Jens Spahn zum E-Rezept

„Bei der Digitalisierung geht es auch um die Selbstbehauptung Europas“

Berlin - 13.02.2020, 13:45 Uhr

Jens Spahn in der estnischen Botschaft: „Estland beeindruckt bei der Digitalisierung wie wenige andere Länder in Europa und auf der Welt“. (m / Foto: DAZ.online)

Jens Spahn in der estnischen Botschaft: „Estland beeindruckt bei der Digitalisierung wie wenige andere Länder in Europa und auf der Welt“. (m / Foto: DAZ.online)


Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) drückt bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens weiter aufs Tempo. Im Rahmen des Deutsch-Estnischen Zukunftsforums 2020 zum Thema E-Health erklärte Spahn am gestrigen Mittwochabend in Berlin, dass er es für wichtig halte, dass Deutschland in Kooperation mit anderen EU-Ländern die Digitalisierung selbst vorantreibe, sonst würden es ausländische Großkonzerne tun. Gematik-Chef Dr. Markus Leyck Dieken gab einige spannende neue Einblicke in die Entwicklung des E-Rezeptes.

In der estnischen Botschaft in Berlin wurde am gestrigen Mittwochabend das neue E-Rezept-Projekt in Hessen vorgestellt, an dem Ärzte, Apotheker, Kassen und einige Privatunternehmen beteiligt sind. Das Projekt hat kürzlich das grüne Licht des hessischen Datenschutzbeauftragten bekommen und kann somit demnächst starten. Dabei können sich Patienten zunächst außerhalb der Sprechstundenzeiten vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst online beraten lassen. Die E-Rezepte werden dann vom Arzt auf ein zentrales Portal gestellt, auf das der Patient mithilfe eines Schlüssels zugreifen kann, um sein E-Rezept an eine teilnehmende Apotheke weiterzuleiten. Apotheken, die Awinta-Software nutzen, haben jetzt schon eine Schnittstelle zu dem System, andere Apotheken könnten direkt auf das E-Rezept-Portal zugreifen. Der Hessische Apothekerverband will seine Mitglieder in Kürze über die Teilnahmemöglichkeiten informieren.

Bei dem Projekt wird teilweise estnische Technologie benutzt: Das estnische Unternehmen Nortal war an der Konzeption beteiligt und hatte zuvor schon in Estland Digitalisierungstechnologien entwickelt. Zur Erklärung: Das estnische Gesundheitssystem gilt als eines der fortschrittlichsten Systeme Europas. Die Versorgungsprozesse und deren Dokumentation sind größtenteils digitalisiert, Patienten können E-Rezepte und andere digitalisierte Gesundheitsinformationen auf einer E-Patientenakte einsehen.

Spahn: Wir können viel von Estland lernen

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erklärte bei der Vorstellung des Konzeptes, dass er sich sehr über den Besuch einer estnischen Delegation bei ihm im Gesundheitsministerium gefreut habe. „Wir konnten viel lernen von Ihrem Besuch. Estland beeindruckt bei der Digitalisierung wie wenige andere Länder in Europa und auf der Welt.“ Er warb dafür, dass größere und kleinere Länder gemeinsam arbeiten, um solche Prozesse voranzutreiben.

Erneut richtete er mahnende Worte an Digitalisierungsskeptiker: „Wir hören ja noch oft Sätze wie ‚Online-Sprechstunde und E-Rezept, das brauche ich nicht‘. Ich kann dazu nur sagen, dass wir das selbst gestalten oder erleiden können. Denn mir ist es lieber, wir machen es selbst als dass große ausländische Konzerne wie Google oder Apple das machen. Da geht es für mich auch um die Selbstbehauptung Europas. Ein Überwachungskapitalismus ist nicht unsere Vorstellung.“ Spahn warnte auch davor, beim Thema Datenschutz zu viel Angst walten zu lassen. „Wir wollten Behandlungsdaten anonymisiert und pseudonymisiert nutzen lassen, um Erkenntnisse zu gewinnen. Und das war ein großer Skandal. Zeitgleich vertrauen Millionen von Menschen ihre persönlichsten Daten Google und Apple in mehreren Handy-Apps an. Dieses Grundvertrauen verstehe ich nicht ganz“, so der Minister.

Gematik-Chef will Wettbewerb ermöglichen

Anschließend sprach Dr. Markus Leyck Dieken – auch zum Thema E-Rezept. Zur Erinnerung: Die Gematik entwickelt derzeit die ersten Spezifikationen für die flächendeckende Einführung des E-Rezeptes und will diese bis zum 30. Juni dieses Jahres veröffentlichen. Außerdem soll die Gematik – laut Plänen des Bundesgesundheitsministeriums – den Auftrag erhalten, eine Standard-App für die Nutzung des E-Rezeptes zu bauen – genau die Applikation, die eigentlich die ABDA für das gesamte Gesundheitssystem exklusiv anbieten wollte.

Leyck Dieken erklärte am gestrigen Mittwoch, dass die Gematik inzwischen mehr als 700 Kommentare zu den ersten Ideen des E-Rezeptes der Gematik erhalten habe. „Es ist jetzt unsere Aufgabe, herauszufiltern, ob das interessengeleitete oder sinnvolle und neutrale Kommentare sind.“ Leyck Dieken stellte auch klar, dass die Gematik nur eine Art „Türsteher“ beim E-Rezept sein werde. „Die Gematik wird die wichtigsten Standards festlegen und eine Standard-Lösung anbieten, alles andere dahinter soll dem Wettbewerb überlassen werden.“ Dem ersten Entwurf des Patientendatenschutz-Gesetzes zufolge soll die Gematik-App für das E-Rezept die Möglichkeit eröffnen, dass Patienten ihre E-Rezepte auch an andere Anbieter weiterleiten können, Beispiel dafür könnten dann die App der Apothekerschaft oder auch von Versandapotheken sein.

Zudem kündigte Leyck Dieken an, dass er beim E-Rezept schnell für eine Interoperabilität innerhalb Europas sorgen wolle. Unter einzelnen Ländern können E-Rezepte schon ausgetauscht werden, etwa zwischen Finnland und Portugal. „Wir haben die Gematik bislang nur mit deutschen Ansätzen aufgebaut. So können wir nicht weitermachen. Wir müssen international werden und uns mehr internationalen Wettbewerb ins System holen.“



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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2 Kommentare

mehr Wettbewerb

von Karl Friedrich Müller am 13.02.2020 um 15:36 Uhr

ist eine Phrase, die nur bedeutet:
Verschlechterung für die Anbieter
Verschlechterung für den Verbraucher
viel Nutzen für Konzerne.
Also das Gegenteil, durchgesetzt mit dem Monopol von Spahn.
Volksverdummung.

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Alles klar, der Chef hat ein Smartphone, kritisiert aber Google & Co. ...

von Christian Timme am 13.02.2020 um 14:27 Uhr

... Herr Dieken macht den „Türsteher“ ist aber gleichzeitig für mehr Wettbewerb an dem er gerne europaweit teilnehmen möchte ... mit einem Gematik-Monopol wo Spahn die Mehrheitsstimmen hat ... man sich aber für das System mehr Wettbewerb wünscht ... nur nicht für die Gematik. Endlich hab ich’s kapiert ... also in meinem nächsten Leben ... werde ich Gesundheitsminister ... oder ich geh gleich zum EuGH ...

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