Beirat zur Versorgungslage mit Arzneimitteln

Impfstoffproduktion behindert Produktion anderer Biopharmazeutika und Vitamine

Stuttgart - 29.07.2021, 16:55 Uhr

Die Versorgungssituation mit fettlöslichen Vitaminen für Sondennahrung wird als kritisch angesehen. (Foto: felipecaparros / AdobeStock)

Die Versorgungssituation mit fettlöslichen Vitaminen für Sondennahrung wird als kritisch angesehen. (Foto: felipecaparros / AdobeStock)


Lieferengpässe sind ein ständiger Begleiter in der Apotheke. Wie es aktuell um die Versorgungslage mit Arzneimitteln in Deutschland steht, hat das BfArM diese Woche in einem Protokoll seines entsprechenden Beirats veröffentlicht. Dabei sind Lieferengpässe bei Multivitaminpräparaten ein Thema, aber auch wie viele Wirkstoffe bereits aus der EU bezogen werden und wie in anderen europäischen Ländern mit Lieferengpässen umgegangen wird.

Am 21. Juni warnte die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e.V. (DGEM) vor Lieferengpässen bei Multivitaminpräparaten. Dabei ging es um Patientinnen und Patienten, die parenteral ernährt werden müssen. Kliniken und Apotheken hätten berichtet, dass das Multivitaminpräparat Cernevit® voraussichtlich bis Januar 2022 nur in reduzierter Menge zur Verfügung stünde. Auch ein vergleichbares Präparat und auch die fettlöslichen Einzelkomponenten (FrekaVit® fettlöslich und Vitalipid adult) stünden nicht in ausreichenden Mengen zur Verfügung. Das Produkt Vitalipid® sei zwar im bisherigen Umfang lieferbar, könne jedoch die enorm gestiegene Nachfrage auf dem Markt aktuell nicht abdecken. Krankenhäuser und Kliniken würden die Vitaminpräparate nur noch kontingentiert erhalten. 

Der Bedarf an Cernevit® sei enorm gestiegen. Zum anderen seien Produktionskapazitäten für COVID-19-Impfstoffe gebunden, so die Erklärung. 

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Die DGEM rät Ärzt:innen, sich an den Empfehlungen der American Society for Parenteral and Enteral Nutrition (ASPEN) zum Vorgehen bei Multivitaminverknappungen zu orientieren. „Wenn notwendig, muss die Zufuhr intravenöser Multivitamine rationiert werden, indem zum Beispiel die Tagesdosis um 50 Prozent verringert wird“, wird Professor Dr. med. Diana Rubin zitiert – sie ist DGEM-Vorstandsmitglied sowie Leiterin des Zentrums für Ernährungsmedizin an den Vivantes Kliniken in Berlin.

Dieser Engpass hat aktuell auch den ehemaligen Jour Fixe zu Lieferengpässen beim Bundesinstiut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beschäftigt, der mittlerweile durch einen „Beirat“ ersetzt wurde. In seinem Protokoll zu seiner 5. Sitzung zur Bewertung der Versorgungslage mit Arzneimitteln am 30. Juni heißt es, dass es durch die prioritäre Impfstoffproduktion zu Produktionsreduktionen bei anderen Produkten komme – vornehmlich biopharmazeutischen Produkten. Ein Grund sei der „Defense Production Act“ der USA, ein Gesetz aus der Zeit des Korea-Krieges. Konkret heißt es im Protokoll:


Besonders die Beschaffung von Rohmaterialien und Einmalprodukten für die Herstellung gestaltet sich schwierig. Aktuell sind aber noch ausreichend Lagerkapazitäten vorhanden. Eine Benennung spezifischer betroffener Produkte ist den Verbänden der pharmazeutischen Industrie nicht möglich. Aus der Arzneimittelkommission der Deutschen Krankenhausapotheken wird der Engpass der Vitamine für die Sondennahrung auf eine prioritäre Impfstoffproduktion zurückgeführt.“

Ergebnisprotokoll der 5. Sitzung des Beirats nach § 52b Absatz 3b AMG zur Bewertung der Versorgungslage mit Arzneimitteln, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind


Die Versorgungssituation mit fettlöslichen Vitaminen für Sondennahrung werde als kritisch angesehen. Eine erwartete Ausnahmegenehmigung soll die Versorgung aber verbessern, heißt es.

