Interview mit Ralf König und Philipp Stachwitz, hih

„Wir haben als Berufsstand versagt“

Stuttgart - 20.07.2020, 07:01 Uhr

Apotheker Ralf König und Dr. Philipp Stachwitz vom Health Innovation Hub. (m / Foto: Jan Pauls)

Apotheker Ralf König und Dr. Philipp Stachwitz vom Health Innovation Hub. (m / Foto: Jan Pauls)


Im Schatten des E-Rezepts hat die Bundesregierung mit dem Patientendaten-Schutzgesetz auch für den elektronischen Medikationsplan die rechtliche Grundlage geschaffen. Im Gespräch mit DAZ.online erläutern der Apotheker Ralf König und der Arzt Dr. Philipp Stachwitz vom Think Tank Health Innovation Hub (hih), der vor allem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) berät, was der E-Medikationsplan für die Versorgung bringen soll.

DAZ.online: Herr König, Herr Dr. Stachwitz, das Thema E-Medikationsplan (eMP) musste bisher in der medialen Berichterstattung zum Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG) hinter dem E-Rezept deutlich zurückstecken. Bitte klären Sie uns auf: Welche Neuerungen bringt der elektronische Plan im Vergleich zum Papierplan mit sich?

Stachwitz: Der Bundeseinheitliche Medikationsplan (BMP) ist – auch wenn er aus Papier ist – für mich im Grunde schon die erste digitale, übergreifende medizinische Anwendung nach SGB V. Denn mit dem 2D-Barcode lassen sich digital erzeugte Daten auch digital übertragen. Ziel ist ja, die Arzneimitteltherapiesicherheit zu erhöhen, indem der Patient über seine Medikamente und deren Anwendung informiert wird. 

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Der BMP richtet sich also an den Versicherten. Das ist ein wesentlicher Unterschied zum elektronischen Medikationsplan: Dieser soll vor allem dem Austausch zwischen Heilberuflern dienen und enthält wesentlich mehr Information als der Papierplan. Daher wird es zunächst so sein, dass beide Pläne nebeneinander existieren: Die elektronische Variante als Werkzeug für Ärzte und Apotheker und der ausgedruckte BMP als Version für den Patienten.

Warum diese Differenzierung?

Stachwitz: Der eMP enthält Informationen, mit denen der Versicherte kaum etwas anfangen kann, zum Beispiel Laborwerte wie den Kreatininwert. Aus verschiedenen Modellprojekten ist bekannt, dass die Vernetzung von Arzt und Apotheker der entscheidende Schlüssel ist, um die Arzneimitteltherapiesicherheit zu verbessern. Ein solcher Austausch soll auch durch den eMP möglich werden. Auf der anderen Seite können die Heilberufler auf dem BMP per Freitext Informationen und Hinweise für den Patienten notieren. Gerade wenn Menschen viele Arzneimittel einnehmen müssen, wissen sie oft gar nicht, wozu sie welche Tablette einnehmen sollen. Durch die verbesserte Aufklärung der Patienten soll die Sicherheit der Arzneimitteltherapie verbessert werden.

König: Darüber hinaus soll der eMP auch die Medikationshistorie und Informationen zur Therapie des Patienten enthalten. Das spielt zum Beispiel dann eine Rolle, wenn Unverträglichkeiten aufgetreten sind und der Arzt etwa von einem ACE-Hemmer auf ein Sartan umstellen musste. Wenn der nächste Behandler das weiß, wird er nicht auf die Idee kommen, nochmal einen ACE-Hemmer anzusetzen.


Wir müssen lernen, aktiv Verantwortung zu übernehmen, und da ist der Bereich Medikation unsere ureigenste Kernaufgabe.

Apotheker Ralf König


Wo sehen Sie die Hürden bei der praktischen Umsetzung im Versorgungsalltag?

König: Ein Problem ist, dass nicht alle Apotheken-Softwaresysteme in der Lage sind, die vom BMP gescannten Daten so übersichtlich auch im Vergleich zur gespeicherten Vorversion darzustellen, dass sie für einen Interaktionscheck optimal nutzbar sind. Wir waren bisher gefühlt unerwünscht in diesem System. Das haben die Apotheker natürlich wahrgenommen und viele Dinge entsprechend nicht so aktiv umgesetzt, wie es eigentlich unsere Aufgabe wäre. Der Plan war ja ursprünglich auch nicht als interdisziplinäres Werkzeug angedacht, sondern als Einnahmeplan für den Patienten. Damals ist man das Ganze aus der Perspektive des Arztes als Ersteller angegangen und hat verpasst, den Zusatznutzen durch die Vernetzung der Heilberufler von Anfang an zu heben.

