Weiterer Grund für reduzierten Einsatz?

Antibiotika könnten entzündliche Darmerkrankungen begünstigen

Stuttgart - 20.08.2020, 15:45 Uhr

Aus einem Datenvergleich geht hervor, dass eine Antibiotikaeinnahme in der Vergangenheit (niemals versus mindestens einmal) mit einem fast zweifach erhöhten Risiko verbunden sein könnte, an einer CED zu erkranken. (c / Foto: Juan Gärtner / stock.adobe.com)

Aus einem Datenvergleich geht hervor, dass eine Antibiotikaeinnahme in der Vergangenheit (niemals versus mindestens einmal) mit einem fast zweifach erhöhten Risiko verbunden sein könnte, an einer CED zu erkranken. 
(c / Foto: Juan Gärtner / stock.adobe.com)


Das Auftreten chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen könnte durch Antibiotika begünstigt werden – vor allem, wenn Menschen (gehäuft) Breitbandantbiotika einnehmen. Das hat das schwedische Karolinska Institut aus Stockholm am vergangenen Dienstag bekannt gegeben.

Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa könnten vermehrt in Folge von Antibiotikagaben auftreten. Das geht aus einer Studie hervor, die in „The Lancet Gastroenterology & Hepatology“ veröffentlicht wurde. 

Laut DAZ 20/2019 leiden in Deutschland etwa 320.000 bis 400.000 Menschen an einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung, auf Europa bezogen könne von circa 2,5 bis drei Millionen betroffenen Patienten ausgegangen werden. Weltweit soll die Inzidenz insbesondere in den industrialisierten Ländern in den vergangenen Jahren angestiegen sein.

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Chronisch entzündet

Dass CED speziell in Europa, den USA und anderen Gebieten, die schnellen ökonomischen Entwicklungen unterliegen, immer häufiger werden, das geht auch aus der Pressemitteilung des Karolinska Instituts aus Stockholm vom vergangenen Dienstag hervor. Sie macht auf die Studie „Antibiotic use and the development of inflammatory bowel disease: a national case-control study in Sweden“ aufmerksam. Könnte der gehäufte Antibiotikaeinsatz in den Industrieländern das Mikrobiom der Menschen so stören, dass am Ende häufiger chronisch-entzündliche Darmerkrankung auftreten? 

Die neue Studie legt das nahe. Sie soll die bislang größte ihrer Art sein. Schwedische und US-amerikanische Wissenschaftler zeigten darin, dass häufiger Antibiotikaeinsatz mit dem Auftreten von CED korreliert: „Ich denke, dies bestätigt, was viele von uns vermutet haben – dass Antibiotika, die sich negativ auf mikrobielle Gemeinschaften im Darm auswirken, ein Risikofaktor für CED sind“, sagt der Hauptautor, Dr. Long Nguyen vom Massachusetts General Hospital und der Harvard Medical School in Boston, USA.

Risiko für CED steigt mit Anzahl der Antibiotikagaben

Die Wissenschaftler machten sich für ihre Studie die „Epidemiology Strengthened by histoPathology Reports in Sweden“ (ESPRESSO) zunutze und identifizierten in den gesammelten Darmbiopsie-Daten fast 16.000 Fälle von Colitis ulcerosa und fast 8.000 Morbus-Crohn-Fälle (Diagnosestellung zwischen Januar 2007 und Dezember 2016). Diese Fälle verglichen sie mit rund 28.000 gesunden Geschwistern und 117.000 Kontrollpersonen aus der allgemeinen Bevölkerung. Dazu nahmen sie das „Swedish Patient Register“ und „Prescribed Drug Register“ zu Hilfe. 

Aus dem Datenvergleich gehe hervor, dass eine Antibiotikaeinnahme in der Vergangenheit (niemals versus mindestens einmal) mit einem fast zweifach erhöhten Risiko verbunden sei, an einer CED zu erkranken. Dabei wurde sowohl für Colitis ulcerosa als auch Morbus Crohn ein erhöhtes Risiko festgestellt – vor allem dann, wenn Breitspektrumantibiotika zum Einsatz kamen. Für einen kausalen Zusammenhang spricht, dass das Risiko, eine CED zu entwickeln, offenbar mit der Anzahl der Antibiotika-Anwendungen steigt.

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Bemerkenswert an der Studie sei, dass die Probanden als Teil der bevölkerungsweiten schwedischen Register über zehn Jahre beobachtet werden konnten. Der leitende Autor der Studie, Professor Jonas F. Ludvigsson, Kinderarzt am Universitätskrankenhaus Örebro und Professor an der Abteilung für medizinische Epidemiologie und Biostatistik des Karolinska Instituts, erklärt zum Hintergrund, dass die Medikation der Menschen in Schweden komplett digital dokumentiert wird, was die schwedischen Register ideal für die Untersuchung von Risikofaktoren für CED mache. 

Laut Ludvigsson liefert die Studie nun nicht nur ein weiteres Puzzle-Teil auf der Suche nach Präventionsmöglichkeiten zum Schutz vor CED, sondern auch einen weiteren Grund, unnötigen Antibiotika-Einsatz zu vermeiden. Im Abstract zur Studie heißt es ein wenig zurückhaltender formuliert: „Unsere Ergebnisse, sofern sie durch längerfristige prospektive Studien am Menschen oder mechanistische präklinische Untersuchungen untermauert werden, legen die Notwendigkeit nahe, das Antibiotic-Stewardship weiter zu stärken, um den Anstieg dysbiosebedingter chronischer Krankheiten, einschließlich CED, zu verhindern.“



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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