ApothekenRechtTag

Wann darf die Arzneimittelabgabe in der Apotheke verweigert werden?

11.05.2021, 13:45 Uhr

Wer die Abgabe eines Arzneimittels verweigert, sollte sich gut überlegen, warum er das tut. (Foto: Jacob Lund / AdobeStock)

Wer die Abgabe eines Arzneimittels verweigert, sollte sich gut überlegen, warum er das tut. (Foto: Jacob Lund / AdobeStock)


Auf den ersten Blick mag diese Frage widersinnig erscheinen. Schließlich ist es die ureigene Aufgabe und Verpflichtung der Apotheken, die Bevölkerung ordnungsgemäß mit Arzneimitteln zu versorgen. Trotzdem kann es durchaus Gründe geben, auch mal zu zögern oder sogar nein zu sagen. Wann das passieren darf oder muss, erläuterte der Berliner Rechtsanwalt Ulrich Grau beim ApothekenRechtTag im Rahmen der INTERPHARM online.

Nach dem Apothekengesetz müssen die Apotheken die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherstellen. Sie sind also dazu verpflichtet, Arzneimittel an Endverbraucher abzugeben, ein Sachverhalt, der als „Kontrahierungszwang“ bezeichnet wird. Für verschreibungspflichtige Arzneimittel (verschriebene Arzneimittel) ergibt sich dieser aus der Apothekenbetriebsordnung (§ 17 Abs. 4 ApBetrO).

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Hiernach müssen Verschreibungen von Ärzten, Zahnärzten und Tierärzten in einer angemessenen Zeit, das heißt in der Regel unverzüglich ausgeführt werden. 

Wann darf oder muss die Abgabe verweigert werden?

Es gibt allerdings Situationen, in denen dies nicht sofort möglich ist, etwa wenn ein Rezept nicht lesbar ist, wenn es einen erkennbaren Irrtum enthält oder wenn sich sonstige Bedenken ergeben. In solchen Fällen, die in der Apotheke durchaus an der Tagesordnung sind, darf die Verschreibung erst beliefert werden, wenn die Unklarheit beseitigt ist (§ 17 Abs. 5 ApBetrO). Liegt ein begründeter Verdacht auf einen Arzneimittelmissbrauch vor, so darf ein Arzneimittel nicht abgegeben werden. Ein solcher Verdacht kann zum Beispiel entstehen, wenn ein Kunde mehrere gleichlautende Rezepte vorlegt oder in kürzeren Abständen Arzneimittel in größeren Mengen kauft. Grau geht davon aus, dass sich das abgebende Personal sicher häufig schwertut, solche Fälle abzuschätzen, auch weil der Einblick in die Gesamtmedikation des Kunden fehlt. Mit der Einführung des E-Rezepts könnte sich das aber ändern, denn damit werden die Verordnungen eines einzelnen Patienten transparenter.

Begrenzter Kontrahierungszwang bei OTC-Arzneimitteln

Wie der Rechtsanwalt weiter ausführte, gilt der Kontrahierungszwang beim Verkauf nicht-rezeptpflichtiger Arzneimittel nur begrenzt. So könnte er aus Graus Sicht bei freiverkäuflichen OTC-Präparaten fraglich sein. Bei apothekenpflichtigen ist schon eher davon auszugehen, denn diese kann ein Kunde schließlich nur in der Apotheke erwerben. Trotzdem hat der Apotheker in der Selbstmedikation einen fachlichen Ermessensspielraum. Hier ist kein Arzt vorgeschaltet und so muss er entscheiden, ob das gewünschte Arzneimittel bei der konkreten Person geeignet oder ob eher ein Arztbesuch anzuraten ist. 

Was geschieht bei Verletzung des Kontrahierungszwangs?

Wer die Abgabe eines Arzneimittels verweigert, sollte sich gut überlegen, warum er das tut. Sind die Gründe dafür nicht stichhaltig, drohen disziplinar-, straf- und zivilrechtliche Konsequenzen. Das Spektrum der Sanktionen umfasst Rügen oder Bußgelder. Im schlimmsten, wenn auch aus Graus Sicht eher unwahrscheinlichen Fall kann nach Berufsrecht sogar die Approbation widerrufen werden. Patienten könnten Schadensersatzansprüche geltend machen. Je nach Fall kann ein Apotheker wegen unterlassener Hilfeleistung bzw. fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung auch strafrechtlich belangt werden. 

Verweigerung der Abgabe aus Gewissensgründen möglich?

Für zahlreiche Diskussionen hat im November 2019 ein Gerichtsverfahren zur Verweigerung der Abgabe aus Gewissensgründen gesorgt. Ein Apotheker aus Berlin hatte sich hierauf berufen und in mehreren Fällen die Abgabe der „Pille danach“ verweigert, und zwar gegenüber Kundinnen mit und ohne Rezept. Die Apothekerkammer Berlin als Einleitungsbehörde des berufsrechtlichen Verfahrens argumentierte mit dem gesetzlichen Versorgungsauftrag des Apothekers, der ihn „zu religiöser und weltanschaulicher Mäßigung“ verpflichte. Der Apotheker machte seinerseits geltend, dass er das Arzneimittel nicht vorrätig gehabt habe und hielt seine Weigerung aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten Gewissensfreiheit und der Berufsausübungsfreiheit für berechtigt. Die Kundinnen hätten sich auch nicht in einer ausweglosen Lage befunden, da es mehrere Apotheken in der Nähe (insgesamt auch 30 Apotheken im Notdienst) gegeben habe. Das Berufsgericht beim Verwaltungsgericht Berlin (VG Berlin, Urteil vom 26.11.2019 - VG 90K13.18T) urteilte schließlich zu seinen Gunsten. Hiernach sollte also die Abgabe der „Pille danach“ in bestimmten Fällen aus Gewissensgründen verweigert werden können. Laut Grau ist das Urteil des erstinstanzlichen Berufsgerichts noch nicht rechtskräftig, weil die Apothekerkammer Berlin gegen die Entscheidung Rechtsmittel eingelegt hat. 

Der betroffene Apotheker hat seine Apotheke mittlerweile geschlossen.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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