Folgeschäden durch Corona

Störungen auch bei Wahrnehmung, Lernen, Erinnern und Denken?

Remagen - 04.11.2020, 16:45 Uhr

Britische Forscher untersuchten anhand einer groß angelegten Querschnittsanalyse von Testdaten genesener COVID-19-Patienten, ob diese Anzeichen von kognitiven Defiziten aufwiesen. (c / Foto: 1STunningART / stock.adobe.com)

Britische Forscher untersuchten anhand einer groß angelegten Querschnittsanalyse von Testdaten genesener COVID-19-Patienten, ob diese Anzeichen von kognitiven Defiziten aufwiesen. (c / Foto: 1STunningART / stock.adobe.com)


Forscher aus Großbritannien und den USA haben berichtet, dass Patienten, die sich von COVID-19 erholt hatten, signifikante kognitive Defizite aufwiesen. Hierfür haben sie Testdaten von mehr als 84.000 Personen analysiert. Die Defizite zeigten sich nicht nur bei Betroffenen mit schweren Verläufen, sondern auch bei Personen mit leichter Ausprägung, die nicht einmal über Atembeschwerden berichtet hatten.

Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass Menschen mit schweren COVID-19-Verläufen eine Reihe neurologischer Probleme entwickeln können, wie zum Beispiel Schlaganfall oder Mikroblutungen. Einige Studien haben auch über erhöhte Autoantikörper-Spiegel in der Cerebrospinalflüssigkeit von Patienten, Veränderungen der weißen Hirnsubstanz und psychologische Folgen zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Krankenhaus berichtet. Es gibt jedoch nur wenige Informationen darüber, ob COVID-19 nach der Infektion mit kognitiven Beeinträchtigungen einhergeht. Die Messung solcher Assoziationen ist eine Herausforderung. Die longitudinale Sammlung von Pre- bis Post-COVID-Daten ist äußerst problematisch, da eine Infektion nicht vorhersehbar ist. Darüber hinaus ist es wichtig, Subpopulationen einzubeziehen, zum Beispiel ältere Erwachsene, unterschiedliche ethnische Gruppen sowie Menschen mit bereits bestehenden Vorerkrankungen.

Querschnittsanalyse der Daten von 84.000 Personen 

Ein Forscherteam vom Imperial College London und vom King's College London sowie von den Universitäten von Southampton, Cambridge und Chicago hat angesichts dieser Herausforderungen eine groß angelegte Querschnittsanalyse der Testdaten von genesenen COVID-19-Patienten und gesunden Kontrollen durchgeführt. Dabei berücksichtigten sie die ungleichmäßige soziodemografische Verteilung der Virusprävalenz und die damit verbundene Bevölkerungsvariabilität. Konkret analysierten die Forscher kognitive Testdaten von 84.285 Personen, die am „Great British Intelligence Test“ teilgenommen hatten. Mit einem Fragebogen wurde zusätzlich ermittelt, ob sie einen Verdacht auf eine SARS-CoV-2-Infektion oder biologisch bestätigtes COVID-19 hatten. Von den 84.285 Teilnehmern hatten 
60 hospitalisierte Patienten berichtet, dass sie beatmet worden waren. 147 waren ohne Beatmungsgerät im Krankenhaus. 176 benötigten wegen Atembeschwerden zu Hause medizinische Hilfe. 3.466 hatten Atembeschwerden, erhielten jedoch keine medizinische Unterstützung und 9.201 berichteten, dass sie ohne Atemwegssymptome krank waren. 361, einschließlich der meisten Krankenhaus-Fälle, gaben an, ein positives Testergebnis zu haben. 

Signifikante kognitive Defizite

Die Wissenschaftler wollten feststellen, ob genesene COVID-19-Patienten Anzeichen von kognitiven Defiziten im Zusammenhang mit semantischer Problemlösung, räumlichem Arbeitsgedächtnis, selektiver Aufmerksamkeit und emotionaler Verarbeitung aufwiesen. Außerdem wollten sie herausfinden, ob das Ausmaß oder die Art des Defizits mit der Schwere der Atemwegsbeschwerden zusammenhängt. Diese wurde daran gemessen, wie viel medizinische Hilfe sie benötigten. Die Ergebnisse der Studie sind als Pre-Print-Version auf dem Server medRxiv erschienen. Als Ergebnis zeigten Teilnehmer, die sich von COVID-19 erholt hatten, signifikante kognitive Defizite. Mithilfe des generalisierten linearen Modellings (GLM) einer speziellen statistischen Methode, konnten die Forscher ableiten, dass diese nicht durch Unterschiede in Alter, Bildung, Grunderkrankungen oder anderen demografischen und sozioökonomischen Variablen erklärt werden konnten. „Personen, die sich von vermutetem oder bestätigtem COVID-19 erholt haben, schnitten bei kognitiven Tests in mehreren Bereichen schlechter ab, als aufgrund ihres Alters und des demografischen Profils zu erwarten gewesen wäre", schreibt das Team. 

Bei schweren Fällen wie Zehn-Jahres-Rückgang der globalen Leistung 

Krankenhausfälle zeigten große bis mittlere globale Leistungsdefizite. Im 
Vergleich zu Kontrollen lag die durchschnittliche Verringerung des globalen Composite-Scores in der Untergruppe, die ein Beatmungsgerät benötige, bei 
-0,57 Standardabweichungen (SDs) und für Personen, die einen früheren Schlaganfall gemeldet hatten bei -0,40 SDs. Zum Vergleich: „In einem klassischen Intelligenztest sind 0,57 SDs einem Unterschied von 8,5 Punkten beim IQ gleichzusetzen", erklären die Forscher. Die Reduktion des Global Composite Score um 0,57 SD für Untergruppe der Hospitalisierten mit Beatmung entspreche im Übrigen dem durchschnittlichen Zehn-Jahres-Rückgang der globalen Leistung im Alter von 20 bis 70 Jahren in diesem Datensatz.

Auch leichte Fälle betroffen

Diejenigen, die nicht im Krankenhaus behandelt werden mussten und zu Hause blieben, zeigten geringe, aber ebenfalls statistisch signifikante globale Leistungsdefizite, die mit der Schwere der Atemwegsbeschwerden korrelierten. Die Defizite lagen zwischen -0,12 und -0,04 SDs.  

Für die Wissenschaftler war die Beobachtung der Defizite in der Untergruppe, die auf ein Beatmungsgerät angewiesen waren, nicht überraschend, wohl aber bei denen, die nicht einmal ins Krankenhaus mussten. Nach einer detaillierteren Analyse waren die Defizite breit gefächert und betrafen mehrere kognitive Domänen. Für semantische Problemlösungen und visuell selektive Aufmerksamkeit waren sie ausgeprägter als für einfachere Funktionen wie Arbeitsgedächtnisspanne und emotionale Verarbeitung. 

Zusammenhang näher untersuchen

„Unsere Analysen liefern konvergierende Beweise für die Hypothese, dass eine COVID-19-Infektion wahrscheinlich Konsequenzen für die kognitiven Funktionen hat, die bis in die Erholungsphase bestehen", schlussfolgern die Autoren. Sie empfehlen dingend, näher zu untersuchen, wie es zu diesen kognitiven Defiziten im Nachgang zu einer überstandenen Infektion kommt. Dies sei auch notwendig, um den Herausforderungen nach der Pandemie besser begegnen zu können.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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