Impfempfehlungen und COVID-19

Arbeitet die STIKO zu langsam oder wird zu langsam geimpft?

Stuttgart - 22.12.2021, 09:15 Uhr

Seit Beginn der Corona-Pandemie liegt der Fokus der Öffentlichkeit stark auf der STIKO und ihrem Vorsitzenden Prof. Dr. Thomas Mertens – oft verbunden mit Kritik. Ist sie berechtigt? (s / Foto: IMAGO / IPON)

Seit Beginn der Corona-Pandemie liegt der Fokus der Öffentlichkeit stark auf der STIKO und ihrem Vorsitzenden Prof. Dr. Thomas Mertens – oft verbunden mit Kritik. Ist sie berechtigt? (s / Foto: IMAGO / IPON)


Vergangenen Montag erst wurde der neue proteinbasierte COVID-19-Impfstoff von Novavax zugelassen, wann tatsächlich damit geimpft werden kann, ist aber noch unklar. Am Dienstag hat die STIKO kurzfristig ihre Impfempfehlung aktualisiert – allerdings nicht zur Erweiterung um den neuen Impfstoff. Sondern, weil nun schon drei Monate nach Grundimmunisierung geboostert werden darf. Ist die STIKO angesichts der Umstände besonders schnell oder langsam? 

Nachrichten über die neue Coronavirusvariante Omikron haben der Booster-Kampagne in Deutschland einen Schub versetzt. Doch immer wieder werden gegenüber der Politik Vorwürfe laut, nicht schnell genug oder zu reaktiv zu handeln. Von dieser Kritik bleibt auch die STIKO (Ständige Impfkommission beim Robert Koch-Institut) nicht unberührt. Immer wieder entstand im vergangenen Jahr der Eindruck, die Politik hätte gerne schneller gehandelt als das wissenschaftliche Gremium es zuließ. 

Vergangenen Freitag hat die STIKO nun Stellung genommen und eine „Chronologie zur COVID-19 Auffrischimpfempfehlung durch die STIKO“ veröffentlicht. Aus dieser geht auf den ersten Blick hervor: Wir alle und vor allem die STIKO schauen auf ein ereignisreiches Jahr zurück. Die jüngsten Ereignisse wie die Nuvaxovid-Zulassung und die Auffrischimpfung ab drei Monaten sind dort noch gar nicht gelistet. Dennoch: In fünf Stichpunkten erläutert die STIKO mit dieser Liste im Rücken, was hinter den vermeintlich zu langsam ausgesprochenen Impfempfehlungen steckt – gekürzt lauten die Stichpunkte wie folgt.

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Hohes Arbeitsaufkommen

Die STIKO lässt die Zahlen für sich sprechen: „Die STIKO hat ihre initiale COVID-19-Impfempfehlung vom 18. Dezember 2020 in den letzten 12 Monaten 16-mal aktualisiert. Es haben hierzu mehr als 40 online STIKO-Beratungen im Plenum und zahlreiche Treffen in kleinen Arbeitsgruppen unter Einbeziehung weiterer externer Experten stattgefunden.“ 

Personalmangel

„Wie andere Einrichtungen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge ist auch die Geschäftsstelle der STIKO seit Beginn der Pandemie extrem belastet und für diese Situation unterbesetzt. Die STIKO fordert daher vom neuen Bundesgesundheitsminister eine personelle Verstärkung der STIKO-Geschäftsstelle für die Bereiche Kommunikation, Epidemiologie und Modellierung.“

Entscheidung trotz fehlender Daten

Die STIKO hat „in besonderen Situationen COVID-19-Impfempfehlungen auch dann ausgesprochen, wenn noch keine umfassenden Daten zu seltenen unerwünschten Ereignissen oder Nebenwirkungen der Impfstoffe vorlagen. Dies geschah, wenn eine sofortige Impfempfehlung erforderlich war, um entweder schwere COVID-19 Erkrankungen zu verhindern […] oder weitere Fälle von schweren Impfkomplikationen nach Gabe bestimmter COVID-19-Impfstoffe zu vermeiden […].“

Risiko-Nutzen-Abwägung einer Nichtempfehlung 

Bei der Kinder- und Jugendlichen-Impfung konnten „aufgrund des sehr geringen Risikos für schwere COVID-19-Erkrankungen zusätzliche Daten zur Sicherheit des Impfstoffs in dieser Altersgruppe abgewartet werden.“ Denn man müsse auch berücksichtigen, wie lange es wahrscheinlich dauert, bis weitere Daten verfügbar werden, und welche Folgen eine vorübergehende Nichtempfehlung hätte. 

Priorisierung nach Alter und Impfkapazität

„Bei den COVID-19-Auffrischimpfungen hat die STIKO bewusst zunächst Empfehlungen für Immunsupprimierte, Senioren und beruflich besonders exponierte Personen ausgesprochen“, während die „Auffrischimpfempfehlung für immunkompetente Erwachsene jeglichen Alters“ später erfolgte, „da insbesondere bei jüngeren Erwachsenen die Grundimmunisierungsrate viel zu niedrig war und immer noch ist“.

