13 besonders vielversprechende Kandidaten

12.000 Substanzen gegen SARS-CoV-2 gesichtet

Remagen - 11.06.2021, 09:15 Uhr

Vier der 13 Verbindungen sind bereits von der US-FDA zugelassen. Neun weitere befinden sich in verschiedenen Stadien des Arzneimittelentwicklungsprozesses. (c / Foto: megaflopp / AdobeStock)

Vier der 13 Verbindungen sind bereits von der US-FDA zugelassen. Neun weitere befinden sich in verschiedenen Stadien des Arzneimittelentwicklungsprozesses. (c / Foto: megaflopp / AdobeStock)


Die Suche nach schlagkräftigen Therapieansätzen im bekannten Arzneimittelrepertoire ist mühselig. Vielerorts werden Datenbanken für die Wiederverwendung von Medikamenten durchforstet, um rascher ans Ziel zu kommen. US-Wissenschaftler haben auf diesem Wege 90 Kandidaten mit antiviraler Aktivität gegen SARS-CoV-2 identifiziert und daraus 13 besonders vielversprechende Kandidaten herausgefiltert.

Ein US-Forscherteam von Scripps Research, einer medizinischen Forschungseinrichtung mit Hauptsitz im kalifornischen La Jolla hat in einer umfassenden Studie mehr als 12.000 Medikamente auf Wirksamkeit gegen SARS-CoV-2 gescreent. Die Substanzen stammen aus der ReFRAME Drug Repurposing Library, die 2018 von Calibr, der Abteilung für Wirkstoffforschung von Scripps Research, mit Unterstützung der Bill & Melinda Gates Foundation eingerichtet wurde – um Bereiche mit dringendem medizinischem Bedarf zu beackern, insbesondere vernachlässigte Tropenkrankheiten. Die Sammlung enthält von der FDA zugelassene Medikamente und andere experimentelle Verbindungen, die bereits auf ihre Sicherheit beim Menschen getestet wurden. 

Im Labor kultivierte mit SARS-CoV-2-infizierte menschliche Zellen

In der Studie behandelten die Wissenschaftler zwei verschiedene Arten von im Labor kultivierten mit SARS-CoV-2-infizierten menschlichen Zellen (HeLa-Zellen, die den SARS-CoV-2-Rezeptor ACE2 exprimieren und Lungenepithel-Calu-3 Zellen) mit den Substanzen aus ReFRAME. Nach 24 oder 48 Stunden maßen sie den Grad der Virusinfektion in den Zellen. In einigen Fällen wendeten sie zwei Medikamente gleichzeitig an, um zu sehen, ob sich die Wirkung dadurch verbesserte.  
Aus den Tausenden von untersuchten Kandidaten identifizierten die Forscher insgesamt 90 Verbindungen, die die Replikation von SARS-CoV-2 in mindestens einer der menschlichen Zelllinien verhinderten. Aus diesen filterten sie 13 mit einem besonders großen Potenzial heraus. Kriterien dafür waren die Wirksamkeit, die zelllinienunabhängige Aktivität, ein wahrscheinlicher Wirkmechanismus, die pharmakokinetischen Eigenschaften und das Sicherheitsprofil beim Menschen. Welche danach in die engere Wahl gegen COVID-19 kommen sollten, ist in ihrer Publikation in der Zeitschrift „Nature Communications“ nachzulesen.

Medikamente gegen Malaria, HIV, Hepatitis C und Bluthochdruck

Vier der 13 Verbindungen sind bereits von der US-FDA zugelassen. Neun weitere befinden sich in verschiedenen Stadien des Arzneimittelentwicklungsprozesses.  
Zu den vier zugelassenen gehören das Malariamittel Halofantrin (Halfan®), der Proteaseinhibitor Nelfinavir (Viracept®), der in den USA zur Behandlung von HIV eingesetzt wird, der NS3/4A-Protease-Inhibitor Simeprevir (Olysio®) zur Therapie chronischer Hepatitis-C-Infektionen und der Calciumkanalblocker Manidipin (Manyper), der als Blutdrucksenker verwendet wird. In Deutschland ist aktuell keines dieser Präparate verkehrsfähig.  

