COVID-19

Pausieren von Blutdrucksenkern könnte die Genesung beschleunigen

Remagen - 17.06.2021, 07:00 Uhr

Wegen der vermuteten Risiken eines unkontrollierten Absetzens von Herz-Kreislauf-Medikamenten und fehlender wissenschaftlicher Beweise rät die European Society of Cardiology aktuell davon ab, die RAS-Hemmung bei COVID-19 abzusetzen. Foto: SawBear Photography / AdobeStock)

Wegen der vermuteten Risiken eines unkontrollierten Absetzens von Herz-Kreislauf-Medikamenten und fehlender wissenschaftlicher Beweise rät die European Society of Cardiology aktuell davon ab, die RAS-Hemmung bei COVID-19 abzusetzen. Foto: SawBear Photography / AdobeStock)


Kein Einfluss auf die Schwere der Erkrankung

In beiden Gruppen stiegen die durchschnittlichen SOFA-Werte innerhalb der ersten Tage nach Aussetzen der Medikation zunächst an und gingen anschließend zurück. Insgesamt hatte das Absetzen bei den Patienten innerhalb von 30 Tagen keinen signifikanten Einfluss auf die maximalen SOFA-Scores, das heißt, auf die maximale Schwere der Erkrankung. Es gab jedoch Hinweise, dass Patienten, die pausierten, sich rascher und besser erholten. So sanken die durchschnittlichen SOFA-Werte nach dem Maximum in der Absetzgruppe schneller und erreichten niedrigere Werte als in der Fortsetzungsgruppe. In der Gruppe hatten im Vergleich zur fortgeführten Therapie nach 30 Tagen nur noch halb so viele Patienten eine Organschädigung oder waren verstorben (acht versus zwölf Todesfälle).

BRACE CORONA und REPLACE COVID

Die Befunde aus ACEI-COVID-19 ergänzen die Ergebnisse zweier früherer randomisierter Studien, die ebenfalls keinen Effekt der Unterbrechung der RAS (Renin-Angiotensin-System)-Hemmung erkannt hatten. Eine davon ist die brasilianische BRACE CORONA-Studie mit 659 hospitalisierten COVID-19-Patienten, die andere die kontrollierte REPLACE COVID-Studie an 152 Patienten aus Nord- und Südamerika und Schweden. In beiden war es durch die Intervention weder zu einem Anstieg noch zu einem Rückgang der Komplikationen oder Todesfälle gekommen. 
ACEI-COVID-19, die erste randomisierte, kontrollierte Studie in Europa, bei der die Hypothese getestet wurde, unterscheidet sich jedoch erheblich von den beiden anderen Untersuchungen. Zum einen waren die Patient:innen mit einem Median von 75 Jahren deutlich älter als in BRACE CORONA (55 Jahre) und in REPLACE COVID (62 Jahre). Außerdem wurde die Medikation früher nach Symptombeginn ausgesetzt (4 Tage), verglichen mit 8 Tagen in BRACE CORONA und 7 Tagen in REPLACE COVID, und die Intervention lief über ganze 30 Tage, im Vergleich zu einem Median von nur fünf Tagen in REPLACE COVID. 

Was sagen die Fachgesellschaften?

Trotzdem sollte die ACEI-COVID-19-Studie nach Meinung der Autoren ebenso wie BRACE CORONA und REPLACE COVID als neutral betrachtet werden, weil sie ihren primären Endpunkt nicht erreicht hat. Deshalb werden die sekundären und explorativen Ergebnisse der Studie, die eine positive Wirkung des Absetzens der RAS-Hemmung auf den Verlauf von COVID-19 zeigen, die allgemeinen Empfehlungen wahrscheinlich nicht ändern, so ihre Vermutung. Wegen der vermuteten Risiken eines unkontrollierten Absetzens von Herz-Kreislauf-Medikamenten und fehlender wissenschaftlicher Beweise rät die European Society of Cardiology aktuell davon ab, die RAS-Hemmung bei COVID-19 abzusetzen. 

Entscheidung im Einzelfall

Dennoch bereichert die Studie die bisherige Evidenz zu der wichtigen Frage: So verursachte das vorübergehende Absetzen der RAS-Hemmung in keiner der drei randomisierten Studien Schaden. In den kombinierten Populationen von BRACE CORONA, REPLACE COVID und ACEI-COVID-19 starben in den Absetzgruppen 27 (5 Prozent) von 515 Patienten und in der in den Fortsetzungsgruppen 32 (6 Prozent) von 500 Patienten.   
Außerdem liefert sie auch neue Erkenntnisse: „Im Gegensatz zu bisherigen Studien, die deutlich jüngere Patientinnen und Patienten eingeschlossen haben, liefert unsere Studie erstmals Hinweise, dass gerade ältere, vorerkrankte Personen von einem zeitweisen Pausieren einer Therapie mit ACE-Hemmern oder Angiotensin-Rezeptorblockern profitieren könnten“, so Axel Bauer und Steffen Massberg. Allerdings warnen die Autoren davor, die Erkenntnisse zu verallgemeinern. Die Entscheidung, die Medikation fortzusetzen oder einzustellen, sollte auf individueller Basis unter Berücksichtigung des Risikoprofils, der Indikation und der Verfügbarkeit alternativer Therapien sowie Möglichkeiten zur ambulanten Überwachung der Patienten getroffen werden, so ihr dringender Rat, und zwar von einem Arzt. Und in jedem Fall müsse die Einnahme der wichtigen Medikamente nach überstandener Erkrankung auch wieder begonnen werden.  



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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