Positionspapier

Versorgen statt beliefern – wie der MVDA die stationären Apotheken stärken will

Berlin - 28.02.2022, 13:45 Uhr

Apotheken können mehr als Arzneimitteldistribution, meint der MVDA. (Foto: ABDA)

Apotheken können mehr als Arzneimitteldistribution, meint der MVDA. (Foto: ABDA)


Aus Sicht des Marketing Vereins Deutscher Apotheker (MVDA) muss die stationäre Apotheke bei der Arzneimittelversorgung Vorfahrt vor dem Versandhandel haben. Denn schließlich übernimmt sie eine Vielzahl von Gemeinwohlpflichten, derer sich DocMorris und Co. entziehen. In einem Positionspapier hält der MVDA jetzt fest, was es braucht, um die Zukunft der Apotheken hierzulande zu sichern.

Die Apotheken in Deutschland ächzen unter der überbordenden Bürokratie – das zeigen aktuell auch die Ergebnisse der monatlichen Apokix-Umfrage. Personalnot und die Furcht vor dem Versandhandel, der mit Blick auf die Einführung des E-Rezepts schon die Messer wetzt, machen ihnen das Leben zusätzlich schwer. Was braucht es jetzt, um das Apothekennetz in Deutschland weitgehend zu erhalten und die Arzneimittelversorgung vor allem in ländlichen Regionen zu sichern? Der Marketing Verein Deutscher Apotheker (MVDA) hat dazu vergangene Woche ein Positionspapier vorgelegt.

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Darin fordert die Apothekenkooperation (Dachmarke: Linda) ein klares Bekenntnis zu den ordnungspolitischen Pfeilern in der Arzneimittelversorgung – insbesondere dem Mehr- und Fremdbesitzverbot. Sollten diese Regeln gelockert werden, sei in der Folge „schon mittelfristig mit monopol- oder zumindest oligopolartigen Strukturen zu rechnen, die weder zu Preis- noch Qualitätswettbewerben führen dürften, sondern nach dem Prinzip ‚Angebot und Nachfrage‘ eine Gewinnmaximierung vornehmen werden“, warnt der Verein. Nicht kostendeckend bezahlte Leistungen würden nach und nach aus dem Portfolio solcher Anbieter verschwinden – zum Nachteil der Patientinnen und Patienten. Zudem gelte es, das Rx-Boni-Verbot auch auf Privatversicherte auszuweiten.

Darüber hinaus widmet sich der MVDA der Frage, wie sich die Versorgung auch von Menschen in ländlichen Regionen sicherstellen lässt. Dabei setzt der Verein voll auf den Botendienst der Offizinen. Er warnt eindringlich davor, den „deregulierten“ Rx-Versandhandel zu bevorzugen. „Denn dieses Szenario führt durch die Trockenlegung der mischkalkulierten Finanzierungsgrundlage jeder Apotheke unweigerlich innerhalb kürzester Zeit zum Verschwinden versorgungsrelevanter Landapotheken.“ Eine ausschließliche Belieferung ohne weitere Beratungs- und Serviceleistungen könne die Versorgung durch eine Apotheke vor Ort nicht ersetzen. „Regional tätigen Apotheken, die die ganze Palette an gesetzlich übertragenen Gemeinwohlpflichten rund um die Lieferung des Arzneimittels erfüllen, muss bei der Arzneimittelversorgung Vorrang eingeräumt werden, es sei denn, der Rs-Versandhandel sorgt ebenfalls mit einem eigenen bereitstehenden Dienst vor Ort durch qualifiziertes Personal für die Sicherstellung dieser Gemeinwohlpflichten rund um die Uhr.“

Unverzichtbare Gemeinwohlpflichten sind:

