Gastkommentar

Geimpft, geimpft-genesen, getestet – alles gleichwertig?

Erding - 21.07.2021, 09:15 Uhr

In Utrecht waren bei einem Festival mit 10.000 Besuchern 1.000 Neuinfektionen auftreten – obwohl alle Besucher geimpft, geimpft-genesen oder negativ getestet waren. (x / Quelle: Melinda Nagy / AdobeStock)

In Utrecht waren bei einem Festival mit 10.000 Besuchern 1.000 Neuinfektionen auftreten – obwohl alle Besucher geimpft, geimpft-genesen oder negativ getestet waren. (x / Quelle: Melinda Nagy / AdobeStock)


Die Diskussion um die Impfmüdigkeit der Deutschen und mögliche Gegenmaßnahmen nimmt an Fahrt auf. Gerade in Zeiten niedriger Inzidenzen wird in der Öffentlichkeit lieber über weitere Lockerungen diskutiert, als sich ernsthaft Gedanken über die Impfkampagne zu machen. Dabei werden sowohl das Ausmaß der Impfmüdigkeit als auch die möglichen Gegenmaßnahmen nicht angemessen eingeschätzt, meint Dr. Franz Stadler, Apotheker und Mitgründer der Stiftung für Arzneimittelsicherheit.

Zunächst drei Zahlen aus meiner Apotheke: In der Kalenderwoche 25 haben wir 150 Fläschchen á sechs Impfungen (=Vials) ausgeliefert, in der Kalenderwoche 28 sieben Vials und für die laufende Kalenderwoche 29 sind noch zwei Vials Comirnaty® vorbestellt. Nun, diese Zahlen sind nicht repräsentativ, aber doch eindrucksvoll: In vier Wochen sank die Zahl der ausgelieferten Vials auf unter 2 Prozent (!) des Ausgangswertes!

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Dabei sind mit Stand vom 20. Juli 2021 laut RKI-Zahlen nur gut 46,7 Prozent der Gesamtbevölkerung zweimal geimpft und haben den vollen Impfschutz.

Vor diesem Hintergrund zu sagen, dass Geimpfte, Geimpft-Genesene und negativ Getestete gleichwertig beispielsweise zu Großveranstaltungen zugelassen werden können, ist schlicht falsch. Denn ein negativer Test ist nur eine Momentaufnahme, der sowohl mit einer erheblichen Fehlerquote behaftet ist, als auch keinerlei Schutz vor Neuinfektionen und möglicherweise schweren Krankheitsverläufen bietet.


„Unter Risikogesichtspunkten sind also Geimpfte, Geimpft-Genesene und Negativ-Getestete nicht gleichwertig und sollten auch nicht so behandelt werden.“

Dr. Franz Stadler


Selbst ein korrekt durchgeführter PCR-Test kann die Coronaviren in den ersten zwei infektiösen Tagen nicht sicher nachweisen. Deshalb kann es wie in Utrecht geschehen, dass bei einem Festival mit 10.000 Besuchern 1.000 Neuinfektionen auftreten – obwohl alle Besucher geimpft, geimpft-genesen oder negativ getestet waren. Dabei sind nur unter den Negativ-Getesteten schwere Krankheitsverläufe zu erwarten. Diese Gruppe dürfte allerdings die Mehrheit unter den Festivalbesuchern dargestellt haben (vgl. Impfquote).

Unter Risikogesichtspunkten sind also Geimpfte, Geimpft-Genesene und Negativ-Getestete nicht gleichwertig und sollten auch nicht so behandelt werden. Das hat nichts mit Diskriminierung oder dergleichen zu tun, sondern ist schlicht wissenschaftlicher Fakt. Niemand muss sich impfen lassen, aber Nicht-Geimpfte sollten künftig keinen Zugang zu größeren Menschenansammlungen erhalten, auch wenn sie negativ getestet sind.

