet?“, fragt er in seinen Schlussanträgen. Vernünftiger erscheint ihm die Annahme, dass für Ärzte – die mit Arzneimitteln in der Regel nicht in Kontakt kommen – Gratismuster ein zweckmäßiges, wenngleich begrenztes, Mittel darstellen, sich mit den Neuheiten auf dem Markt vertraut zu machen.

Nun muss der EuGH entscheiden. Häufig – aber nicht immer – folgt er den Schlussanträgen. Am Ende wird dann der Bundesgerichtshof sein Urteil sprechen.

Hier finden Sie die Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C‑786/18 im Volltext.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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1 Kommentar

Ich kann schon verstehen warum die Briten ausgetreten sind

von Rainer W. am 05.02.2020 um 9:21 Uhr

Wenn man sich ansieht was die EU für Weisungsrechte über uns hat und was da für Juristen entscheiden die von der Materie offensichtlich keine Ahnung haben und das auch noch breit zur Schau stellen....

... ohne demokratische Kontrolle
... ohne Revisionsmöglichkeiten

... da kann man schon ein bisschen neidisch sein auf die Briten.

Was da so alles wegfallen würde:
- 800.000 € Strafzahlung / Tag wegen Nitrat
- das Maut-Debakel
- Banken-Rettungsschirme
- das Boni-Urteil
uvm.

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