Andere Impfstoffe

Laut dem Protokoll des Beirats bestand auch bei MMRV-Impfstoffen ein Lieferengpass, dort allerdings wegen eines länger anhaltenden Qualitätproblems bei einem Hersteller. Auf den Internetseiten des Paul-Ehrlich-Instituts finden sich dazu keine Informationen mehr, weil der Lieferengpass inzwischen behoben sei, wie das PEI auf Anfrage der DAZ mitteilte. „Da zunächst M-M-RVAXPRO + Varivax und seit 21.7. auch Priorix Tetra als Alternative Impfoption angegeben waren, sollten sich die Auswirkungen auf die Apotheken in Grenzen gehalten haben“, hieß es zudem.

Aus dem Protokoll geht außerdem hervor, dass der Pneumokokkenpolysaccharid-Impfstoff weiterhin im Lieferengpass sei, „weil die Nachfrage anhaltend hoch ist und die Produktionskapazitäten nicht ausreichen“. Sofern sich die Möglichkeit bietet, solle der Impfstoff aus dem Ausland importiert werden, heißt es.

Wie steht es um die Wirkstoffproduktion in Europa?

Wie die DAZ berichtete war ein Ziel des neuen Beirats, eine Zusammenstellung besonders relevanter Wirkstoffe zu erarbeiten, die perspektivisch wieder in der EU produziert werden sollen, um die EU unabhängiger von anderen Wirtschaftsräumen zu machen als sie es aktuell ist. Eine solche Liste war im Anhang des zweiten Sitzungsprotokolls veröffentlicht worden – mit 22 Wirkstoffen beziehungsweise Produkten, die dringend erforderlich seien, um die Notfallversorgung, den Operationsbetrieb und die intensivmedizinische Versorgung sicherzustellen.

Wie aus dem neuesten Protokoll hervorgeht, hat das BfArM für diese 22 Wirkstoffe mittlerweile eine Anhörung veranlasst. Sie sollte in Erfahrung bringen, welche der gemeldeten Wirkstoffhersteller in welchem Umfang zur Produktion beitragen:


Die vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass für viele der überprüften Wirkstoffe bereits mehr als 50 % des Wirkstoffes aus der EU bezogen wird. Ein vollständiger Überblick ist aber aufgrund fehlender Rückmeldungen zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich.“

Ergebnisprotokoll der 5. Sitzung des Beirats nach § 52b Absatz 3b AMG zur Bewertung der Versorgungslage mit Arzneimitteln, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind


Doch wie geht man eigentlich mit Lieferengpässen in anderen europäischen Ländern um? Die Verbände der pharmazeutischen Unternehmer haben laut dem Protokoll auch darüber berichtet: Viele europäische Länder betreiben demnach wie Deutschland Portale zur Meldung von Lieferengpässen. Daneben gebe es in einigen EU-Staaten aber sogar direkte Verknüpfungen der Portale mit den Softwaresystemen von Arztpraxen. Zudem würden die Ausarbeitung von Engpasspräventionsplänen und Exportverbote verstärkt diskutiert.

All das klingt nach einer Ausgangssituation mit und an der man noch arbeiten kann.

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Weitere hervorzuhebende Ergebnisse der Sitzung:

  • „Das zentral beschaffte und zur Verfügung gestellte Remdesivir ist nahezu aufgebraucht. Der pharmazeutische Unternehmer Gilead Sciences wird die weitere Versorgung mit dem Arzneimittel Veklury® übernehmen.“
  • „Die Verteilung monoklonaler Antikörper über die ‚Verordnung zum Zugang und zur Vergütung von monoklonalen Antikörpern zur Behandlung von COVID-19‘, ist abgeschlossen. Die Entscheidung zum Einsatz der monoklonalen Antikörper entgegen der Empfehlung der FDA, obliegt der behandelnden Ärztin bzw. dem behandelnden Arzt.“


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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