Deutscher Ärztetag

Ärzte bremsen beim E-Rezept – Spahn verwundert

Dresden - 04.05.2021, 16:45 Uhr

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn beim Deutschen Ärztetag 2019 in Münster. (Foto: IMAGO / Rüdiger Wölk)

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn beim Deutschen Ärztetag 2019 in Münster. (Foto: IMAGO / Rüdiger Wölk)


Der Präsident der Bundesärztekammer hat eine Kursänderung in Sachen Digitalisierung angemahnt. „Wir haben in den letzten Monaten gesehen, dass Telemedizin und Videosprechstunden eine sinnvolle Ergänzung zu herkömmlichen Versorgungsformen sein können“, sagte Dr. Klaus Reinhardt bei der Eröffnung des digitalen Deutschen Ärztetags am Dienstag. Die Pandemie habe aber auch gezeigt, wie weit einzelne Bereiche des Gesundheitswesens von einem „sinnvollen, bedarfsgerechten und standardisierten Informationsfluss in den medizinischen Versorgungsprozessen entfernt sind“.

Laut BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt müssen die leistungsstarken Strukturen des Gesundheitswesens sicher und zukunftsfähig gemacht werden. Dazu gehöre die „konsequente Förderung sinnvoller digitaler Anwendungen und der Ausbau der digitalen Infrastruktur“, so Reinhardt. Er wisse, sagte er an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gerichtet, „dass Sie nach den vielen Jahren des Stillstands bei der elektronischen Gesundheitskarte nun endlich Tempo machen wollen. Und ich unterstütze Sie dabei ausdrücklich. Bereits erprobte Anwendungen der Telematikinfrastruktur, wie der Notfalldatensatz und der elektronische Medikationsplan, sollten zügig in den Versorgungsalltag eingeführt werden.“ Das würde den konkreten Nutzen der Telematik endlich für alle Patienten und Ärzte erfahrbar machen. „Ich warne aber zugleich vor einer zu engen Taktung bei der Digitalisierung, die keine Zeit mehr dafür lässt, neue Anwendungen mit der dafür notwendigen Gründlichkeit auf ihre Praxistauglichkeit hin zu erproben.“

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Ein weiterer Testlauf für das E-Rezept

Die Ärzte argumentieren, die vom Gesetzgeber beschlossenen Fristen für die nächsten Digitalisierungsschritte wären schon ohne Pandemie nicht zu halten. Vor allem jene Anwendungen, die nicht primär die Patientenbehandlung unterstützen, sollten demnach verschoben werden. Das betreffe das E-Rezept und die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. „Stattdessen sollten die medizinischen Anwendungen wie Notfalldaten, E-Medikationsplan und elektronische Patientenakte endlich von der Industrie praxistauglich umgesetzt werden.“ Zudem fordert die BÄK, die Sanktionen für Ärzte zu streichen. „Das gilt vor allem für Sanktionen, die an die Verfügbarkeit notwendiger Ausstattungen anknüpfen, aber bereits heute erkennbar ohne Verschulden der Ärzteschaft nicht zu den gesetzlich vorgesehenen Terminen zur Verfügung stehen werden“, so Reinhardt.

Durch die verspätete Verfügbarkeit zugelassener ePA-Konnektoren werde der ebenfalls mit Sanktionen behaftete Termin zum 30. Juni 2021 zur Ausstattung der Arztpraxen mit den nötigen Komponenten wohl kaum eingehalten werden können. Und: Nach Auskunft der Vertrauensdienste-Anbieter gebe es derzeit mehrere Tausend Bestellungen für den elektronischen Heilberufeausweis (eHBA), die nur mit Verzug von vier bis sechs Wochen produziert und ausgeliefert werden könnten. Der Bearbeitungsstau mache eine Vollausstattung der Vertragsärzte und damit eine Betriebsbereitschaft zum 30. Juni 2021 schlichtweg unmöglich. „Für all diese Verzögerungen, Herr Minister, sind nicht die Ärzte verantwortlich“, sagte Reinhardt.

Überhastete Digitalisierung?

Die Delegierten des 124. Deutschen Ärztetags, der eigentlich in Rostock stattfinden sollte, wegen der Pandemie allerdings reduziert und online abgehalten wird, wollen über einen Leitantrag abstimmen, in dem unter anderem von einer „überhasteten Digitalisierung“ die Rede ist. Spahn zeigte sich in seinem Grußwort an die Ärzte verwundert über die Formulierung und sagte, von Überhastung sei in den vergangenen 20 Jahren nichts zu merken gewesen. Im Gegenteil: Endlich kämen Dinge in Gang, die eine bessere Vernetzung im Gesundheitswesen ermöglichten.

Falsch ist laut Spahn auch die Einschätzung, der Aufbau der Telematikinfrastruktur (TI) koste nur Geld und bedeute viel Aufwand, ohne etwas zu bringen. Vielmehr sei die TI die Voraussetzung für das Einführen von Anwendungen, „die im Alltag einen Unterschied machen“. Spahn wolle auch deshalb weiter aufs Tempo drücken, um nicht von China und anderen Staaten abhängig zu sein, „wie es bei G5 gewesen ist“. Er wünsche sich gerade im sensiblen Bereich der Gesundheitsdaten Angebote aus Deutschland. Der Minister lobte die Krankenkassen, die in Sachen elektronische Patientenakte „ihren Teil geleistet haben“. Jetzt müssten auch die Hersteller von Praxisverwaltungssystemen liefern, mahnte Spahn. Er zeigte sich optimistisch, dass ab Juli zunächst das E-Rezept und dann der digitale Impfpass umgesetzt werden.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) kritisierte bei ihrer Vertreterversammlung am gestrigen Montag ebenfalls die Fristen zur Einführung weiterer digitaler Anwendungen. Diese seien unrealistisch und orientierten sich offenbar eher an Wahlterminen als an der Machbarkeit, sagte KBV-Vorstand Thomas Kriedel. Er warnte zugleich vor einem Ansturm auf die Arztpraxen, sollte der digitale Impfausweis im Juli, wie vom BMG geplant, starten. Kriedel stellte die Frage in den Raum, warum dieser in der Pandemie eingeführt werden müsse. Kritik äußerte der KBV-Vorstand auch hinsichtlich des E-Rezepts: Demnach wollen die Gematik und das BMG das E-Rezept zunächst lediglich regional in einem Pilotprojekt testen, anstatt einen „sinnvollen breit ausgerollten Feldtest“ zu planen.  



Anja Köhler, Freie Journalistin
redaktion@daz.online


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