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Großer Wirbel
WHO sieht keine ausreichenden Belege für den Nutzen von Remdesivir
Gute und schlechte Nachrichten für das einzige bislang in der EU zugelassene COVID-19-Therapeutikum: Während die US-FDA gestern eine Notfallgenehmigung für die kombinierte Anwendung mit dem Janus-Kinase-Inhibitor Baricitinib erteilt hat, rät die WHO vom Einsatz von Remdesivir ab.
Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde (Food and Drug Administration) hat gestern eine Notfallgenehmigung (EUA) für Baricitinib für die Behandlung von COVID-19 in Kombination mit Remdesivir erteilt. Inhaber der EUA ist das US-Unternehmen Eli Lilly and Company.
Sie erstreckt sich auf hospitalisierte Erwachsene und pädiatrische Patienten ab zwei Jahren mit Verdacht auf oder im Labor bestätigtem COVID-19, die zusätzlich Sauerstoff, invasive mechanische Beatmung oder extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) brauchen. Der Janus-Kinase-Inhibitor Baricitinib (Olumiant®) ist in den USA und auch in der EU für die Behandlung der mittelschweren bis schweren rheumatoiden Arthritis zugelassen, bislang aber nicht für die eigenständige Therapie von COVID-19. Für Remdesivir (Veklury®) hatte die FDA am 22. Oktober eine vollumfängliche Zulassung erteilt.
Offizielle Zulassung nach Notfallgenehmigung
FDA lässt Remdesivir zu
Seit dem 1. Mai war der Einsatz bei bestimmten hospitalisierten COVID-19-Patienten aber schon durch eine EUA abgedeckt. In der EU wurde am 3. Juli eine bedingte Genehmigung für Remdesivir gewährt. „Die Notfallgenehmigung der FDA für diese Kombinationstherapie stellt einen schrittweisen Fortschritt bei der Behandlung von COVID-19 bei Krankenhauspatienten dar und ist die erste Zulassung eines Arzneimittels, das auf das Entzündungsgeschehen einwirkt“, sagte Dr. Patrizia Cavazzoni, amtierende Direktorin für Arzneimittelbewertung und
-forschung bei der FDA (CEDER).
Daten aus Phase-3-Studie mit über 1.000 Patienten
Die EUA stützt sich auf eine randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Phase 3-Studie namens ACTT-2, die vom Nationalen Institut für Allergien und Infektionskrankheiten (NIAID) durchgeführt wurde (NCT04401579). Sie untersuchte, ob zusätzliches Baricitinib die Erholungszeit von Patienten, die mit Remdesivir behandelt wurden, verkürzen konnte. Die Studie umfasste 1.033 Patienten mit mittelschwerem oder schwerem COVID-19, die 29 Tage lang beobachtet wurden. Jeweils etwa die Hälfte bekam Remdesivir plus Placebo oder plus Bariticinib. Die Genesung wurde entweder definiert als Entlassung aus dem Krankenhaus oder Krankenhausaufenthalt, ohne zusätzlichen Sauerstoff und ohne fortlaufende medizinische Versorgung. Die mediane Zeit bis zur Genesung von COVID-19 betrug sieben Tage für Remdesivir plus Baricitinib und acht Tage für Remdesivir plus Placebo. Die Wahrscheinlichkeit einer klinischen Besserung am Tag 15 war in der Baricitinib-plus-Remdesivir-Gruppe höher als in der Placebo-plus-Remdesivir-Gruppe und die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient stirbt oder dass er am 29. Tag beatmet wurde, war geringer. Die Effekte waren für alle diese Endpunkte statistisch signifikant.
