Art. 96 der Richtlinie 2001/83 erlaubt unter dort näher aufgeführten Voraussetzungen die „ausnahmsweise“ Abgabe von Gratismustern „an die zur Verschreibung berechtigten Personen“. In seinem zweiten Absatz erlaubt er, dass die Mitgliedstaaten die Abgabe von Mustern bestimmter Arzneimittel weiter einschränken dürfen.
Der Generalanwalt legt diese Vorschrift klassisch aus: nach ihrem Wortlaut, nach ihrer Systematik und ihrem Sinn und Zweck. Und stets kommt er zu dem Schluss, dass die „außergewöhnliche Werbemaßnahme“ des Arzneimittelmusters nur an Ärzte, also an zur Verschreibung berechtigte Personen, zulässig ist. Anders als die Kommission sei er nicht der Auffassung, dass der Wortlaut von Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 „offen“ sei und aus grammatikalischer Sicht nichts dagegen spreche, auch Apotheker als potenzielle Empfänger kostenloser Arzneimittelmuster zu betrachten.
Gefahr aus der Apotheke?
Zwar räumt Pitruzzella ein, dass Ärzte und Apotheker den gleichen Informationsbedarf haben – was in der Richtlinie 2001/83 anerkannt werde. Jedoch könne ihnen die Information über verschiedene Kanäle zugehen. Der Gesetzgeber habe davon ausgehen dürfen, dass das wirtschaftliche Interesse an der Abgabe dringender sein könne als das Interesse an der Verschreibung. Es bestehe eher die Gefahr, dass Apotheker Muster an Patienten abgeben als Ärzte – schließlich wissen Verbraucher, dass Apotheken über Arzneimittel verfügen. „Die Abgabe kostenloser Arzneimittelmuster an die Öffentlichkeit zum Zwecke der Verkaufsförderung ist jedoch untersagt. Durch den Ausschluss der Apotheker von dieser Abgabe würde gleichzeitig jegliche Gefahr einer Umgehung dieses die Öffentlichkeit betreffenden Verbots beseitigt werden“, heißt es dazu in den Schlussanträgen.
Nicht zuletzt geht der Generalanwalt noch darauf ein, dass im vorliegenden Verfahren das Apothekenmuster damit gerechtfertigt wurde, dass Ratiopharm die Konsistenz und den Geruch des Arzneimittels verändert habe, nachdem Apotheker hieran Kritik geübt hätten. Nun sollten es die Apotheken testen können – für Pitruzzella ein „utopischer“, wenn nicht gefährlicher Ansatz. „Wird ernsthaft davon ausgegangen, dass jeder Apotheker sämtliche von ihm angebotenen Arzneimittel persönlich testet?“, fragt er in seinen Schlussanträgen. Vernünftiger erscheint ihm die Annahme, dass für Ärzte – die mit Arzneimitteln in der Regel nicht in Kontakt kommen – Gratismuster ein zweckmäßiges, wenngleich begrenztes, Mittel darstellen, sich mit den Neuheiten auf dem Markt vertraut zu machen.
Nun muss der EuGH entscheiden. Häufig – aber nicht immer – folgt er den Schlussanträgen. Am Ende wird dann der Bundesgerichtshof sein Urteil sprechen.
Hier finden Sie die Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C‑786/18 im Volltext.
1 Kommentar
Ich kann schon verstehen warum die Briten ausgetreten sind
von Rainer W. am 05.02.2020 um 9:21 Uhr
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