Gerade der letzte Punkt wird durch die „Chronologie zur COVID-19 Auffrischimpfempfehlung“ nochmals unterstrichen. So heißt es dort, dass die STIKO am 18. November vorab die Auffrischimpfempfehlung für alle Personen ≥ 18 Jahre mitteilte. Da die Impfkapazitäten nicht ausreichten, erfolgte der Hinweis auf die Priorisierung von Auffrischimpfungen für Immunsupprimierte und Senioren sowie auf die Impfung von bisher Ungeimpften. Vollständig geimpft seien damals 67 Prozent gewesen, bei einer 7 Tages-Inzidenz von 375. Zwei Wochen später hätten aber zwei Monate nach der Auffrischimpfempfehlung für Senioren nur ca. 30 Prozent der ≥ 60-Jährigen die Auffrischimpfung erhalten. Vollständig geimpft waren dann 68 Prozent bei einer 7 Tages-Inzidenz von 475. 

STIKO-Mitglied: Impfpflicht lohnt nicht 

Vergangenen Samstag berichtete die Nachrichtenagentur dpa, dass das STIKO-Mitglied Christian Bogdan vom Universitätsklinikum Erlangen den Aufwand einer Impfpflicht in keinem Verhältnis zum Nutzen sehe. „Persönlich halte ich von einer gesetzlichen Impfpflicht nicht viel, da diese einen Rattenschwanz an Administration, Impfbefreiungszeugnissen und Klagen nach sich zieht und die gesellschaftliche Entzweiung fördert“, sagte der Experte der Ständigen Impfkommission (STIKO) den „Nürnberger Nachrichten“ und der „Nürnberger Zeitung“ (Samstag). „Das Ziel, möglichst viele Menschen zu impfen, erreicht man über andere Wege viel einfacher. Allein die Einführung der 2G-Regel hat ja schon dazu geführt, dass sich sehr viele Unentschlossene impfen haben lassen“, sagte Bogdan. „Die drei oder vier Prozent, die generell jede Impfung ablehnen, sind der Mühe nicht wert, eine Impfpflicht einzuführen.“

Zugleich verteidigte auch Bogdan die Arbeit der STIKO. „Wenn es zu Verzögerungen gekommen ist, dann aufgrund von Impfstoffmangel oder aufgrund von politischen Entscheidungen, die in der Bevölkerung den Eindruck hinterließen, die Pandemie sei vorbei.“ So habe die Politik das Zurückfahren der Impfzentren angekündigt und damit eine Impflethargie in der Bevölkerung ausgelöst. Nur fünf Wochen später seien dann Booster-Impfungen gefordert worden.

Lauterbach lässt nationales Impfregister prüfen 

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) lässt mittlerweile prüfen, ob die Einrichtung eines nationalen Corona-Impfregisters zur zentralen Erfassung von Impfdaten sinnvoll wäre. „Ich lasse das prüfen“, sagte der SPD-Politiker am vergangenen Sonntag in der Bild-Sendung „Die richtigen Fragen“. Komme bei der Prüfung heraus, dass das Register ein „Riesen-Bürokratiemonster“ werde, weil es sehr schwer sei, die Impfungen der Bürger rückwirkend zu erfassen, dann werde er „wahrscheinlich dagegen sein“. Stelle sich heraus, dass das Impfregister nicht viel Mühe mache, „dann werde ich dafür sein“. 

Beim Schlagwort Impfregister geht es um Überlegungen, den Corona-Impfstatus der Menschen zentral zu erfassen. Dies ist in die Diskussion gekommen vor dem Hintergrund der Frage, wie eine mögliche allgemeine Corona-Impfpflicht kontrolliert werden könnte.

Für Lauterbach habe jetzt Priorität, das Impfen zu beschleunigen. „Ich will eines verhindern, dass wir mit noch mehr Bürokratie und Dokumentation die Ärztinnen und Ärzte vom Impfen abhalten.“ Da ist Lauterbach sich mit der STIKO also offenbar einig. Die mögliche Einführung eines Impfregisters ist auch innerhalb von Lauterbachs Partei umstritten. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte sich skeptisch gezeigt, Generalsekretär Kevin Kühnert lehnte eine zentrale Erfassung von Impfdaten ab. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (ebenfalls SPD) hatte dagegen ein nationales Impfregister gefordert. 

Übrigens hat Lauterbach bereits am 9. Dezember in der ARD angekündigt, dass er die STIKO besser ausstatten will. Diese sei wissenschaftlich frei, und da sollte die Politik sich nicht einmischen. Lauterbach glaubt aber, dass sie schneller sein könnte, wenn sie mehr Personal hätte und dafür werde er sorgen. 



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