Hoffnungsträger ist das Influenza-Arzneimittel Molnupiravir

Die höchsten Erwartungen knüpfen die Forscher neben Nelfinavir an das in den USA noch nicht zugelassene Molnupiravir (MK-4482), das zur Behandlung der Influenza entwickelt wurde. Das orale Nukleosidanalogon ist ein Prodrug, das durch Hydrolyse in den eigentlichen Wirkstoff N-Hydroxycytidin überführt wird. Seit Oktober 2020 wird der breit wirksame antivirale Wirkstoff in klinischen Phase-II/III-Studien an hospitalisierten (MK-4482-001) und nicht hospitalisierten COVID-19-Patienten (MK-4482-002) untersucht. In Frettchen- und humanisierten Maus-Modellen für SARS-CoV-2 hat er sich bereits als wirksam erwiesen. 

Wirkungsverstärker für Remdesivir

In den Screenings von Kombinationen fanden die Forscher 19 Medikamente, die eine additive Wirkung hatten, wenn sie mit Remdesivir (Veklury®) von Gilead verabreicht wurden. „Der potenzielle Vorteil einer therapeutischen Strategie, die eine Kombination von Medikamenten verwendet, besteht darin, dass die Einnahme einer niedrigeren Dosis eines einzelnen Medikaments das Risiko von Nebenwirkungen dieses Medikaments verringern könnte“, sagt Malina Bakowski, Hauptautorin des Papers von „Nature Communications“ und leitende Prüfärztin bei Calibr. Zwei weitere Substanzen scheinen zusammen mit Remdesivir sogar eine synergistische Wirkung zu entfalten. Eine davon ist Riboprin, ein seltenes Nukleosid, das in der transfer-RNA (tRNA) vorkommt und zur Vorbeugung gegen Übelkeit und chirurgische Infektionen untersucht wurde, die andere ist 10-Deazaaminopterin, ein Derivat des Vitamins Folsäure, das wegen seiner onkologischen Wirkung von pharmazeutischem Interesse ist. 

„Mit großer Sorgfalt vorgehen“

Basierend auf den Ergebnissen der Zellkultur-Screenings testeten die Forscher die leistungsstärksten Medikamentenkandidaten auch in menschlichen Gewebezellen und einem Tiermodell, um festzustellen, welche am wahrscheinlichsten bei menschlichen Patienten wirken. „Die Ergebnisse der zellulären Assays und Tiermodelle sind sehr vielversprechend, und der Bedarf an medizinischen Mitteln gegen COVID-19 bleibt dringend“, erklärt der Präsident und CEO von Scripps Research Peter Schultz dazu. „Es ist entscheidend, dass wir mit größter Sorgfalt vorgehen, um zu bestimmen, was sicher und wirksam ist, da Sorgfalt der beste Weg ist, um neue Therapien zu finden, die für die Patienten einen Unterschied machen."



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Bundesregierung hat bestellt, Zulassung des Virustatikums steht noch aus

80.000 Dosen Molnupiravir

Selektionsdruck fördert Mutanten – AkdÄ fordert weitere klinische Studien

Paxlovid unter Beobachtung

COVID-19-Therapeutikum steht im Schatten von Nirmatrelvir / Ritonavir

Molnupiravir bleibt zweite Wahl

Orale Behandlung von COVID-19

EMA startet Rolling Review von Molnupiravir

Die Entwicklung von Arzneimitteln gegen COVID-19 führt ein Schattendasein

Und was macht die Therapie?

Neue Arzneimittel gegen COVID-19 machen Hoffnung

Nicht nur Antikörper ante portas

Behandlungserfolge mit Pfizer-Medikament Paxlovid, Molnupiravir in Großbritannien zugelassen

Fortschritte bei oraler COVID-19-Therapie

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.