AKNR-Anwälte zum heutigen EuGH-Urteil

„Versender können Vorschriften zum Gesundheitsschutz nicht länger ignorieren“

Berlin - 15.07.2021, 17:55 Uhr

Dr. Anne Bongers-Gehlert und Dr. Morton Douglas aus der Freiburger Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen haben die AKNR in dem Verfahren vertreten. (c / Foto: Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen)

Dr. Anne Bongers-Gehlert und Dr. Morton Douglas aus der Freiburger Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen haben die AKNR in dem Verfahren vertreten. (c / Foto: Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen)


Die Apothekerkammer Nordrhein hat heute vor dem Europäischen Gerichtshof ein Urteil errungen, das die Bedeutung der Entscheidung zur Rx-Preisbindung vom Oktober 2016 deutlich schmälert. So sehen es jedenfalls Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas und Rechtsanwältin Dr. Anne Bongers-Gehlert, die die AKNR in dem Verfahren vertreten haben.

Der Europäische Gerichtshof hat heute sein Urteil zum DocMorris-E-Bike-Gewinnspiel gesprochen. Die Apothekerkammer Nordrhein, die das Verfahren 2015 auf den Weg gebracht hat, spricht von einem „Sieg für den Verbraucherschutz“. Rechtlich vertreten wurde die Kammer in diesem sowie in zahlreichen weiteren Verfahren gegen EU-Versender von Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas und Rechtsanwältin Dr. Anne Bongers-Gehlert aus der Freiburger Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen. Die DAZ hat bei ihnen nochmals genauer nachgehakt, welche Auswirkungen das Urteil nun haben dürfte.

DAZ: Die AKNR freut sich über das heute ergangene Urteil – Ihnen wird es nicht anders gehen!

Douglas: Aus unserer Sicht ist das Urteil mehr als erfreulich, da der EuGH nicht nur zu der konkreten Vorlagefrage Stellung genommen hat, sondern auch darüber hinaus umfassend die Frage beantwortet hat, ob die nationalen Gesetzgeber berechtigt sind, dem Marketing von Apotheken im Zusammenhang mit dem Arzneimittelvertrieb Grenzen zu setzen. Das Urteil gilt insoweit nicht nur für das konkrete Gewinnspiel, sondern ermöglicht dem nationalen Gesetzgeber für alle Marketingmaßnahmen etwas zu unternehmen.

DAZ: Können Sie das etwas genauer erläutern?

Douglas: Die Entscheidung stärkt die Autonomie der Mitgliedstaaten im sensiblen Bereich des Arzneimittelvertriebs. Der EuGH schärft zum einen den Anwendungsbereich der europäischen Richtlinie: Sie findet dem aktuellen Urteil zufolge nur dann Anwendung, wenn es um bestimmte Arzneimittel geht – das war im heute entschiedenen Fall des Gewinnspiels anders, hier wurde für das gesamte Sortiment der verschreibungspflichtigen Arzneimittel des Versenders geworben. Neben diesem Anwendungsbereich können die Mitgliedstaaten aber nationale Regelungen erlassen, die sich auf den Absatz von Arzneimitteln allgemein beziehen. Dies führt dazu, dass aus unserer Sicht bei der Anwendung des § 7 HWG danach unterschieden werden muss, ob ein Sachverhalt geregelt wird, der in den Anwendungsbereich der europäischen Richtlinie fällt oder nicht. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist folglich breiter als der Anwendungsbereich der europäischen Richtlinie. Dies ist im Übrigen auch in anderen Fällen so, da die Regelung auch für Medizinprodukte gilt, für die es insoweit keine harmonisierende Richtlinie gibt.

Gleichzeitig steht ein solcher breiterer Anwendungsbereich des § 7 HWG nicht im Widerspruch zum europäischen Recht, solange die Warenverkehrsfreiheit gewahrt wird. Denn hier handelt es sich nach Auffassung des EuGH  lediglich um eine Verkaufsmodalität, die unterschiedslos im Inland wie im EU-Ausland gilt, sodass kein Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit angenommen wird. In Zukunft können die Gerichte daher in eigener Verantwortung entscheiden, da aus Sicht des europäischen Rechtes lediglich verlangt wird, dass die Regelungen unterschiedslos gelten. Dies ist aber durchweg der Fall.

„Entscheidung von 2016 ist ein Fremdkörper in der allgemeinen  Linie des EuGH“

DAZ: War diese Entscheidung für Sie eine Überraschung?

Bongers-Gehlert: Der EuGH hat bereits im vergangenen Oktober eine zuversichtlich stimmende Entscheidung getroffen: In einem Fall, in dem es um verschiedene Werbemaßnahmen der niederländischen Shop Apotheke in Frankreich ging, hatte er den Mitgliedstaaten einen nicht unerheblichen Spielraum bei der Ausgestaltung nationaler Regelungen für Apotheken zugebilligt. Es sei ihre Sache, zu bestimmen, auf welchem Niveau sie den Gesundheitsschutz der Bevölkerung gewährleisten wollen und wie sie dieses erreichen. Diese Linie wurde nunmehr fortgesetzt.

Wird die aktuelle Entscheidung Ihrer Meinung nach also über den Gewinnspiel-Fall hinaus eine grundsätzliche Bedeutung entfalten?

Bongers-Gehlert: Ja, denn mit ihr ist das von niederländischen Versandapotheken gerne vorgebrachte Argument, sie müssten in ihren Marketingmaßnahmen letztlich frei sein, um angemessen in Deutschland agieren zu können – was in der Regel bedeutet, Vorschriften zum Gesundheitsschutz zu ignorieren –, vom Tisch. Auch im Ausland ansässige Versandapotheken müssen sich an derartige Regelungen zum Schutz der Verbraucher halten, sofern es sich um solche handelt, die für alle Marktteilnehmer gelten.

Wie ist die aktuelle Entscheidung mit Blick auf das EuGH-Urteil von 2016 zur Preisbindung zu werten?

Douglas: Wir verstehen die Ausführungen dahingehend, dass sie einer extensiven Interpretation der Entscheidung vom 16. Oktober 2016  Einhalt gebieten. Dieses im Verfahren zwischen der Wettbewerbszentrale und der Deutschen Parkinson Vereinigung ergangene Urteil existiert zwar nach wie vor, jedoch dürfte es durch die heutige Entscheidung in seiner Bedeutung als geringer einzustufen sein. Dies bestätigt auch unsere Einschätzung, wonach diese Entscheidung von 2016 einen Fremdkörper in der allgemeinen – und heute wieder bestätigten – Linie des EuGH darstellt, den Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung des Schutzniveaus ihres Gesundheitswesens einen vergleichsweise weiten Ermessensspielraum zu gewähren. Es wird nun Aufgabe der nationalen Gerichte sein, festzulegen, welche Marketingmaßnahmen, die an den Produktabsatz gekoppelt sind, zu einer unsachlichen Beeinflussung der Patienten führen. Im Interesse des Patientenschutzes bleibt zu hoffen, dass sie die strenge Linie, die zum Schutz der Verbraucher in Deutschland gilt, fortsetzen werden.

Vielen Dank für das Gespräch!



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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