BAH-Positionspapier

Arzneimittelhersteller zerpflücken Nationales Gesundheitsportal

Berlin - 21.01.2021, 07:00 Uhr

Das BMG als Betreiber des Nationalen Gesundheitsportals steht weiterhin in der Kritik. (Screenshot: gesund.bund.de)

Das BMG als Betreiber des Nationalen Gesundheitsportals steht weiterhin in der Kritik. (Screenshot: gesund.bund.de)


Die Kritik am BMG als Betreiber des Nationalen Gesundheitsportals reißt nicht ab: Nach der Verlagsbranche wittert jetzt auch der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) Wettbewerbsverzerrung. Dabei hat der Pharmaverband nicht nur die umstrittene Kooperation mit Google im Blick – auch die Therapiefreiheit sieht der BAH gefährdet. Zudem vermissen die Hersteller einen Verweis auf den Stellenwert der Beratung zu Medikamenten in den Apotheken vor Ort.

Wie weit darf das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gehen, um sein Nationales Gesundheitsportal zu pushen? Spätestens mit Bekanntwerden der Kooperation mit Google Mitte November war für Verleger und Anbieter von Gesundheitsinformation im Internet eine Grenze überschritten: Die Vereinbarung beinhaltet, dass die Suchmaschine das Angebot des Ministeriums bevorzugt präsentieren. Konkret heißt das: Wer eine von inzwischen 160 Krankheiten googelt, zu denen das Portal Informationen bereithält, soll über einen prominent platzierten Kasten direkt auf die vom BMG betriebene Seite gelotst werden. Ziel ist es laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die Bürger:innen in Deutschland „schnell, zentral, verlässlich, werbefrei und gut verständlich über alle Themen rund um Gesundheit und Pflege“ zu informieren.

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Die Verlagsbranche empfindet das als Affront. Sie schlug umgehend Alarm und sieht die Pressefreiheit in Gefahr. Der Präsident des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), Rudolf Thiemann, sagte: „Schon dass ein Bundesministerium überhaupt ein eigenes Fachmedium mit vollwertiger redaktioneller Berichterstattung über Gesundheitsfragen betreibt, ist mit der Staatsfreiheit der Medien nicht vereinbar und ein unannehmbarer Eingriff in den freien Pressemarkt, der sich nach wirtschaftlichen Grundsätzen finanzieren muss. Nun aber lässt das Bundesgesundheitsministerium seine Gesundheitsberichterstattung auch noch durch das Quasi-Suchmonopol an allen Verlagsangeboten vorbei privilegiert verbreiten. Eine solche Verdrängung der privaten Presse durch ein staatliches Medienangebot auf einer digitalen Megaplattform ist ein einmaliger und neuartiger Angriff auf die Pressefreiheit.“

Ärzte, Apotheker und Industrie müssen über Arzneien informieren

Nun stößt der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) in ein ganz ähnliches Horn: In einem am gestrigen Mittwoch veröffentlichten Positionspapier zweifelt der Verband die Legitimation des Portals grundsätzlich an. „Auf welcher Grundlage wird eine nationale Gesundheitsinformation durch den Staat vorrangig angeboten?“, fragen die Hersteller. Das deutsche Gesundheitswesen arbeite autonom und in weiten Teilen selbstverwaltet. Verschiedene Berufsgruppen wie Ärzte und Apotheker, aber auch die pharmazeutische Industrie, haben demnach einen gesetzlichen Auftrag zur Information über Arzneimittel. „Die zentrale und pauschale Gesundheitsinformation – insbesondere die Nennung von Therapieempfehlungen – durch das Nationale Gesundheitsportal steht im Widerspruch zu einer patientenindividuellen Information und Beratung durch die Fachkreise auf Basis derer Fachgesellschaften. Dies kann die Balance innerhalb der Therapievielfalt stören und die Therapiefreiheit beeinflussen“, kritisiert der BAH.

Portal wird dem Qualitätsanspruch nicht gerecht

Anspruch von Betreiber und Redaktion des Nationalen Gesundheitsportals ist es, wissenschaftlich gesicherte Gesundheitsinformationen von durchgängig hoher Qualität anzubieten. „Nach Einschätzung des BAH gibt es eine Vielzahl von Aussagen, die diesem – auch vom Nutzer zu Recht erwarteten – hohen Anspruch nicht gerecht werden“, führen sie weiter aus. Mängel sehen sie unter anderem bei der Aktualität der Information. „Wie kann das Portal den hohen Qualitätsanspruch einlösen, sich an den Erkenntnissen der aktuellen Forschung zu orientieren, wenn die Aktualisierungsfrequenz auf bis zu drei Jahre festgelegt ist?“ So könnten etwa Angaben zu neuen Arzneimitteln, diagnostischen Verfahren und digitalen Gesundheitsanwendungen „kaum zeitnah Berücksichtigung finden“.

