Explosion im Chempark

Dioxin- und PCB-Verbindungen: Wie schädlich sind sie?

Stuttgart - 28.07.2021, 17:50 Uhr

 Das LANUV geht derzeit davon aus, dass über die Rauchwolke unter anderem Dioxin- und PCB-Verbindungen in die umliegenden Wohngebiete getragen wurden. (Foto: IMAGO / Xinhua)

 Das LANUV geht derzeit davon aus, dass über die Rauchwolke unter anderem Dioxin- und PCB-Verbindungen in die umliegenden Wohngebiete getragen wurden. (Foto: IMAGO / Xinhua)


Einen Tag nach der Explosion, die sich am gestrigen Dienstagmorgen im Leverkusener Chempark ereignet hatte, werden weitere Details bekannt. So rechnen die Betreiber mit sieben Toten. Außerdem geht einem Bericht der Deutschen Presseagentur  zufolge das nordrhein-westfälische Landesumweltamt (LANUV) davon aus, dass unter anderem Dioxin- und PCB-Verbindungen in die umliegenden Wohngebiete getragen wurden.

Am gestrigen Dienstag ereignete sich gegen 9.30 Uhr in der Abfallverbrennungsanlage des Chemparks in Leverkusen eine schwere Explosion. Aktuell rechnen die Betreiber mit sieben Toten. Zwei habe man am Dienstag bereits gefunden, heißt es. Bei den fünf Vermissten gibt es wohl keine Hoffnung, sie lebend zu finden. Zudem sollen 31 Menschen verletzt worden sein. Nach dem Unglück hatten Tanks gebrannt, in denen nach Angaben des Betreibers Currenta „organische Lösungsmittel“ gelagert waren. Anschließend stieg eine riesige Rauchwolke auf, Rußpartikel gingen auf nahe gelegene Ortschaften nieder. Unklar war zunächst, welche Stoffe sich genau im Rauch befunden hatten.

Einen Tag später weiß man etwas mehr. Das LANUV geht derzeit davon aus, dass über die Rauchwolke unter anderem Dioxin und PCB-Verbindungen in die umliegenden Wohngebiete getragen wurden. In welchen Konzentrationen ist aber noch unklar und wird derzeit untersucht. Die Untersuchungen seien recht aufwendig, heißt es. Laut dpa werden die Ergebnisse nicht vor Ende der Woche erwartet.

Doch was sind das überhaupt für Substanzen?

Dioxine

Dioxin ist zumindest im allgemeinen Sprachgebrauch nicht eine bestimmte Verbindung, sondern eine Sammelbezeichnung für chemisch ähnlich aufgebaute chlorhaltige Dioxine und Furane. Insgesamt besteht die Gruppe aus 75 polychlorierten Dibenzo-para-Dioxinen (PCDD) und 135 polychlorierten Dibenzofuranen (PCDF). Dioxine liegen als Gemische von Einzelverbindungen mit unterschiedlicher Zusammensetzung vor. 2,3,7,8 Tetrachlor-Dibenzo-p-Dioxin (2,3,7,8 TCDD), das nach dem Chemieunfall in Seveso im Juli 1976 als „Seveso-Gift″ bezeichnet wird, gilt als das toxischste Dioxin.

Es handelt sich dabei um sehr langlebige Verbindungen, die sich im Fettgewebe anreichern. Sie werden so gut wie nicht abgebaut.

Dioxine sind Nebenprodukt, sie wurden nie gezielt hergestellt. Sie entstehen ungewollt bei allen Verbrennungsprozessen in Anwesenheit von Chlor und organischem Kohlenstoff, wenn bestimmte Bedingungen vorliegen, sowie in der Chlorchemie. Aus der Luft gelangen sie in die Nahrungskette,

Dioxine sind vielen vermutlich im Zusammenhang mit Eiern ein Begriff. Vor etwa zehn Jahren waren dioxinverseuchte Eier im Handel aufgetaucht. Die Kontamination war zustande gekommen, weil in einem Betrieb Futterfett mit Industriefett gemischt worden war. Damals ging man davon aus, dass bei geringem Verzehr von belasteten Produkten keine akuten Gesundheitsgefahren für Verbraucherinnen und Verbraucher bestehen. Akute Wirkungen der Dioxinaufnahme über Lebensmittel sind beim Menschen tatsächlich auch nicht bekannt. Über akute Vergiftungen durch hohe Dioxin-Dosen gibt es bislang nur Berichte nach Industrieunfällen wie dem aktuellen, der Aufnahme hoher Konzentrationen am Arbeitsplatz und nach absichtlichen Vergiftungen. Die häufigste Folge sind lang anhaltende entzündliche Hautveränderungen, außerdem kann es zu Leberschädigungen und Veränderungen im Fettstoffwechsel kommen.