  • Gesetzliche Beratungspflicht
  • Anfertigung von Individualrezepturen
  • BTM-Versorgung
  • Kühlkettenartikel
  • Notfalldepotbereithaltung
  • Notdienst
  • Kontrahierungszwang
  • niederschwelliger Zugang in allen Gesundheitsfragen
  • Lotsenfunktion im Gesundheitswesen für den Bürger
  • Pflege des Medikationsplans
  • Temperaturkontrollierter Botendienst
  • Versorgung in Krisenzeiten

Quelle: MVDA-Positionspapier

Ein Systembruch müsse dabei unbedingt vermieden werden, unterstreicht der MVDA. „Die Weiterentwicklung des bestehenden und bewährten Arzneimittelversorgungssystems nach deutschem Recht und deutschen Standards hat auch in Zukunft den Maßstab zur Verbesserung und Digitalisierung unseres Gesundheitssystems darzustellen“, betont die Apothekenkooperation in ihrem Positionspapier.

Damit der Apothekenmarkt in der Lage ist, sich mit der notwendigen Geschwindigkeit weiterzuentwickeln, müsse für eine nachhaltige Implementierung eines gesunden, qualitätsorientierten Wettbewerbs gesorgt werden. Dabei sei strikt auf die Einordnung des Arzneimittels als „besonderes Gut“ zu achten. „Eine vollständige Liberalisierung des Marktes sowie der zugehörigen Strukturen gefährdet eine flächendeckende, sichere und patientenzentrierte Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln, statt sie zu stärken! Den Einfluss von Hedgefonds und ähnlicher Kapitalgesellschaften lehnen wir ab, da nach bisherigen Erfahrungen die Versorgungsqualität unter dem Streben nach Gewinnmaximierung leidet.“

Demografischer Wandel – eine doppelte Herausforderung

Der demografische Wandel trifft die Apotheken gleich doppelt: Zum einen gehen mehr Mitarbeitende in Rente als nachwachsen, zum anderen müssen die Offizinen hierzulande immer mehr Menschen mit Polymedikation betreuen. Dass die Politik die Apotheken dabei stärker in die Verantwortung nehmen will als bisher, ist kein Geheimnis – doch viele haben schon jetzt Schwierigkeiten, die anfallende Arbeit auf genug Schultern zu verteilen.

Qualität braucht qualifiziertes Personal

„Der Apothekenmarkt hat ein Nachwuchsproblem“, weiß auch der MVDA. Er stellt klar: „Mehr Qualität aus Apotheken verlangt die dauerhafte Sicherstellung der Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal am Ort der Versorgung!“ In der Realität sieht die Kooperation jedoch Kompetenz und Weiterentwicklung der verschiedenen pharmazeutischen Berufsgruppen nicht nur nicht gestärkt, sondern vor dem Hintergrund der zunehmenden technischen und digitalen Entwicklung sogar geschwächt. Denn die notwendigen berufsrechtlichen Anpassungen blieben schlichtweg aus. „Dies führt vor allem im Bereich der Pharmazeutisch-Technischen Assistenten*innen (PTA) zu einer Abwanderung aus dem eigentlichen Betätigungsfeld, da notwendige und individuell gewünschte Weiterentwicklungen auf der Grundlage überholter Vorschriften nicht möglich sind.“

Die Folge: Sowohl in den Assistenzberufen als auch in der akademischen Ausbildung breche den Apotheken der Nachwuchs weg, weil fachliche und finanzielle Entwicklungspotenziale für die pharmazeutischen Fachkräfte nicht angeboten werden können. „Fakt ist: Die Apotheken sind seit 2004 von der allgemeinen Lohnentwicklung abgehängt. In der Folge sind die Einkommen der Apothekenmitarbeitenden nicht entsprechend vergleichbarer Berufsgruppen angepasst worden, sodass sie mittlerweile bis zu 40 Prozent unter deren Löhnen liegen.“ Die marginalen Honorarerhöhungen der vergangenen Jahre (BtM- und Dokumentationsgebühren, Notdienstvergütung) reichen dem MVDA zufolge bei weitem nicht aus, um Inflation und Kostensteigerung für die erbrachte Mehrleistung auszugleichen.