Verweis auf Beratung in der Apotheke fehlt

Darüber hinaus missfällt dem BAH, dass bei vielen Krankheitsbildern lediglich beispielhaft Behandlungsmöglichkeiten genannt werden – „insbesondere bei solchen, die im Rahmen der Selbstmedikation eigenverantwortlich bzw. ergänzt durch eine entsprechende Beratung in der Apotheke behandelt werden können“. Andere Mittel, die ebenfalls für die entsprechende Indikation eine Zulassung besitzen, lassen die Autoren des Portals unter den Tisch fallen. „Dies führt zu einer nicht begründeten Auswahl und Einschränkung der Therapieoptionen und kann in der Folge zu einer Verunsicherung bei Anwendern nicht genannter Optionen führen.“

Noch weitergehend und aus Sicht des BAH nicht akzeptabel ist es, dass behördlich zugelassene Arzneimittel im Gesundheitsportal teilweise als entbehrlich dargestellt würden und ihre Wirksamkeit grundsätzlich angezweifelt werde. „Schließlich wird die Bedeutung einer verantwortungsvollen Selbstmedikation, die dem Wunsch breiter Teile der Bevölkerung entspricht und auch aus sozioökonomischen Gründen unverzichtbar ist, immer wieder in Frage gestellt“, monieren die Hersteller. Auch die Therapieleitlinien wissenschaftlicher Fachgesellschaften werdendem Positionspapier zufolge teilweise nicht mit einbezogen, Empfehlungen von Patientenvertretungen bleiben unberücksichtigt. „Weiterhin fehlt systematisch ein Verweis auf die Bedeutung der Apotheke vor Ort und der dortigen Beratung zu Arzneimitteln.“

Droht Wettbewerbsverzerrung auch im Arzneimittelmarkt?

Auch über wettbewerbliche Aspekte im Markt der Gesundheitsinformation hat sich der BAH Gedanken gemacht. „Das steuerfinanzierte und vom BMG betriebene Nationale Gesundheitsportal muss aus Sicht des BAH Wettbewerbsverzerrungen gegenüber privaten Anbietern von Gesundheitsinformationen und Arzneimitteln verhindern“, betonen die Pharmahersteller. Zu berücksichtigen gelte es, dass sich private Anbieter häufig über Werbung und Abonnements finanzieren müssen, während das BMG-Portal aus Mitteln des Bundesgesundheitsministeriums unterhalten wird. Auch die Kooperation mit Google ist dem Verband ein Dorn im Auge: „Untersuchungen belegen, dass bereits heute rund ein Drittel der Internetnutzer bei der organischen Suche nur die erste Platzierung beachtet“, führt der BAH an. Bei bevorzugter Anzeige der Portalinhalte werde sämtlicher anderer Content in den Suchergebnissen, vor allem bei der am weitesten verbreiteten Suche auf mobilen Geräten, aus dem für den Verbraucher sichtbaren Bereich nach unten verdrängt.“

Gewinner dieses Deals ist nach Einschätzung des BAH übrigens Google. Denn: „Die werbetreibende Industrie, die bisher über die Verlagsportale oder eigene Inhalte präsent war, müsste nun deutlich stärker in Google-Ads-Anzeigen investieren, um sichtbar zu bleiben. Das wiederum erhöht aufgrund des Auktionsprinzips die Werbeeinnahmen von Google.“ Die Suchmaschine verdränge damit nicht nur freie redaktionelle Inhalte, sondern stärke nebenbei auch noch ihre Monopolstellung am Markt.

Schnittstellen mit ePA und E-Rezept in der Kritik

Auch die mit dem Gesetz zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege (DVPMG) geplanten Schnittstellen zur elektronischen Patientenakte (ePA) und zum E-Rezept bereiten dem BAH Sorge. „Je nach Ausgestaltung könnte das unter anderem zur Folge haben, dass Versicherte zukünftig sowohl über die ePA als auch über die (jährlich ca. 500 Millionen) E-Rezepte gezielt zum Nationalen Gesundheitsportal gelenkt werden“, merken die Hersteller an.

Aufgrund der prominenten Sichtbarkeit der Inhalte des Gesundheitsportals und der „teils lückenhaften Darstellung von Behandlungsoptionen“ entstehe eine automatische Verzerrung der wahrgenommenen und damit zu favorisierenden Therapieoptionen bei den Verbrauchern. „Dies birgt das Risiko einer Wettbewerbsverzerrung innerhalb des Arzneimittelmarkts“, warnt der BAH. „Eine Lösung hierfür ist eine zwingend vollständige Nennung aller durch die Zulassungsbehörde zugelassenen Therapieoptionen (und nicht nur beispielhaft einzelner Optionen) aus Transparenz- und Objektivitätsgründen oder die Herauslösung und Streichung der Behandlungsoptionen aus dem Gesundheitsportals insgesamt und ein Verweis auf die Heilberufe, welche eine patientenindividuelle Beratung und Behandlung seriös, ausgewogen und fachwissenschaftlich gewährleisten können.“



Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Google

von Jürgen Lamme am 22.01.2021 um 8:46 Uhr

Die Zusammenarbeit mit Google ist nur folgerichtig. Wo soll denn die digitale Kompetenz herkommen, wenn Karrieren in deutschen Behörden nicht durch Kompetenz sondern durch Ersitzen erfolgen. Und an den Spitzen wird dieses Land durch Menschen ohne Berufsausbildung, bestenfalls mit abgebrochenem Theologiestudium, geführt. Erstaunlich ist, dass man trotz dieser geballten Inkompetenz glaubt, der Staat könne irgendetwas besser als die Privatwirtschaft.

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hoher Standard

von J.M.L. am 21.01.2021 um 9:35 Uhr

Während die Standards im Gesundheitswesen und der pharmazeutischen Industrie sehr hoch sind, fehlen solche Standards in der Politik völlig, sind denn Lobbyisten mit Bankkaufsmannslehre und blindem Aktionismus wirklich die beste Option für unsere Republik? Pardon Bananenrepublik?

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