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Die Pandemie und die klinische Forschung
Hindernisse, aber auch Chancen durch das Coronavirus
In den letzten Wochen und Monaten stand die Forschung gefühlt einzig und allein im Zeichen von COVID-19. Die normale klinische Forschung ist in diesen schwierigen Zeiten in den Hintergrund gerückt. Damit auch dort alles weiter seinen Gang geht, sind Flexibilität und digitale Lösungen gefragt.
Seit dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie hat die gesamte Biowissenschaftsgemeinschaft mit beeindruckender Entschlossenheit ihre Kräfte gebündelt, um gegen die Bedrohung durch die COVID-19-Pandemie anzukämpfen. Damit wurden aber auch erhebliche Mittel, Ausrüstung und Personal von der Entwicklung und den Studien für andere Krankheiten abgezogen. Überdies haben die Bewegungseinschränkungen und globale Lockdowns zu Kollateralschäden in der klinischen Forschung abseits von COVID-19 geführt.
In vielen Fällen Verzögerungen
Der Allen & Overy Life Sciences Hub gibt einen kleinen Einblick in die Sorgen und Nöte der „KliFo“ in Coronazeiten. Seit dem Ausbruch hätten mehrere große Pharmaunternehmen (Pfizer und Bristol Myers Squibb) und eine Reihe kleinerer Biotech-Unternehmen (Aslan, Moderna Therapeutics, Provention Bio) angekündigt, ihre F&E-Pläne ändern und anpassen zu müssen, heißt es darin. Im Allgemeinen sollen die Reaktionen der Unternehmen auf die Krise überwiegend zu einer Verzögerung der Versuche geführt haben. Auch von Studienabbrüchen wird berichtet.
Zum Glück gebe es aber nicht nur schlechte Nachrichten. Astra Zeneca zum Beispiel rechne nur mit minimalen Auswirkungen auf seine Studien im Spätstadium, von denen sich die meisten auf das Krebsmedikament Durvalumab konzentrieren.
Schwere Einbrüche bei der Rekrutierung von Studienteilnehmern
Insgesamt blieben die Aussichten für klinische Studien jedoch eher verhalten. So sei die Anzahl neuer Patienten, die für klinische Studien rekrutiert werden, signifikant zurückgegangen. Der Allen & Overy Life Sciences Hub beruft sich dabei auf Aktivitätsanalysen klinischer Studien, die auf den Angaben von 385 Unternehmen basieren.
Hiernach soll die Zahl der Neuaufnahmen von Teilnehmern im März gegenüber dem Vorjahr weltweit um 65, im April um 79 und im Mai um 74 Prozent gegenüber den Vorjahresmonaten gesunken sein. Am stärksten waren die Einbrüche im März in Indien (84 Prozent weniger), am geringsten in Deutschland (- 33 Prozent). Im Mai verzeichnete Großbritannien sogar einen Einbruch um 100 Prozent. Mit Blick auf die Anwendungsbereiche waren die Rückgänge am stärksten im April mit über 90 Prozent im kardiovaskulären und im dermatologischen Sektor und nur wenig darunter im Bereich Endokrinologie.
Möglichst viel aus der Ferne und virtuell
Andererseits scheint die Pandemie aber auch immense Potenziale für alternative Ansätze in der klinischen Forschung zu eröffnen. Das unterstreichen laut Allen & Overy Life Sciences Hub auch die diversen Verlautbarungen von Regulierungsbehörden zu den Auswirkungen der Coronakrise auf die Forschung. So hätten EU-Gremien und einige nationale Behörden schnell Leitlinien für klinische Studien sowohl für COVID-19 als auch für andere Indikationen veröffentlicht. Sie decken ein breites Themenspektrum ab, wobei der zunehmende Pragmatismus der Regulierungsbehörden ins Auge fällt. Die meisten befürworten einen zentraleren Ansatz für die Überwachung der Studienaktivitäten und den Einsatz von Technologien und „virtuellen“ Methoden, wo immer dies möglich ist.
Prüfmedikation an Probanden versenden
Die britische Arzneimittelbehörde MHRA hat vorgeschlagen, Prüfpräparate an Probanden zu versenden, um sicherzustellen, dass die Studien fortgesetzt werden, und die Administratoren aufgefordert, zunächst telefonisch die Zustimmung der Probanden einzuholen. Auch die US-FDA hält die Lieferung der Studienmedikation nach Hause für angemessen, wenn Besuche der Studienzentren nicht mehr praktikabel sind, und befürwortet ebenfalls, die Einwilligung per E-Mail oder Telefon in Betracht zu ziehen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) schlägt die Verwendung von Fernüberwachung und Fernüberprüfung von Quelldaten vor und betont, wie wichtig es sei, den Datenschutz dabei aufrechtzuerhalten. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) fordert, laufende Studien so gut es geht zu unterstützen, mahnt jedoch zur Umsicht bei Entscheidungen über neue Studien. Hier sollten möglicherweise zusätzliche Risiken für die Teilnehmer berücksichtigt werden, rät die EMA. Das gemeinsame Ziel aller besteht darin, Aussetzungen oder Abbrüche von Studien zu verhindern.
Effizienzsteigerungen in der der klinischen Forschung durch die Coronakrise?
Summa summarum könnte der verstärkte Fokus auf Technologie, Innovation und Anpassungsfähigkeit im Bereich der Biowissenschaften nicht nur helfen, Lösungen für die Pandemie zu finden, sondern auch Effizienzsteigerungen in der der klinischen Forschung überhaupt mit sich bringen, so das Resümee von Allen & Overy Life Sciences Hub. Noch blieben viele Fragen offen, und die langfristigen Auswirkungen der Pandemie auf klinische Studien, deren Finanzierung und die Lieferketten im Bereich der Biowissenschaften seien noch nicht abzusehen.
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