EPatient-Survey

Digitale Gesundheitsangebote erreichen unterversorgte Zielgruppen nicht

Stuttgart - 29.04.2021, 12:15 Uhr

Wer nutzt Videosprechstunden? Laut einer aktuellen Studie sind es Menschen, die ohnehin guten Zugang zur Gesundheitsversorgung haben. (Foto: Studio Romantic / Adobe Stock)

Wer nutzt Videosprechstunden? Laut einer aktuellen Studie sind es Menschen, die ohnehin guten Zugang zur Gesundheitsversorgung haben. (Foto: Studio Romantic / Adobe Stock)


Video-Sprechstunden haben im Zuge der Corona-Pandemie stark an Reichweite gewonnen, während Arztbesuche vor Ort zurückgegangen sind. Dem aktuellen EPatient-Survey zufolge scheinen die digitalen Angebote aber vor allem Bevölkerungsgruppen zu erreichen, die ohnehin guten Zugang zur Gesundheitsversorgung haben: Akademiker:innen in Großstädten mit akuten Beschwerden. Vulnerable Gruppen wie chronisch Erkrankte bleiben der Erhebung zufolge außen vor.

Die nächste Arztpraxis Kilometer weit weg, die öffentliche Anbindung ausbaufähig. Menschen, die im ländlichen Raum auf ärztliche Versorgung angewiesen sind, stehen oft vor einer Reihe von Problemen, insbesondere wenn sie nicht mobil sind. Video-Sprechstunden werden schon seit einer Weile als Teil der Lösung des Problems gepriesen. Im Zuge der Coronapandemie haben diese Angebote einen wahren Boom erlebt. Seit Herbst 2020 hat sich die Zahl der Online-Sprechstunden mehr als verdoppelt. Das berichtet das Marktforschungsunternehmen EPatientAnalytics. Demnach haben 4,6 Prozent der Bürger:innen Ende 2020 eine Arzt- oder Psychotherapeuten-Sprechstunde online in Anspruch genommen, sechs Monate später hat sich diese Zahl auf 10,7 Prozent erhöht. Auch die chat- oder videobasierte Konsultation nicht-ärztlicher Fachberufe, wie Hebammen oder Physiotherapie, nehme zu (derzeit bei 5 Prozent), heißt es in einer aktuellen Mitteilung.

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Akademiker in Großstädten mit akuten Beschwerden

Laut der aktuellen Studie des Unternehmens, dem EPatientSurvey, bei dem 5.100 Personen zum E-Health-Markt befragt wurden, kommen die digitalen Angebote allerdings oft nicht bei denen an, die sie am meisten benötigen. Denn: Drei von vier Nutzer:innen haben demnach eher akademischen Background, leben in Großstädten und suchen wegen akuter Beschwerden ärztlichen Rat. Es sind also Menschen, die ohnehin guten Zugang zur Gesundheitsversorgung haben. Menschen mit chronischen Erkrankungen nutzen diese Angebote offenbar deutlich seltener.

Wunsch: Apotheke vor Ort als Beratungsort für digitale Gesundheitshelfer 

Nach der Erhebung von E-Health-Analytics trifft der Rückgang von Arztbesuchen vor Ort durch den Lockdown daher chronisch Kranke und bildungsferne Schichten besonders. Die Schere zwischen chronischen und weniger digitalaffinen Patienten und den digitalfitten Milieus mit dem Arzt auf ihrem Smartphone wachse somit, heißt es. Die Marktforscher schlagen als Lösung für dieses Dilemma sogenannte Hybridszenarien für Digital-Health vor. Die digitalen Gesundheitshelfer sollen in der Versorgung vor Ort in Form von „Hybridlösungen” (Kombination von Digital und Analog) zum Beispiel in Arztpraxen, Apotheken oder bei weiteren lokalen Leistungserbringern integriert werden, vielleicht sogar im Einzelhandel (Drogerien u. ä.). „Damit digitale Anwendungen ihren Nutzen bei den relevanten unterversorgten Zielgruppen entfalten können, müssen sie raus aus dem Netz“, findet das Marktforschungsunternehmen. Im Moment ist aber noch das Gegenteil der Fall: Derzeit erhalten Patienten laut dem EPatient-Survey beispielsweise stärker über ihre Versandapotheke Empfehlungen zu digitalen Helfern als von ihrer Apotheke vor Ort (etwa um den Faktor 1,5) – eine mögliche Erklärung dafür ist, dass viele große Versandapotheken Chroniker-Programme anbieten. Das heißt aber: Die Empfehlungen erreichen wieder nur die, die ohnehin schon im Netz sind. Tatsächlich würden sich den Daten zufolge jedoch gerade Akut-Patienten im Vergleich zu verschiedenen anderen Kanalarten stärker die niedrigschwellige Apotheke vor Ort als Beratungsort für digitale Gesundheitshelfer wünschen (Wirklichkeit vs. Wunsch: 9 Prozent zu 17 Prozent).

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Andere Länder machen es bereits vor

Andere Länder machen bereits vor, wie das mit der Integration in die Strukturen vor Ort funktionieren kann. So zeigen beispielsweise in England in Büchereien und Jobcentern Assistenten und Terminals, wie man Arzttermine oder Konsultationen online plant oder eine Medikamenten-App nutzt. In der Schweiz erhielten die Patienten bei Einlösung eines Antibiotikarezepts den Antibiotika-Coach direkt in der Apotheke.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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