Arzneimittel- und Apothekenrecht während der Krise

Enorme Vollmachten für das Bundesgesundheitsministerium

Süsel - 26.03.2020, 09:00 Uhr

Der Bundestag hat im Eilverfahren und in einer Rumpfbesetzung am gestrigen Mittwoch ein Gesetz zum Schutz der Bevölkerung in einer epidemischen Lage beschlossen. (s / Foto: imago images / Schicke)

Der Bundestag hat im Eilverfahren und in einer Rumpfbesetzung am gestrigen Mittwoch ein Gesetz zum Schutz der Bevölkerung in einer epidemischen Lage beschlossen. (s / Foto: imago images / Schicke)


Am Mittwoch hat der Bundestag dem Bundesgesundheitsministerium außergewöhnliche Vollmachten für weitreichende Anordnungen erteilt. Sie betreffen insbesondere die Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten und auch den Betrieb von Apotheken. Das Bundesgesundheitsministerium kann während der Pandemie praktisch alle versorgungsrelevanten Regeln in eigener Verantwortung anpassen, beispielsweise auch die Rabattverträge und die Regeln für die Hilfsmittelversorgung aussetzen. Für Freitag wird die Zustimmung des Bundesrates zu diesen Vollmachten erwartet.

Am gestrigen Mittwoch hat der Bundestag das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite verabschiedet. Am Freitag steht das Gesetz auf der Tagesordnung des Bundesrates. Einige Regelungen dieses Gesetzes treten unmittelbar nach der Verkündung in Kraft. Weitere Regelungen gelten nur, wenn eine epidemische Lage von nationaler Tragweite besteht. Diese hat der Bundestag allerdings am Mittwoch festgestellt. Ein großer Teil des Gesetzes besteht in Ermächtigungen für das Bundesgesundheitsministerium, in diverse Regelungen einzugreifen und nach Bedarf kurzfristig Vorschriften aufzuheben, zu ändern oder zu erlassen.

Vom Baurecht bis zum Luftverkehr

Doch der Reihe nach: Unmittelbar nach Inkrafttreten des Gesetzes werden die neuen Regeln zur Entschädigung von Eltern gelten, die wegen der Betreuung ihrer Kinder nicht zur Arbeit gehen können. Unmittelbar wirksam wird auch eine Änderung des Baugesetzbuches. Damit kann bei der Errichtung von Anlagen zur Versorgung von Corona-Infizierten oder möglicherweise Infizierten erheblich vom Bauplanungsrecht abgewichen werden. Außerdem werden Regelungen zur Nachverfolgung von Flugreisenden erlassen, um möglicherweise infizierte Reisende oder deren Kontaktpersonen ausfindig zu machen. Diese beiden Aspekte machen die Breite der Maßnahmen deutlich. Einerseits werden im Baurecht Maßnahmen für den Fall einer erheblichen Verschlechterung der Lage getroffen. Andererseits wird offenbar die schrittweise Lockerung von Beschränkungen des öffentlichen Lebens vorbereitet. Denn mit Möglichkeiten zur Nachverfolgung der Reisenden könnte der Luftverkehr eher wieder aufgenommen werden.

Pflegeberufe dürfen Heilkunde ausüben

Mit der Verkündung des Gesetzes und der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite wird einem weiten Personenkreis die Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten gestattet. Dies betrifft diverse Berufsgruppen mit einer geschützten Berufsbezeichnung: Altenpfleger/-innen, Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/-innen, Gesundheits- und Krankenpfleger/-innen, Notfallsanitäter/-innen sowie Pflegefachfrauen und -männer. Diesen Personen wird die Ausübung der Heilkunde gestattet, wenn sie aufgrund ihrer Kompetenzen und Fähigkeiten dazu in der Lage sind und der Zustand des Patienten eine ärztliche Behandlung im Ausnahmefall nicht zwingend erfordert, die „jeweils erforderliche Maßnahme aber eine ärztliche Beteiligung voraussetzen würde, weil sie der Heilkunde zuzurechnen ist“, wie es im neuen § 5a Infektionsschutzgesetz heißt. Die Maßnahme ist zu dokumentieren und unverzüglich dem behandelnden Arzt mitzuteilen. Außerdem kann das Bundesgesundheitsministerium weiteren Personen mit der Berufsbezeichnung eines reglementierten Gesundheitsfachberufs die Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten gestatten. Mit diesen Regelungen sollen die Ärzte entlastet werden

