Der leitliniengerechte Weg aus der Tabakabhängigkeit

Nie wieder rauchen!

Stuttgart - 21.06.2021, 13:45 Uhr

(Foto: jannoon028 / AdobeStock)

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Etwa jeder vierte Bundesbürger, der älter als 15 Jahre ist, raucht. Obwohl die meisten Raucher um die schwerwiegenden Gesundheitsfolgen wissen, brauchen viele Unterstützung, um den Tabakkonsum einzustellen. Evidenzbasierte Empfehlungen können helfen, frustrierende wiederholte Ausstiegsversuche mit Rückfällen zu vermeiden. Die aktualisierte Leitlinie „Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung“ gibt Empfehlungen zur Unterstützung beim Rauchstopp.

Bundesweit gelten etwa 7,5 bis 9 Millionen Menschen als tabakabhängig. Dabei gehört Tabakrauch zu den gefährlichsten Substanzgemischen mit psychotropen Substanzen und ist mit zahlreichen Folgeerkrankungen verbunden. Geschätzt sind ca. 13,5 Prozent der jährlichen Todesfälle in Deutschland durch Tabakkonsum mitbedingt.

Niedrigschwellige Verfahren

Als erste Maßnahmen sollten niedrigschwellige Verfahren zur Unterstützung aufhörwilliger Raucher angeboten werden. Dazu gehören vor allem Kurzberatungen von bis zu 20 Minuten mit Überleitung an weiterführende Hilfsprogramme, telefonische Beratungsstellen wie das Beratungstelefon der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und mobile Selbsthilfeprogramme. Bei Letzteren ist allerdings zu beachten, dass laut einer Studie nur 4 Prozent der am häufigsten von App-Stores vorgeschlagenen „Rauchfrei-Apps“ bislang eine wissenschaftliche Überprüfung ihrer Effektivität durchlaufen haben. Positiv von der deutschen Atemwegsliga e. V. wurde zum Beispiel die App „NichtraucherHelden“ bewertet, an deren Kosten sich auch einige Krankenkassen be­teiligen. Bei Rauchern mit geringerer Änderungsbereitschaft kann durch motivierende Gesprächsführung versucht werden, das Konsumverhalten zu beleuchten und mögliche Ziele zur Verhaltensänderung herauszuarbeiten. 

Weitere empfohlene niedrigschwellige Angebote sind qualitätsgesicherte internetbasierte Selbsthilfeprogramme wie das „rauchfrei!“-Programm der BZgA, Selbsthilfematerialien und individuelles Risiko-Feedback zu tabakbezogenen gesundheitlichen Schäden.

Schadensbegrenzung durch weniger Zigaretten

Wenn Personen (noch) nicht bereit sind, das Rauchen komplett aufzu­geben, sollte zumindest der Tabak­konsum und der damit verbundene Schaden reduziert werden. Für viele Raucher ist dies der erste Schritt zu einem späteren Rauchstopp. Dafür gibt es verschiedene Ansätze mit unterschiedlicher Evidenz. So werden E-Zigaretten zur Reduktion des Zigarettenkonsums aufgrund der fehlenden belastbaren Hinweise auf Schadensminderung nicht empfohlen. 

Leider gibt es aktuell noch wenige Studien zu verhaltensbezogenen und psychosozialen Interventionen, die aber Hinweise auf einen langfristigen positiven Effekt liefern. Da diese Angebote jedoch nur selten negative Konsequenzen haben, können sie trotz der schwachen Evidenz zur Unterstützung einer Nicotin-Ersatztherapie empfohlen werden. 

Nicotin-Ersatztherapie erhöht laut einer Cochrane-Analyse im Vergleich mit Placebo signifikant die Wahrscheinlichkeit, dass Raucher ihren Konsum mindestens um die Hälfte reduzieren. Auch die Wahrscheinlichkeit für einen späteren Rauchstopp war signifikant höher. Daher sollte diese Methode nach jetzigem Kenntnisstand empfohlen werden. 

Da es aber keine Studien zu den langfristigen Auswirkungen einer verringerten Zahl an Zigaretten pro Tag auf die Gesundheit gibt, besteht immer noch Unsicherheit, ob reduziertes Rauchverhalten vorteilhaft ist. Daher bleibt der Rauchstopp das langfristige Ziel jeder Intervention.

Gruppentherapie hilft, von Aversionstherapie ist abzuraten

Haben niederschwellige Angebote nicht zur Abstinenz geführt, sollte psychotherapeutische Unterstützung angeboten werden. Insbesondere die Wirksamkeit verhaltenstherapeutischer Einzel- und Gruppeninterventionen ist vielfach durch qualitativ hochwertige Studien und Metaanalysen ­positiv bewertet worden. Für andere psychotherapeutische Verfahren wie Hypnotherapie und achtsamkeitsbasierte Methoden ist die Evidenzlage weitaus unklarer. Beide Methoden können aber angeboten werden. 

Explizit abgeraten wird dagegen von der Aversionstherapie. Für die Wirksamkeit dieser kaum noch angewandten Methode, die auf aversiven Rauchmethoden wie dem „Schnellen Rauchen“ aufbaut, gibt es keine Evidenz, aber Sorgen um mögliche unerwünschte Nebeneffekte.