„Wir waren bisher gefühlt unerwünscht in diesem System“

Haben Sie den Eindruck, dass die Apotheker sich inzwischen ausreichend einbringen?

König: Wäre Gestaltung eine Stärke unseres Berufsstandes, dann wären wir anders in die aktuelle Situation eingebunden. In Frankreich sind die Apotheker beispielsweise einfach in Vorleistung gegangen und haben mit dem Dossier Pharmaceutique selber ein mächtiges und akzeptiertes, digitales Instrument zur Medikationssicherheit geschaffen. Dies versetzt sie jetzt in die Lage auf Augenhöhe mitzusprechen. Die Politik nimmt uns hier leider berufspolitisch anders wahr. Wir haben sehr lange an der Wahrung des wirtschaftlich erfolgreichen Bestands festgehalten und dabei übersehen, dass sich nicht nur die Möglichkeiten durch zum Beispiel die Digitalisierung verändert haben, sondern auch die Lebensrealität unserer Kunden. Es gilt, Chancen aktiv zur Veränderung und pharmazeutischen Weiterentwicklung zu nutzen. Wenn man etwas Neues vorschlägt, braucht man derzeit nicht lange auf das Nein der Apotheker zu warten. 

Das Thema Modellprojekte zur Grippeimpfung hat das eindrucksvoll gezeigt: Entgegen dem gesetzgeberischen Willen war die erste Meldung, die dazu aus der Standesvertretung in Brandenburg kam, ein klares Nein. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Wir müssen lernen, aktiv Verantwortung zu übernehmen, und da ist der Bereich Medikation unsere ureigenste Kernaufgabe.

Stehen Sie denn im Austausch mit der ABDA?

König: Leider hatte ich noch keine Gelegenheit, mich direkt mit der ABDA-Spitze auszutauschen. Ich bin meiner Vision einer aktiven Rolle der Apotheken im Bereich Medikation verpflichtet, da ich nur hier und nicht in reinen logistischen Prozessen unsere gesellschaftliche Aufgabe sehe. Hierfür ist vor allem ein neues Verständnis der Zusammenarbeit von Arzt und Apotheker gemeinsam mit dem Patienten nötig. Wir müssen ehrlich anerkennen, dass wir bei der Steigerung der AMTS und der Adhärenz als Berufsstand die letzten Jahrzehnte versagt haben. Diese ehrliche Feststellung halte ich für notwendig, weil nur so ein wirklicher Neustart möglich ist. Die Bereitschaft, dieses Thema interdisziplinärer zu denken, erkenne ich in den Gesprächen mit Vertretern unserer ärztlichen Kollegen. 

Warum waren die Apotheker dann beim E-Health-Gesetz, mit dem der BMP eingeführt wurde, außen vor? Damit hat man sie doch bewusst ins Abseits gestellt …

Stachwitz: Auch wenn ich die Gründe gar nicht genau kenne, ist es aus meiner Sicht ungünstig, dass die Apotheker nicht von Anfang an einbezogen und auch bei der Vergütung berücksichtigt wurden. Auch wenn man das Honorar für die Ärzte für die Pflege des Medikationsplans durchaus kritisieren kann, ist es dennoch wichtig, einer Berufsgruppe grundsätzlich eine Vergütung zuzugestehen und ihr damit zu signalisieren, dass ihr Tun gewürdigt wird.

König: Ich finde es an dieser Stelle wichtig, für die Zukunft zu differenzieren. Wir Ärzte und Apotheker müssen gemeinsam den Unterschied zwischen der schon nicht trivialen Pflege eines eMP und einer tatsächlichen umfassenden Medikationsanalyse herausstellen. Wir können hier gemeinsam viel Nutzen stiften, aber das kostet Zeit, und die hat ihren Preis.

Bleiben wir beim Stichwort Honorar. Im Patientendaten-Schutzgesetz ist eine Vergütung für die Apotheker vorgesehen, wenn sie arzneimittelbezogene Arbeiten in der elektronischen Patientenakte vornehmen. Der E-Medikationsplan soll aber standardmäßig zunächst auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeichert werden. Gibt es dafür wieder kein Geld?

König: Hier ist tatsächlich weiterhin eine Lücke. Wir brauchen dringend ein Modell, mit dem sich der Zeitaufwand in den Apotheken vergüten lässt. Das ist ein sehr komplexer gesetzgeberischer Prozess, der jetzt aber unbedingt nötig ist.


Hinweis: Das vollständige Interview erscheint am kommenden Donnerstag in der Printausgabe der DAZ.



Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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5 Kommentare

" wir haben als Berufsstand versagt"

von Pille62 am 21.07.2020 um 8:31 Uhr

was heißt hier gefühlt unerwünscht?Wir sind es! Eben weil wir versagt haben!
Solange ich Apotheker bin, haben wir es nicht geschafft der Politik klar zu machen, welchen Mehrwert wir für das System
erbringen.

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Sehr apät

von Reinhard Rodiger am 21.07.2020 um 1:06 Uhr

Warum hat niemand vom Think-Tank sich früher gemeldet.Die gewollte Strukturzerstörung war doch offensichtlich.Ein sehr schlanker Fuß, das ein wenig zu spät zu artikulieren.

Die Politik hat die Richtung bestimmt ohne jede Berücksichtigung der Funktionalität von Kleinst/Kleinunternehmen.Konzerngemäss wurde agiert.Bei allen Fehlern Ist gegen diesen Grundsatz nicht anzukommen.

Wenn der Staat nicht wertschätzt, hat niemand eine Chance.So geht es allen „zu kleinen“.

Destabilisierung und dystopischet Neuaufbau ist nicht zukunftsweisend.

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AW: Sehr apät

von Ralf König am 22.07.2020 um 12:05 Uhr

Hallo Herr Rodiger,
zur Ihrer Information, der hih existiert erst seit einem Jahr und ich bin erst seit September 2019 an Bord. Ich sehe, dass wir Chancen haben uns einzubringen. Gerade während Corona ist der Wert der flächendeckenden, engagierten Versorgung vor Ort wieder deutlich geworden. Leider haben wir es nicht geschafft die Leuchtturmprojekte einzelner Kollegen auf den ganzen Berufsstand auszuweiten. Ich bin sehr froh, dass nun neue Ansätze wie z.B. Viandar den pharmazeutischen Ansatz gemeinsam mit Ärzten in die Fläche bringen möchten.

AW: Sehr spät. Und nur Werbung?

von Reinhard Rodiger am 22.07.2020 um 15:03 Uhr

Hallo, Herr König , das wusste ich nicht, es klang halt anders.Ich bedaure nur , dass es wohl nur um Werbung geht und nicht um Urrsachenanalyse.Mir jedenfalls fehlt die offene Debatte.Leuchttürme fördern sie nicht. Schon garnicht, weil sie nicht dafür gedacht sind, es ist eben nicht ihr Zweck.Die desolate Situation, die Sie zu Recht beklagen ist auch das Prozessergebnis isolierter „Leuchttürme“ ohne Kausalbezug.Sie nutzen leider nur ein berechtigtes Reizwort als Werbeträger.Schade,dass eine Debatte,wenn auch im kleinen nicht interessiert.

Mit freundlichen Grüßen. Reinhard Rodiger

Berufsstandsdiskussion?

von Heiko Barz am 20.07.2020 um 13:39 Uhr

Wer sich der Mühe unterzieht und liest und bewertet die umfangreiche Apothekenbetriebsordnung und das facettenreiche Apothekenrecht, der wird die Antwort auf die meisten der hier gestellten Fragen beantworten können.
Da aber der GM all die dort seit sehr vielen Jahren festgestanzten Werte nicht sehen will, weil sie seinen Plänen im Wege stehen, die eindeutig das Ziel verfolgen, die Pharmazeutische Welt aus dem Gleichgewicht zu bringen, der wird natürlich einen Sinn seiner Pläne erahnen.
Der Niedergang der Pharmazeutischen Werte begann 2004 mit der destabilisierenden Einführung der Rabattsysteme, die ja für die Apotheke gar keine sind und nur für die Patienten das Gefühl vermitteln sollten, der Apotheker würde ja wieder....... und gipfelte nun 2016 mit dem berufsvernichtendem EUGH Urteil des polnischen Generalanwalts.
Und um unsere Berufswertigkeit vollends zu entwürdigen, kam dann das „Gabrielgutachten,“ um unsere Honoraransprüche zeitlich auszubremsen. Genau in diese Zeitlücken sprang der Heilsbringer der Union, Jens Spahn, und verdrängte alle Honorardiskussionen bei den bekannten Hinterzimmergesprächen mit F.Schmidt gegen die Gesamtinteressen der Deutschen Apotheker und deren Berufsbild.
Die Digitaldiskussion um das E-Rezept und die Manipulationen um dieses Objekt verunsichert die Breite Front der (Basis- Vor Ort - und Präsenz) Apotheker dermaßen, dass sich ein klares Berufsbild nicht mehr erkennen läßt.
Ich frage mich, ist denn diese Destabilisierung, die auch zum großen Teil auf dem Rücken der Patienten geschieht, wirklich so unumstößlich?

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

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