Änderungen bei Apotheken

Der neu gefasste § 5 Infektionsschutzgesetz ermächtigt das Bundesgesundheitsministerium zu vielfältigen Anordnungen, für die im Gesetz nur ein sehr weit gefasster Rahmen festgelegt wird. Beispielsweise können Personen, die aus Gebieten mit erhöhtem Infektionsrisiko einreisen, verpflichtet werden, ihre Identität, Reiseroute und Kontaktdaten bekannt zu geben, sich ärztlich untersuchen zu lassen, Angaben zu ihrem Gesundheitszustand zu machen oder eine Impfbescheinigung vorzulegen. Betreiber von Eisenbahnen, Bussen, Schiffen oder Flugzeugen im grenzüberschreitenden Verkehr können umfassend zur Mitwirkung verpflichtet werden. Hier geht es offenbar um Maßnahmen bei der schrittweisen Rückkehr zur Normalität.

Mögliche Eingriffe in die Arzneimittelversorgung

Andere Möglichkeiten betreffen dagegen eher die Bewältigung von Problemen in der akuten Phase der Pandemie. So wird das Bundesgesundheitsministerium ermächtigt, spezielle Hygienevorschriften für den Umgang mit Lebensmitteln zu erlassen. Außerdem darf das Ministerium „Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung mit Arzneimitteln einschließlich Betäubungsmitteln, der Wirk-, Ausgangs- und Hilfsstoffe dafür, mit Medizinprodukten, Labordiagnostik, Hilfsmitteln, sowie mit Gegenständen der persönlichen Schutzausrüstung und Produkten zur Desinfektion“ treffen. Insbesondere werden mögliche Ausnahmen vom Arzneimittelgesetz, vom Betäubungsmittelgesetz, vom Apothekengesetz und von den Arbeitsschutzvorschriften zur Schutzausrüstung zugelassen, die die Herstellung, Kennzeichnung, Anwendung, Verschreibung, Abgabe sowie Ein- und Ausfuhr der genannten Produkte betreffen. Außerdem werden Ausnahmen für Regeln zum Betrieb von Apotheken einschließlich Leitung und Personaleinsatz möglich. Daneben können die Landesbehörden ermächtigt werden, im Einzelfall Ausnahmen von solchen Vorschriften zu gestatten. Möglich werden auch Maßnahmen zum Bezug, zur Beschaffung, Bevorratung, Verteilung und Abgabe der genannten Produkte durch den Bund. Sogar Maßnahmen zur Sicherstellung und Entschädigung bei Maßnahmen mit enteignender Wirkung sind vorgesehen. Möglich sind außerdem Verkaufsverbote, Möglichkeiten zur Überlassung, Regelungen zur Preisbildung und Erstattung. Weitere Regeln können die Aufrechterhaltung, Umstellung, Eröffnung und Schließung von Produktions- oder Betriebsstätten betreffen.

