100 Jahre Insulin

Vom Schlachthof zum Bioreaktor

München - 27.07.2021, 17:50 Uhr

Frederick Banting (links) und Charles Best mit der Hündin Marjorie, bei der sie künstlich einen Diabetes erzeugt hatten. Das Tier überlebte längere Zeit mit einem Insulin-haltigen Extrakt aus Kälberföten. (Bild: picture alliance / Courtesy Everett Collection)

Frederick Banting (links) und Charles Best mit der Hündin Marjorie, bei der sie künstlich einen Diabetes erzeugt hatten. Das Tier überlebte längere Zeit mit einem Insulin-haltigen Extrakt aus Kälberföten. (Bild: picture alliance / Courtesy Everett Collection)


Am 27. Juli 1921 gewannen Frederick Banting und Charles Best aus tierischem Pankreas einen blutzuckersenkenden Extrakt. Mit der Freigabe ihres Insulinpatents schenkten sie der Welt in kurzer Zeit die erste Therapie des Diabetes. Die Geschichte einer Jahrhundertentdeckung.

Die Welt feiert 100 Jahre Insulin. Im Rückspiegel der Geschichte erscheint die Entdeckung des blutzuckersenkenden Hormons nicht als Endpunkt geradliniger Forschung, sondern als gemeinsamer Kulminationspunkt einer fragmentierten Forschergemeinde. 

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100 Jahre Insulin

Protagonisten sind berühmte, weniger berühmte und zu Unrecht vergessene Forscher – wie Eugène Gley, der in Paris die gleichen Experimente wie Banting und Best in Toronto schon ein Vierteljahrhundert vorher erfolgreich durchführte, den entscheidenden Versuch aber zu spät veröffentlichte. Und er war nicht der einzige, dem Medizinhistoriker die Entdeckung des Insulins heute eher als den beiden Kanadiern zuschreiben. Zwei weitere europäische Forscher besaßen schon Patente auf wirksame Pankreasextrakte, als 1923 der Medizin-Nobelpreis für die Entdeckung des Insulins Frederick Banting und John Macleod, seinem Institutsleiter, zugesprochen wurde.

Kein Nobelpreis für Charles Best

Die Entscheidung war umstritten. Nicht nur, weil sie frühere Forscher überging, sondern auch Bantings kongenialen Assistenten Charles Best – mit dem der Laureat umgehend sein Preisgeld teilte. Auch die Mitarbeit eines gewissen James B. Collip blieb ungewürdigt. Der Biochemiker war derjenige, der die simpel hergestellten Extrakte von Banting und Best durch raffinierte Aufreinigung zu einem anwendbaren Medikament machte. Ohne den pharmazeutischen Kunstgriff wäre wahrscheinlich der Behandlungsversuch des 13-jährigen präkomatösen Diabetikers Leonard Thompson am 11. Januar 1922 nicht gelungen. Der Junge war der erste Mensch, dem therapeutisches Insulin das Leben rettete. Das war vor knapp 100 Jahren. Die wissenschaftliche Welt war begeistert.

Patent zur Insulinherstellung für 1 Dollar überlassen

Eine besondere Anerkennung gebührt Banting und Best auch, weil sie keinerlei Vermarktungsrechte für ihre Entdeckung beanspruchten – in einer Welt, die nach der „Wunderdroge“ Insulin hungerte. Es gab keine Kur für den Diabetes. Wer erkrankte, hatte eine Lebenserwartung von ein, zwei Jahren. Es war das erklärte Ziel von Banting und Best, die lebensrettende Therapie so schnell und so breit wie möglich zur Verfügung zu stellen. Die beiden sicherten sich 1923 das Patent der Insulinherstellung und überließen es für einen Dollar der Universität von Toronto. Ihr Schritt solle ein profitables Monopol verhindern, und sicherstellen, dass ausgewählte Nutzer des Patents Insulin in der notwendigen Qualität herstellen konnten.

Die großen Player bei Insulin

Dann ging es Schlag auf Schlag. Eli Lilly & Company bringen in Toronto 1923 das erste Insulinpräparat „Iletin“ auf den Markt. In Deutschland gewinnt die Diabetesforschung wieder Auftrieb, am 31. Oktober stellen die Farbwerke Hoechst das aus Kälber- und Rinder-Pankreas hergestellte „Insulin Hoechst“ vor. Im selben Jahr gründet Hans Christian Hagedorn in Dänemark das Nordisk Insulinlaboratorium, das entscheidende Innovationen hervorbringen wird. Firmen wie Novo und Nordisk (1989 fusioniert) werden mit Insulinprodukten groß und reich.

Details dieser spannenden Entdeckungsreise, wie auch die Entwicklung der weiteren Insulinpräparate vom Schlachthof über den Synthesekolben bis zum Bioreaktor, lesen Sie in der Deutschen Apotheker Zeitung 29|2021.

Die schrittweisen Innovationen des Insulinmoleküls und seiner Herstellung in den folgenden 100 Jahren machen die Insulintherapie für Behandler und Patienten sicherer, einfacher oder auch nur angenehmer. Und doch würden sich Frederick Banting und Charles Best im Grabe umdrehen, erführen sie, dass sich heute viele Patienten weltweit ihre notwendigen Insulinrationen kaum leisten können. Denn aus dem Extrakt von 1921 wuchs eine Insulinfamilie, deren Mitglieder alle durch neue, weniger uneigennützige Patente geschützt werden. Das Re-Patentieren von abgewandelten Wirkstoffmolekülen ist eine im modernen Pharmamarketing beliebte Strategie, die auch als „Evergreening“ bekannt ist. So soll sich das Vermächtnis von Banting und Best nur halb erfüllen.

Wer tiefer in die Materie einsteigen möchte, kann den Originalartikel in voller Länge noch bis Freitag auch ohne Print-Abonnement in der Deutschen Apotheker Zeitung 29|2021 (online) lesen. Danach erhalten nur noch Abonnenten Zugang zum Text.  



Ralf Schlenger, Apotheker. Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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