Kaugummis und Co.

Als Alternative oder Ergänzung zur Psychotherapie kann medikamentöse Unterstützung angeboten werden. Die Behandlung zielt auf die Überwindung der Entzugssymptomatik und kann auch zur Stabilisierung der Abstinenz beitragen. 

In erster Linie sollte als medikamen­töse Behandlung eine Nicotin-Ersatztherapie angeboten werden. Dafür sind in Deutschland diverse Präparate in verschiedenen Darreichungsformen zugelassen wie Nicotin-Kaugummis, -Pflaster, -Lutschtabletten, -Inhaler oder -Mundspray. Bei unzureichender Wirksamkeit der Monotherapie sollte eine Kombination aus Pflaster mit Kaugummi, Lutschtablette, Spray oder Inhaler angeboten werden. Von rauchfreien Tabakprodukten wie Kautabak oder Schnupftabak als Nicotin-Ersatz wird abgeraten.

Tabakentwöhnung zulasten der Krankenkasse?

Zumindest im Punkt Finanzen könnte es Betroffenen möglicherweise zukünftig leichter fallen, Abstand vom Glimmstängel zu nehmen. Dem Änderungsantrag zum Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungs-gesetz (GVWG) zufolge sollen Versicherte, bei denen „eine schwere Tabakabhängigkeit“ festgestellt wurde, künftig einen „einmaligen Leistungsanspruch“ auf die Kostenübernahme von Arzneimitteln zur Tabakentwöhnung durch die Krankenkasse erhalten. Eine Wiederholung der Entzugstherapie soll frühestens drei Jahre später möglich sein. Der Gemeinsame Bundesausschuss soll nun festlegen, welche Arzneimittel unter welchen Voraussetzungen erstattet werden können. Mit der Möglichkeit zur Kostenübernahme soll auch einkommensschwachen Personen ein Anreiz gegeben werden, mit dem Rauchen aufzuhören. 

Quelle: dpa-Meldung

Medikamentöse Unterstützung

Bei fehlendem Erfolg der Nicotin-­Ersatztherapie stehen als Alternative das Antidepressivum Bupropion oder die partiellen Nicotin-Rezeptoragonisten Vareniclin (Champix®) und Cytisin (Asmoken) zur Verfügung. Dabei gilt Cytisin aufgrund der geringeren Erfahrungen als Mittel der zweiten Wahl. Wenn auch diese zugelassenen Arzneimittel nicht zum Erfolg geführt haben, können off-Label auch Nortriptylin oder Clonidin eingesetzt werden. Für andere Antidepressiva und partielle Nicotin-Agonisten gibt es keine Hinweise auf Wirksamkeit bei der ­Tabakentwöhnung. 

Begleitend zur medikamentösen Therapie sollte eine Beratung oder bei Verfügbarkeit ein verhaltenstherapeutisches Tabakentwöhnungsprogramm oder Intensivberatung angeboten werden. Nach dem Rauchstopp können Nicotin-Ersatztherapie, Vareniclin oder Bupropion weiter zur Rückfallprophylaxe eingesetzt werden.

Dieser Artikel erschien in der  
Deutschen Apotheker Zeitung – Ausgabe 24 / 2021, S. 36 

Und was können Akupunktur und andere Therapien leisten?

Akupunktur ist laut einer Cochrane Metaanalyse kurzfristig etwas wirk­samer als Placebo (um etwa 18 Prozent). Die Datenlage zeigt jedoch keinen Effekt auf die langfristige Abstinenz, und Akupunktur wird daher nicht empfohlen. Da es aber auch keine Hinweise auf ein spezifisches Schadenspoten­zial gibt, muss auch nicht davon ab­geraten werden. 

Zur transkraniellen Magnetstimula­tion und transkraniellen Gleichstromstimulation gibt es widersprüchliche Studienergebnisse. Daher kann derzeit auch hier noch keine Empfehlung ausgesprochen werden. 

E-Zigaretten haben sich in verschiedenen Studien als wirksam in der Tabakentwöhnung erwiesen und könnten sogar effektiver als eine Nicotin-Ersatztherapie sein. Allerdings gibt es nur wenige Studien, und die gesundheitlichen Auswirkungen einer Langzeitnutzung sind bisher noch unzureichend erforscht. Deshalb gibt die Leitlinie hierfür keine Empfehlung ab. 

Literatur 
Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung. S3-Leitlinieder Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht), Überarbeitung vom Januar 2021 

Neue S3-Suchtleitlinien erschienen. Statement von Prof. Anil Batra, Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychiatrie, 20. Januar 2021 

Werden Sie rauchfrei! Informationen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), www.rauchfrei-info.de, Abruf am 14. März 2021 

PneumoDigital Apps: App NichtraucherHelden, Informationen der Deutschen Atemwegsliga e. V., www.atemwegsliga.de/app/nichtraucher-helden.html, Abruf am 14. März 2021



Sarah Rafehi, Apothekerin
redaktion@daz.online


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