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Mögliche Maßnahmen für Praxen, Apotheken und Krankenhäuser

Durch eine Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates kann das Bundesgesundheitsministerium außerdem Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung in Praxen, Apotheken, Krankenhäusern und diversen anderen Einrichtungen erlassen und dabei von gesetzlichen Vorgaben absehen. Außerdem können diese Regelungen Abweichungen von untergesetzlichen Regelungen, sonstigen Vereinbarungen und Beschlüssen der Selbstverwaltung vorsehen. Ausdrücklich werden mögliche Abweichungen von der Approbationsordnung für Ärzte genannt, durch die Nachteile im Studienfortschritt verhindert werden sollen, wenn Medizinstudierende bei der Gesundheitsversorgung mitwirken. Das Ministerium kann auch anordnen, Erfindungen im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt zu nutzen. Außerdem erhält das Robert Koch-Institut umfassende Koordinationsaufgaben.

Aussetzung der Rabattverträge und Hilfsmittelregeln erwähnt

Diese Formulierungen sind teilweise so weit gefasst, dass nicht immer erkennbar wird, welche Regelungen der Gesetzgeber dabei anstrebt. Vieles betrifft sicherlich Eventualitäten, die nicht vorhersehbar sind. Allerdings enthält die Gesetzesbegründung einige Anhaltspunkte für konkretere Pläne. So werden ausdrücklich Ausnahmen von den gesetzlichen Vorgaben zum Betrieb von Apotheken genannt, allerdings ohne Beispiele. Außerdem werden mögliche Änderungen bei der Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch bei der Substitutionstherapie opioidabhängiger Menschen genannt. Ausdrücklich erwähnt werden Maßnahmen Sicherstellung der Versorgung mit den genannten Produkten einschließlich Melde- und Anzeigepflichten. Die Ausfuhr dringend benötigter Produkte kann verhindert werden. Für Apotheken ist folgender Satz in der Begründung besonders interessant:


Diese Anordnungsbefugnis kann sich beispielsweise auf die Außerkraftsetzung sozialrechtlicher Vorgaben zur Austauschbarkeit von Arzneimitteln, die Geltung von Rabattverträgen oder auch auf die in der Arzneimittelpreisverordnung festgelegten Zuschläge beziehen.“

Gesetz zum Schutz der Bevölkerung in einer epidemischen Lage


Außerdem können die Regeln für die Hilfsmittelversorgung geändert werden. Die Abgabe von Hilfsmitteln könnte von der Präqualifizierung und von Versorgungsverträgen unabhängig gemacht werden. Aus Apothekersicht ist damit festzustellen, dass sämtliche von Apothekerseite in den vorigen Tagen geforderten Erleichterungen für die Versorgung künftig vom Bundesgesundheitsministerium angeordnet werden könnten.

Planänderung beim medizinischen Staatsexamen in Aussicht

Die detaillierten Angaben zu möglichen Änderungen der Approbationsordnung für Ärzte lassen darauf schließen, dass dazu schon recht konkrete Pläne bestehen. Demnach könnten die Vorschriften für das praktische Jahr der Medizinstudierenden flexibilisiert werden. Voraussichtlich könne der zweite Abschnitt des medizinischen Staatsexamens nicht planmäßig stattfinden. Daher sollten die Studierenden zunächst das praktische Jahr durchlaufen und dann den zweiten und den dritten Abschnitt der Prüfung ablegen.

Gültig bis zum Ende der epidemischen Lage

Damit wird das Bundesgesundheitsministerium zu zahlreichen und sehr weitreichenden Eingriffen in die Gesundheitsversorgung und in den Reiseverkehr ermächtigt. Die Beurteilung der Lage und der Notwendigkeit der Maßnahmen liegt dabei im Ermessen des Bundesgesundheitsministeriums. Allerdings enden diese Kompetenzen, wenn die Bundesregierung die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite aufhebt. Auf Verlangen des Bundestages oder des Bundesrates hätte dies unverzüglich zu geschehen.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

oje

von Karl Friedrich Müller am 26.03.2020 um 9:05 Uhr

zu viel Macht für Spahn.
Das geht nicht gut.
Ich glaub, ich geh in Rente.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: oje

von Roland Mückschel am 26.03.2020 um 16:56 Uhr

Nimm mich mit Kapitän auf die Reise, la la la....

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