Abgesehen von den genannten Fällen liegt die Gefahr wohl vor allem in der Langzeitbelastung. Zumindest wurden im Tierversuch bei hohen Dosen Störungen der Reproduktionsfunktionen, des Immunsystems, des Nervensystems und des Hormonhaushalts gesehen. Leber und Schilddrüse scheinen besonders empfindlich auf Dioxine zu reagieren. 2,3,7,8 TCDD, die giftigste Dioxin-Verbindung ist von der Weltgesundheitsorganisation WHO bereits im Februar 1997 als humankanzerogen eingestuft worden. Auch andere Dioxine stehen im Verdacht karzinogen zu sein. Wobei Dioxine nicht direkt mutagen zu wirken scheinen, sondern über Signalketten in den Zyklus von Teilung und Apoptose der Zellen eingreifen. 

Seit Mitte der 1980er Jahre konnten durch regulatorische Maßnahmen die Emissionen stark gesenkt werden, seit etwa zehn Jahren bleiben sie konstant. Durch die Langlebigkeit sind aber noch viele Altlasten vorhanden.

Polychlorierte Biphenyle (PCB):

Anders als Dioxine sind PCB tatsächlich mal „mit Absicht“ hergestellt worden, vor allem als nicht brennende und den Strom nicht leitende zähe Flüssigkeiten in Transformatoren und in Bergbau. Sie sind nämlich thermisch und chemisch stabil, schwer entflammbar, elektrisch nicht leitend und superhydrophob.Die allgemeine Summenformel lautet C12H10−xClx. Es gibt 209 Varianten, von denen etwa 20 bis 60 in kommerziellen Produkten vorkommen.

PCB gehören zum Dreckigen Dutzend

Wie bei den Dioxinen ist die akute Toxizität eher gering, die chronische Toxizität ist das größere Problem. Typische Auswirkungen sind Chlorakne, Haarausfall, Hyperpigmentierungen, Leberschäden, Teratogenität, Bioakkumulation in der Nahrungskette und Schädigung des Immunsystems (Immuntoxizität). PCB stehen im Verdacht krebserregend zu wirken. Darüber hinaus kann die körperliche und geistige Entwicklung verzögert werden. Auch gibt es Hinweise, dass sie als endokrine Disruptoren wirken.

PCB zählen zu den zwölf als „Dreckiges Dutzend“ (engl.: „dirty dozen“) bekannten organischen Giftstoffen, die seit 2001 weltweit verboten sind und stark im Verdacht stehen mutagen, karzinogen und teratogen zu wirken. Wegen möglicher Bioakkumulation gelten sie als besonders gefährlich.

Die Frage nach der Konzentration ist entscheidend. „Dioxin,- PCB- und Furanverbindungen werden durchaus in Zusammenhang gebracht mit Missbildungen bei Neugeborenen von Tieren, weniger beim Menschen, als Umweltöstrogene oder auch Krebs erregende Substanzen beim Menschen", sagte Daniel Dietrich, Leiter der Arbeitsgruppe Human- und Umwelttoxikologie an der Universität Konstanz, der Deutschen Presse-Agentur. "Aber - und das ist das große Aber - nur in hohen Konzentrationen. Und die liegen nicht vor, wenn das entsprechende Gebiet im Laufe der Zeit gereinigt und dekontaminiert wird."

Die Stoffe klebten an Oberflächen, sagte er. „Sie springen einen nicht an, man müsste sie schon aktiv in den Körper transportieren - etwa, wenn man sich nach der Arbeit im Garten die Hände abschleckt.“ Selbst wenn man von oben bis unten mit den Partikeln bedeckt wäre, könnte man diese ohne Gefahr mit Seife abwaschen. „Nach meiner Einschätzung besteht also keine akute Gefahr für die Bevölkerung, wenn sie sich an die Handlungsempfehlungen des Landesumweltamtes und der anderen involvierten Behörden hält“, sagte Dietrich.

Da die endgültige Analyse zunächst noch ausstand, hielt die Stadt Leverkusen ihre Empfehlungen an die Bürger aufrecht. Der Ruß sollte nicht in die Wohnung getragen werden. Neben Obst und Gemüse seien in den betroffenen Arealen etwa auch Gartenmöbel oder Pools zu meiden. Wer dringend im Garten arbeiten müsse, sollte dabei vorsorglich Handschuhe tragen. Die Spielplätze in den - nahe am Explosionsort gelegenen - Stadtteilen Bürrig und Opladen blieben vorerst gesperrt. Bereits am Dienstag hatte die Kommune erklärt, Currenta werde „zeitnah die Straßen, Gehwege und Hauseingänge reinigen“.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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