Kostenfreie Testungen konterkarieren Impfbemühungen

Aus meiner Sicht sollte diese Tatsache auch dadurch betont werden, dass zwar die Impfung, aber nicht die wiederholte Testung weiterhin kostenfrei bleibt. Kostenfreie Testungen waren in Zeiten fehlender Impfstoffe sinnvoll, konterkarieren aber nun die Impfbemühungen. Allzu viele glauben irrtümlich, dass auch ein negativer Schnelltest sicher ist und verschieben aus allerlei Gründen die Impfung oder glauben, sie auf diesem Weg vermeiden zu können. Deshalb sind auch positive Anreize (Geldgeschenke oder Ähnliches) für Impfmüde nur bedingt sinnvoll. Sie werden nur in erheblicher Höhe zielführend sein, belohnen dann aber die Falschen. Überzeugungsarbeit (und leichter Druck) erscheinen mir sinnvoller und gerechter zu sein.

Nachdenken sollten man andererseits über den breiteren Einsatz von Neutralisationstests, also erweiterte Antikörpertests, die das Vorhandensein eines wirksamen Immunschutzes gegen Corona bestätigen können. Sie erhöhen nicht nur den Risikoschutz, sondern würden andererseits auch ggf. eine dritte Impfung entbehrlich machen.

Nur mit überlegtem Vorgehen werden wir uns in absehbarer Zeit der angestrebten Herdenimmunität wenigstens annähern. Und erst dann werden wir uns alle wieder völlig frei bewegen können.


Dr. Franz Stadler
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Strukturiertes Vorgehen bei einem empfindlichen Impfstoff

von Annette Dunin von Przychowski am 22.07.2021 um 7:30 Uhr

Die gesamte Impfkampagne hatte zuerst zu wenig Impfstoff, anschließend zu viele Testangebote und beruspolitische Interessen und ist jetzt zu einem riskantes Spiel mit empfindlichen Impfstoffen geworden. Die Menschen sind es wahrscheinlich leid, immer wieder nach Terminen zu fragen, die es aus den verschiedensten Gründen, wenn überhaupt, sehr spät gab und gibt. Also stellt man sich lieber stundenlang in eine Schlange und die Infektionsgefahr steigt, als dass man ins Impfzentrum geht. Allen Verantwortlichen ist es sehr wichtig klarzumachen, dass der mRNA-Impfstoff extrem empfindlich ist. Das passt nicht in das politische Konzept, aber dafür sind wir Apother*innen da. Und deshalb stehe ich dazu, dass Impfzentren, deren Spritzenherstellung von Apotheker*innen organisiert und geleitet werden, die sicherste Lösung sind, um die Bevölkerung zu impfen. Da kann man sich ziemlich sicher sein, dass der Impfstoff auch wirkt. Was nutzt uns Impfstoff, der ggf zerstört geimpft wird, weil er viel zu viel und zu ruppig transportiert wurde, falsch oder zu schnell aufgezogen wurde, zu lange liegen gelassen wurde, nicht richtig und zu warm gelagert wurde. Es ist dringend an der Zeit, hier noch einmal zu sensibilisieren.

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AW: Strukturiertes Vorgehen bei einem

von k.stülcken am 22.07.2021 um 13:05 Uhr

oder zu schnell gespritzt wurde (Scherkräfte).

Geimpft heiß nicht nicht infektiös- s. RKI Geimpfte können Virus übertragen

von Gast am 21.07.2021 um 20:35 Uhr

Das RKI beschreibt, dass auch durch Geimpfte die Möglichkeit der Infektion anderer besteht, wenn auch in geringerem Maße. Müßten unter dieser Voraussetzung nicht alle Besucher einer solchen Veranstaltung getestet werden, auch wenn diese Tests nur eine Momentaufnahme bieten, aber die beste, die wir derzeit haben. Sollten wir nicht eher mehr als weniger testen? So lange durch eine Impfung nur das eigene Risiko, schwer zu erkranken, deutlich verringert wird, greifen Appelle an die Moral von “Impfmüden” m.E. nach zu kurz.

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