Bilanz der DGHO

Wie schlagen sich die CAR-T-Zelltherapien auf dem Markt?

Berlin - 05.08.2020, 15:30 Uhr

Arzneimittel oder medizinische Dienstleistung? Der Status von Kymriah ist umstritten. (c / Foto: picture alliance / AP Photo)

Arzneimittel oder medizinische Dienstleistung? Der Status von Kymriah ist umstritten. (c / Foto: picture alliance / AP Photo)


Mit Kymriah und Yescarta kamen vor zwei Jahren die ersten beiden CAR-T-Zelltherapien in Deutschland auf den Markt. Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie zieht jetzt eine erste Bilanz – zur Zahl der Behandlungen, der Häufigkeit von Nebenwirkungen und den Folgen der dezentralen Organisation, für die man sich hierzulande entschieden hat.

Die CAR-T-Zelltherapie sorgte lange Zeit für Aufsehen in der Fachwelt – zum einen, weil damit plötzlich ein völlig neuer Behandlungsansatz für Patienten mit bestimmten lebensbedrohlichen Blutkrebsarten verfügbar war, zum anderen, weil sich die Hersteller Novartis (Kymriah®) und das Gilead-Tochterunternehmen Kite (Yescarta®) das innovative Konzept teuer bezahlen lassen. Für Kymriah® (Tisagenlecleucel) vereinbarten Novartis und der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hierzulande einen Erstattungsbetrag von 275.000 Euro. Bei Yescarta® (Axicabtagen-Ciloleucel) sind es 282.000 Euro*, allerdings existiert für die Behandlung ein „Outcome-orientierter“ Rabattvertrag mit den Ersatzkassen. Im Gesundheitssystem werden die beiden Therapien bisher behandelt wie Arzneimittel, dieser Status ist jedoch umstritten.

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Die Abkürzung CAR steht für chimärer Antigen-Rezeptor. Bei der Behandlung werden dem Patienten T-Zellen entnommen, die außerhalb des Körpers darauf abgerichtet werden, sich gegen die Krebszellen zu richten, und anschließend zurück infundiert. Beide Therapien sind zugelassen für bestimmte Formen des großzelligen B-Zell-Lymphoms, Kymriah® zudem für Kinder, Jugendliche und Erwachsene bis zu einem Alter von 25 Jahren mit refraktärer oder rezidivierender akuter lymphatischer B-Zell-Leukämie.

Zwei Jahre nach der Zulassung der Behandlungen durch die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA wollte die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) jetzt wissen, wie sie sich auf dem Markt schlagen. „Inzwischen sind CAR-T-Zellen an 26 Zentren in Deutschland verfügbar, und über 300 Patienten wurden damit behandelt“, informiert die Gesellschaft in einer Pressemitteilung. „Die Therapie ist wirksam und sicher, aber auch aufwendig und teuer.“

Viele Zentren bieten CAR-T-Zelltherapie an

Wie ist nun der aktuelle Stand der CAR-T-Zell-Therapie in Deutschland? „Um dies herauszufinden, hat die DGHO eine Online-Umfrage unter allen Zentren in Deutschland durchgeführt, die mit mindestens einem der beiden kommerziellen Anbieter einen Vertrag abgeschlossen haben“, schreibt die DGHO. Eines der Ergebnisse: Im Vergleich zum Ausland nehmen in Deutschland verhältnismäßig viele Zentren an der Versorgung teil. Bis Mai 2020 hatten in Deutschland 26 Einrichtungen entsprechende Verträge mit den betreffenden pharmazeutischen Unternehmen abgeschlossen. Bei der Einführung hatte sich der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in Übereinstimmung mit den wissenschaftlichen Fachgesellschaften für ein dezentrales, flächendeckendes Versorgungskonzept entschieden, resümieren die Krebsexperten. „Das Konzept unterscheidet sich dadurch von anderen europäischen Ländern mit stärker zentralistisch organisierten Gesundheitssystemen, in denen nur wenige Zentren zugelassen wurden.“

Wenige Behandlungen, geringe Nebenwirkungsrate

Die Anzahl der erfolgten CAR-T-Zell-Therapien fällt zudem geringer aus, als die Fachgesellschaft erwartet hatte. Demnach wurde in den Verfahren zur frühen Nutzenbewertung durch den G-BA die Gesamtzahl der infrage kommenden Patienten auf ungefähr 660 pro Jahr geschätzt. „Die bisherigen Zahlen liegen deutlich unterhalb dieser Schätzungen. Das kann zum einen an logistischen Problemen in der Einführungsphase liegen, aber auch an einer stringenten Indikationsstellung.“ Für die nahe Zukunft erwarte die Mehrzahl der Zentren eine Steigerung der Patientenzahlen, so die Fachgesellschaft.

Nebenwirkungen traten seltener auf als befürchtet

Was mögliche Komplikationen betrifft, kann die DGHO beruhigen. Spezifische schwere Ereignisse in Zusammenhang mit CAR-T-Zelltherapien wie Zytokinstürme und Neurotoxizitätssyndrome seien seltener aufgetreten als zunächst befürchtet. „Die tatsächliche Rate der intensivpflichtigen Patienten liegt bei 14 Prozent und ist damit deutlich niedriger als initial erwartet. Die Sterblichkeitsrate liegt bei 3 Prozent.“

„CAR-T-Zellen sind in Deutschland in der Versorgung angekommen“, kommentiert Professor Lorenz Trümper, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO und Direktor der Klinik für Hämatologie und Medizinische Onkologie der Universitätsmedizin Göttingen, die Ergebnisse der Umfrage. „Der seinerzeit von uns mit Partnern formulierte Dreiklang aus zelltherapeutischer, krankheitsspezifischer und intensivmedizinischer Kompetenz hat sich als sinnvoll und zielführend erwiesen.“ Auf der Basis der bisherigen Erfahrungen gelte es nun, die qualitätssichernden Maßnahmen anzupassen. „Das betrifft insbesondere die Strukturkriterien der Zentren und einige sehr bürokratische Hürden.“

Indikationserweiterung erwartet

Professor Hermann Einsele, Vorsitzender der DGHO und Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums Würzburg, erwartet mit zunehmender Vertrautheit mit der CAR-T-Zelltherapie auch eine steigende Zahl der Patienten, die eine solche Behandlung erhalten. Bereits in wenigen Monaten stehe zudem eine Indikationserweiterung an: Dann sollen auch Menschen mit Multiplem Myelom für die Therapie infrage kommen. „Bei Patienten mit stark vorbehandeltem Myelom konnte die CAR-T-Zell-Therapie eine hohe Remissionsrate mit zum Teil mehr als 50 Prozent kompletten Remissionen und einer deutlich längeren progressionsfreien Zeit als mit allen bisher verfügbaren Medikamenten erreichen“, unterstreicht Einsele. „Die Zulassung von CAR-T-Zellen für diese Indikation, spätestens Anfang nächsten Jahres, wird zu einer weiteren Zunahme der CAR-T-Zell-Therapien in Deutschland führen.“

*Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Variante des Beitrages war von 330.000 Euro die Rede, das war nicht korrekt. Wir haben den Fehler korrigiert und entschuldigen uns.



Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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