INTERPHARM online

„Trinknahrung hat ohne Ernährungsberatung bei Tumorkachexie keinen Effekt“

Stuttgart - 07.05.2021, 14:29 Uhr

Smollich wies darauf hin, dass die Ernährungstherapie bei Tumorpatient:innen von der Gesetzlichen Krankenversicherung übernommen wird. Apotheker:innen könnten hier eine Lenkungsfunktion übernehmen und Betroffene darauf hinweisen. (x / Foto: Schelbert)

Smollich wies darauf hin, dass die Ernährungstherapie bei Tumorpatient:innen von der Gesetzlichen Krankenversicherung übernommen wird. Apotheker:innen könnten hier eine Lenkungsfunktion übernehmen und Betroffene darauf hinweisen. (x / Foto: Schelbert)


Auch in diesem Jahr findet die INTERPHARM coronabedingt „nur“ online statt – am heutigen Freitag der Pharmazeutische eKongress. Der erste Referent des Tages im INTERPHARM-Studio war Professor Martin Smollich, Apotheker und Experte für Ernährungsmedizin. Sein Thema: „Tumorkachexie: Was tun bei krebsbedingter Mangelernährung?“

„Die Tumorkachexie verschlechtert die Gesamtprognose“, machte Professor Martin Smollich gleich zu Beginn und immer wieder während seines Vortrags bei der INTERPHARM online am heutigen Freitag klar. Es gebe mehr Infektionen, mehr Nebenwirkungen und mehr Krankenhausaufenthalte. Außerdem komme oft die Anpassung der Medikation dem Gewichtsverlust nicht hinterher, so Smollich. Die Therapie könne also nicht optimal durchgeführt werden.


Insgesamt sterben ein Viertel bis ein Drittel der Tumorpatienten an der Mangelernährung.“

Professor Martin Smollich


Deswegen ist es in den Augen des Ernährungsexperten essenziell, sich schon zum Zeitpunkt der Diagnose um das Thema zu kümmern. Oft läge dann auch schon eine (Prä-)Kachexie vor, so Smollich. Konkret bedeutet das, zum frühestmöglichen Zeitpunkt, also unmittelbar nach der Diagnose, ein Screening auf Mangelernährung durchzuführen, gefolgt von einem individuellen Ernährungsassesment durch eine Ernährungsfachkraft und schließlich einer Ernährungstherapie. Dass das alles auch so geschieht, dazu kann die Apotheke laut Smollich auch einen Beitrag leisten, indem man die Patient:innen, wenn sie in der Offizin von ihrer Diagnose erzählen, darauf aufmerksam macht. „Die haben anderes im Kopf“, so Smollich. 

Vortrag verpasst?

Alle Vorträge der INTERPHARM online wurden aufgezeichnet und können noch sechs Wochen abgerufen werden. Mehr Infos und Tickets gibt es hier.

Aber man sollte, wenn Krebspatient:innen an Gewicht verlieren, andere Ursachen nicht aus den Augen verlieren. „Das muss sich zwingend nur an der Tumorkachexie liegen.“ Daher gilt es, nach Ursachen zu suchen und individuelle Lösungen zu finden.

Nicht gleich mit Trinknahrung beginnen

Bei der Ernährungstherapie gegen Mangelernährung kommt vielen vermutlich unverzüglich Trinknahrung in den Sinn. Damit solle man aber nicht direkt beginnen, erläutert Smollich. Davor sollten unter anderem eine Ernährungsberatung, Ernährungsmodifikation, individuelle Wunschkost sowie Allgemeinmaßnahmen herangezogen werden. Im nächsten Schritt wird dann Nahrung angereichert, zum Beispiel mit Maltodextrin und Eiweißkonzentraten. Erst dann kommt Trink- und Zusatznahrung zum Einsatz. Dabei ganz wichtig: Diese muss immer mit einer individuellen und professionellen Ernährungsberatung kombiniert werden. Sonst habe sie keinen Effekt, so Smollich.

Brauchen Tumorpatienten mehr Mikronährstoffe?

Auch auf das Thema Mikronährstoffe bei Tumorpatient:innen ging Smollich ein. Hier sollen Defizite gezielt ausgeglichen werden und keine Hypersupplementation erfolgen.


 Für Krebspatient:innen gelten dieselben Referenzwerte wie für alle anderen. Sie benötigten zwar öfter Mikronährstoffe, aber nicht mehr.“

Professor Martin Smollich


Smollich wies auch darauf hin, dass die Ernährungstherapie bei Tumorpatient:innen von der Gesetzlichen Krankenversicherung übernommen wird. Voraussetzung dafür ist eine ärztliche Notwendigkeitsbescheinigung. Apotheker:innen könnten hier eine Lenkungsfunktion übernehmen und Betroffene darauf hinweisen. Diese Bescheinigung könne heruntergeladen und vom Arzt unterschrieben werden. Sie gehe auch nicht ins Budget.

Gibt es bald eine Pharmakotherapie?

Der Hoffnung, dass es in naher Zukunft, eine Pharmakotherapie gegen Tumorkachexie geben könnte, erteilte der Pharmazeut eine klare Absage. Viele Ansätze, zum Beispiel mit TNF-alpha-Blockern oder Anti-IL-6, hätten keinen oder nur einen marginalen Effekt gehabt, berichtet er. COX-Hemmer hätten den BMI gesteigert und auch die Lebensqualität. THC-Analoga hätten sich positiv auf den Appetit und auch auf die Lebensqualität ausgewirkt, aber keinen Effekt auf die Funktionalität gehabt. Patient:innen seien also nicht besser in der Lage gewesen, ihren Alltag zu bewältigen. Auch Eingriffe ins Ghrelin-System steigerten den BMI und den Appeitit, aber eben auch nicht die Funktionalität. Zudem sei der Wirkmechanismus in Zusammenhang mit einer Tumorerkrankung kritisch, weil es sich um einen Wachstumsfaktor handele, der möglichweise auch das Tumorwachstum beschleunige.

PTAheute eKongress am Samstag, den 8. Mai 2021

Der PTAheute-eKongress bildet am Samstag, den 8. Mai den krönenden Abschluss der INTERPHARM online 2021.

Weiter Infos und Tickets gibt es hier.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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1 Kommentar

Ihr Artikel zur Trinknahrung - Tumorkachexie

von Klaus Hollmannn am 15.05.2021 um 8:42 Uhr

Was verstehen Sie genau unter der Ernährungstherapie, die vom Arzt verordnet werden kann? Welche Notwendigkeitsbescheinigung gibt es da?

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