Neue Gematik-Spezifikation

Legale E-Rezept-Zuweisung - nötig, aber nicht ungefährlich

Süsel - 20.01.2022, 10:45 Uhr

(b/Grafik: gematik GmbH)

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Um das E-Rezept praxistauglich zu machen, müssen viele Spezialfälle geregelt werden. Für die legale Zuweisung von Rezepten durch den Arzt - beispielsweise für Zytostatikazubereitungen - hat die Gematik nun eine Spezifikation erstellt. Das erscheint nötig. Doch bei kritischer Betrachtung kommt die Sorge auf, dass dies auch einen Weg für unzulässige Zuweisungen eröffnen kann.

Zu den Herausforderungen für das E-Rezept gehören die vielen besonderen Situationen, die vom typischen Bearbeitungsablauf abweichen. Die Gematik muss daher auch zu solchen Fällen Vorgaben für die Anbieter der Software für Apotheken und Arztpraxen formulieren. Ein solcher Fall ist die legale Zuweisung von E-Rezepten durch Ärzte an Apotheken. Dieser Fall unterscheidet sich von der üblichen Rezepteinlösung durch den Versicherten oder einen Beauftragten. Dazu hat die Gematik am 9. Dezember 2021 ein „Feature“ zum E-Rezept für die „Workflow-Steuerung durch Leistungserbringer“ veröffentlicht. Die DAZ hatte bereits im April 2021 über einen Entwurf für dieses Dokument berichtet, den die Gematik am 18. Februar 2021 verbreitet hatte (siehe DAZ 2021, Nr. 17, S. 64 f.).

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Wer worauf zugreifen darf

Als Anwendung waren damals Zytostatikazubereitungen genannt worden. Diese dürfen vom verordnenden Arzt gemäß § 11 Abs. 2 Apothekengesetz einer bestimmten Apotheke zugewiesen werden, um kurzfristige Änderungen und Absprachen zur termingenauen Lieferung ohne Mitwirkung des Patienten zu ermöglichen. In der nun vorliegenden Fassung der Spezifikation wird als weitere Anwendung die Arzneimittelversorgung durch krankenhausversorgende Apotheken und Krankenhausapotheken im Rahmen von § 14 Abs. 7 und 8 Apothekengesetz genannt. Dabei geht es stets nur um Fälle mit direktem Patientenbezug. Die im Entwurf genannte Voraussetzung, dass vorab eine Abstimmung zwischen Arzt und Patient stattgefunden hat, ist im neuen Dokument nicht mehr enthalten.

„User Stories“ für Ärzte, Apotheken und Versicherte

Die Anforderungen von Ärzten, Apotheken und Versicherten werden in „User Stories“ beschrieben. Demnach soll der Arzt das E-Rezept „unkompliziert einer Apotheke im gesetzlichen Rahmen direkt zuweisen können“. Der Patient soll das in diesen Fällen nicht selbst tun können und die Verordnung nicht löschen können. Bestimmte Verordnungen sollen automatisch an eine voreingestellte Apotheke zugewiesen werden können. Der Arzt soll dies an das Praxisteam delegieren und einstellen können, dass die Praxis benachrichtigt wird, wenn ein solches E-Rezept in einer Apotheke nicht beliefert werden kann. Die Apotheke soll die unterschiedlichen Typen von Verordnungen unterscheiden können und bei zugewiesenen Verordnungen mit dem Arzt und nicht mit dem Patienten kommunizieren. Die Apotheke soll dem Arzt auf dem gleichen Kommunikationsweg antworten können, auf dem sie das E-Rezept erhalten hat. Der Versicherte soll auch diese E-Rezepte einsehen und den Bearbeitungsstatus erkennen können, aber nicht über den Bearbeitungsablauf benachrichtigt werden. Dies alles ist gegenüber dem Entwurf weitgehend unverändert. Allerdings wurde die Formulierung gestrichen, der Arzt könne seine „Stammapotheke“ auswählen.

Vorsicht vor möglicher „Hintertür“

Da sich gegenüber dem Entwurf wenig geändert hat, bleiben auch die aus Apothekensicht problematisch erscheinenden Aspekte bestehen, die im DAZ-Beitrag vom April 2021 angemahnt wurden. Dabei geht es um die Gefahr, dass die für legale Fälle geschaffene Ausnahme eine Hintertür im Schutzsystem des E-Rezepts öffnet und damit illegale Nutzungen erst möglich macht. Die legale Nutzung wird im Dokument der Gematik offenbar vorausgesetzt. Von den Softwareanbietern werden jedoch keine technischen Hürden verlangt, die unzulässige Nutzungen verhindern. Demnach könnten diese Möglichkeiten auch für unzulässige Zuweisungen genutzt werden. Möglicherweise könnten einzelne Ärzte diese Funktion sogar als allgemein zulässige „komfortable“ Alternative missverstehen.

Die Gematik schreibt vor, die E-Rezepte über ein Verfahren zuzuweisen, das „die sehr hohe Vertraulichkeit des E-Rezept-Tokens und seine Integrität schützt“. Im Kommunikationsdienst KIM wird dafür sogar eine spezielle Funktion geschaffen. Doch offenbar ist dies nur ein Angebot. Die Softwareunternehmen können auch einen anderen sicheren Übertragungsweg bieten. Vieles wird daher von der Umsetzung in der jeweiligen Arztsoftware anhängen.

Weitere praxisrelevante Fälle nicht erwähnt

Aus Apothekenperspektive lässt sich außerdem ergänzen, dass eine unmittelbare Übertragung des E-Rezepts auch geboten sein kann, wenn der Arzt ein neues E-Rezept ausstellen muss, nachdem der Patient bereits in der Apotheke war. Dies betrifft beispielsweise fehlerhafte Verordnungen oder Lieferengpässe ohne naheliegende Substitutionsmöglichkeit. Im vorliegenden Dokument wird dieser Aspekt jedoch nicht erwähnt.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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