WHO steht nicht hinter dem Einsatz von Remdesivir
In die Freude über die neue Kombi-Zulassung platzte die Mitteilung der Weltgesundheitsorganisation, die sich neuerdings gegen den Einsatz von Remdesivir ausspricht. Derzeit lägen keine Hinweise vor, dass Remdesivir unabhängig von der Schwere der Erkrankung wesentliche Auswirkungen auf die Mortalität, die Notwendigkeit einer mechanischen Beatmung, die Zeit bis zur klinischen Verbesserung oder andere für den Patienten wichtige Ergebnisse habe, heißt es in einer „bedingten Empfehlung“ der WHO. Die Empfehlung, Teil einer „Living Guideline“ zur klinischen Versorgung von COVID-19, sei von einem internationalen Gremium entwickelt worden, dem 28 Experten für klinische Versorgung sowie Patientenvertreter und ein Ethiker angehörten. Die Arbeiten dazu begannen laut WHO am 15. Oktober, als die WHO-Solidarity-Studie ihre Zwischenergebnisse veröffentlichte. Die vom Gremium überprüften Daten umfassten Ergebnisse dieser Studie sowie drei weitere randomisierte kontrollierte Studien. Insgesamt seien Daten von über 7.000 Patienten berücksichtigt worden. Die Leitlinienentwicklungsgruppe sprach sich aber für die weitere Erforschung von Remdesivir aus, insbesondere um die Evidenz für bestimmte Patientengruppen zu verbessern. Sie unterstützt deshalb auch die fortgesetzte Teilnahme an Studien zur Bewertung von Remdesivir.
Gilead enttäuscht
Der Remdesivir-Hersteller Gilead Science äußerte sich nach einem Bericht im „Manger-magazin“ enttäuscht. Der Pharmakonzern habe erklärt, sein unter dem Namen Veklury® vermarktetes Mittel sei „von mehreren glaubwürdigen nationalen Organisationen anerkannt“. Die WHO „ignoriert anscheinend diese Belege zu einer Zeit, da die Fälle rund um die Welt dramatisch ansteigen und Ärzte auf Veklury® als erste und einzige zugelassene Behandlung für Patienten mit COVID-19 angewiesen sind“. Ende Oktober habe Gilead bereits seine Umsatzprognose für 2020 gesenkt. Die Nachfrage sei geringer als erwartet, der Absatz von Remdesivir lasse sich schwer vorhersagen. Der Nutzen des Medikaments und vor allem die Preispolitik des Unternehmens seien schon länger umstritten, schreibt das Manager-Magazin und auch der WHO ein Dorn im Auge. Die EU-Kommission hatte Anfang Oktober einen Vertrag mit Gilead über die Lieferung von bis zu 500.000 Dosen Remdesivir in den kommenden sechs Monaten unterzeichnet.
Remdesivir in Deutschland weiter für Corona-Patienten eingesetzt
Trotz der kritischen WHO-Studie werde Remdesivir in Deutschland zur Behandlung bestimmter Corona-Patienten zunächst weiter eingesetzt, ist in dem Wirtschaftsportal „finanzen.net“ nachzulesen. Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums habe mitgeteilt, dass man eine Neubewertung auf EU-Ebene auch unter deutscher Beteiligung abwarten wolle. Bis dahin halte man an der Praxis fest. Ein Vertreter deutscher Intensivmediziner habe vor wenigen Wochen betont, dass man durchaus einen positiven Effekt beim Einsatz von Remdesivir in ganz bestimmten Fällen von Patienten sehe.
AMK: Arzneimittelrisiken im Zusammenhang mit Remdesivir melden
Auch die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker hat sich vor wenigen Tagen hinsichtlich Remdesivir zu Wort gemeldet. Sie verweist darauf, dass mehrere medizinische Fachgesellschaften Empfehlungen zum Einsatz von Veklury® veröffentlicht hätten. Basis dafür seien vor allem die jetzt vollständig publizierten Daten der ACTT-1-Studie und der GS-US-540-5773-Studie. Bei hospitalisierten COVID-19-Patienten könne Remdesivir die Genesungszeit verkürzen. Eine signifikante Senkung der Mortalität sei bisher jedoch nicht nachgewiesen worden. Auf Basis der bisherigen Erkenntnisse erscheine ein Einsatz vor allem in der Frühphase der Erkrankung sinnvoll. Die Therapiedauer sollte dabei in der Regel fünf Tage betragen.
Die AMK bittet die Apotheker darum, alle Arzneimittelrisiken im Zusammenhang mit der Anwendung von Remdesivir unter www.arzneimittelkommission.de zu melden.
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