Update COVID-19

Impfstoffentwicklung: Noch kein Land in Sicht

Remagen - 12.06.2020, 17:55 Uhr

Zehn Impfstoffkandidaten gegen COVID-19 befinden sich bereits in der klinischen Phase der Testung. (c / Foto: imago images / Future Image)

Zehn Impfstoffkandidaten gegen COVID-19 befinden sich bereits in der klinischen Phase der Testung. (c / Foto: imago images / Future Image)


Im Durchschnitt dauert es zehn Jahre, um einen Impfstoff zu entwickeln. Angesichts der fulminanten COVID-19-Krise hoffen alle, dass es diesmal anders sein wird. Aktuell haben zehn Kandidaten die Eintrittshürde für die klinische Prüfung genommen, aber die meisten stecken noch in frühen Phasen. 

Derzeit befinden sich nach einer Analyse des Status quo im Fachjournal „The Lancet“ immerhin schon zehn COVID-19-Impfstoff-Kandidaten in klinischen Prüfungen. Die gleiche Zahl weist auch die Weltgesundheitsorganisation WHO in ihrer aktualisierten „Draft landscape of COVID-19 candidate vaccines“ aus, die nähere Einzelheiten zu den Projekten liefert. Eine ähnliche Auflistung findet sich auf der Website der Regulatory Affairs Professionals Society (RAPS).

Obwohl viele Experten für Infektionskrankheiten argumentierten, dass selbst 18 Monate für einen ersten Impfstoff ein unglaublich aggressiver Zeitplan sind, glaubten einige Optimisten, dass bis Ende 2020 Hunderte Millionen Dosen Impfstoff einsatzbereit sein könnten, schildert der Lancet die aktuelle „Gemütslage“. Nach Einschätzung von Penny Heaton, Impfstoffentwicklerin und Chief Executive Officer (CEO) des Bill & Melinda Gates Medical Research Institute, ist es nur den früheren Investitionen in neue Impfstofftechnologieplattformen zu verdanken, dass man überhaupt schon so weit ist. Tatsächlich nutzten einige der fortschrittlichsten Impfstoffkandidaten solche Plattformen, wie zum Beispiel die Kandidatenvakzine mRNA-1273 von Moderna, die nur 66 Tage nach der ersten Sequenzierung von SARS-CoV-2 in klinische Studien eintrat.

„Jeder hat sein Lieblingspferd“

Insgesamt listet die WHO derzeit 123 Kandidaten in der präklinischen Entwicklung auf. Zu den Projekten zählen nach dem aktuellen COVID-19 Vaccine Tracker auf der Website von RAPS bacTRL-Spike (Symvivo), PittCoVacc (UPMC/University of Pittsburgh School of Medicine), NVX-CoV2373 (Novavax), die mRNA-basierte Vakzine von CureVac, die Janssen AdVac-basierte Vakzine (Johnson & Johnson) und AdCOVID von Altimmune.

Viele präklinische Programme existierten eher auf dem Papier als in der Realität, warnt Wayne Koff, CEO des Human Vaccines Project, im Lancet. Dennoch, so fügt er hinzu, sei es ermutigend, einige fortgeschrittene Optionen zur Auswahl zu haben. „Jeder hat sein Lieblingspferd", sagt Koff.

Zwar hofften viele Impfexperten, dass mehrere Impfstoffe es ins Ziel schaffen, heißt es im Lancet weiter, zum Teil auch, um die Herausforderungen in der Fertigung meistern zu können, aber die Erfahrung spreche dagegen. Nach Angaben von Adrian Hill von der Universität Oxford und Teil des Teams, das AZD1222 entwickelt, liegt die typische Erfolgsquote bei der Impfstoffentwicklung bei 6 Prozent.

Umbrella-Studien als Ansatz?

Nun gelte es, mit größeren Studien die Spreu vom Weizen zu trennen. Trotz des immensen Zeitdrucks sei jedoch Vorsicht geboten. Eine Flut kleiner und schnell konzipierter klinischer Studien mit vorgeschlagenen COVID-19-Therapien habe in der medizinischen Gemeinschaft zahlreiche Fragen zur Sicherheit und Wirksamkeit der Wirkstoffe aufgeworfen. Bei Impfstoffen stehe noch mehr auf dem Spiel.

Eine Möglichkeit, die Entwicklung zu beschleunigen, wären Umbrella-Studien, in denen mehrere Impfstoffe im Rahmen eines einzigen Versuchsprotokolls getestet werden können, aber diese sollen auch in besten Zeiten schwer zu koordinieren sein. „Wir haben versucht, dies mit Tuberkulose-Impfstoffen zu tun, Malaria-Gruppen versuchten es, HIV-Gruppen versuchten es. Es hat einfach nie geklappt", sagt Thomas Evans, CEO von Vaccitech, einem Spin-out der Oxford University, das die Plattform entwickelt hat, auf der AZD1222 basiert. „Es ist sowohl aus regulatorischer als auch aus organisatorischer Sicht schwierig."

Mit Nukleinsäure-Impfstoffen wird Neuland betreten

Ein Artikel in der DAZ Nr. 22 erläutert im Detail, worin sich die verschiedenen Impfstoffkonzepte, sprich Virus-basierte und Protein-basierte Impfstoffe beziehungsweise virale Vektor-Vakzine und Nukleinsäure-Vakzine (RNA- und DNA-Impfstoffe) unterscheiden und welche Vor- und Nachteile oder auch Risiken die unterschiedlichen Impfstrategien mit sich bringen. Aktuell würden große Hoffnungen auf neue Ansätze wie die RNA-Impfstoffe (z. B. mRNA-1273 und BNT162) gesetzt, stellt der Autor Stefan Oetzel fest. Allerdings gebe es bisher kaum praktische Erfahrung mit Nukleinsäure-Impfstoffen und auch noch keine einzige Zulassung dafür.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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