Honorarsprung und Dynamisierung

Stand heute sei die Wertschöpfung in den Apotheken abgekoppelt vom allgemeinwirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland. „Um den Arbeitsplatz in der öffentlichen Apotheke wieder attraktiver zu gestalten, fordern wir einen deutlichen Honorarsprung und eine jährliche Honorardynamisierung, um eine Entwicklung, wie seit 2004 in deutschen Apotheken geschehen, zukünftig zu verhindern. Dabei ist es aus unserer Sicht sinnvoll, wenn der Großteil dieses Honorarzuwachses zu einem festgelegten Prozentsatz auch dem Fachpersonal zugutekommt.“ Zudem fordert der MVDA zum Beispiel eine Anpassung der Weiterbildungsordnung für PTA, einen Ausbau der Studienplatz-Kapazitäten für Pharmazeutinnen und Pharmazeuten und mehr PTA-Ausbildungsplätze.

Pharmazeutische Kompetenzen stärker nutzen

Immer mehr Menschen werden polypharmazeutisch betreut, schreibt der MVDA. Vor diesem Hintergrund sei die Steigerung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) in Deutschland alternativlos – und zwar mit wachsender Bedeutung. „Nach wie vor ist Apotheker*in der einzige Gesundheitsberuf, der vollständig dazu in der Lage ist, das Medikationsregime eines Patienten bis hin zur intransparenten Selbstmedikation lückenlos zu überblicken“, heißt es im Positionspapier. „Diese Kompetenz muss nicht nur gestärkt und vermehrt abgerufen werden, sie hat sich auch in einer wachsenden Verantwortung der Apotheken und des Apotheker*innenberufs widerzuspiegeln.“

Mehr Verantwortung beim Medikationsplan

Insbesondere beim Medikationsplan sollten Apotheker und Apothekerinnen eine hauptverantwortliche Rolle übernehmen, meint der MVDA. „Sie sind durch Studium, Approbation und aufgrund zahlreicher Fort- und Weiterbildungen die umfassenden Fachleute für Pharmakologie im Gesundheitswesen.“ Um Dosisangaben besser kontrollieren zu können, sollte dem Verein zufolge – wie bei Hilfsmittelrezepten bereits üblich – eine gesetzliche Verpflichtung zur Diagnose- und Dosierungsangabe erfolgen. „Darauf aufbauend könnte ein begleitendes Arzneimittel-Monitoring in vierwöchigem Abstand in der Apotheke durchgeführt werden, das die Therapietreue und Richtigkeit der Einnahme signifikant erhöhen und unerwünschte Nebenwirkungen durch Nicht- oder Falscheinnahmen vermeiden hilft.“ Weitere Versorgungsansätze unter Einbindung von Apotheken seien insbesondere dort naheliegend, wo die abnehmende Praxisdichte die flächendeckende Versorgung gefährde. „Hier könnten vor allem in strukturschwachen Gebieten mit mangelhafter ärztlicher Durchdringung auch ärztliche Leistungen substituiert werden, wenn sie nicht zwingend durch eine/n Ärztin/Arzt erbracht werden müssen.“

Die apothekerlichen Leistungen auf die Arzneimitteldistribution zu reduzieren, laufe nicht nur den tatsächlichen Aufgaben der Offizinapotheke als niedrigschwellige Ansprechpartnerin in allen Gesundheitsfragen zuwider, eine solche Sicht verkenne auch die Potenziale, die Apothekerinnen und Apotheker im zukünftigen Versorgungsgeschehen einnehmen können und sollten: „Aus der Sicht der Linda Apotheker*innen ist ‚beliefern‘ etwas grundlegend anderes als ‚versorgen‘!“ Viel naheliegender sei es, den Offizinen zusätzliche Leistungen und Aufgabenbereiche im Gesundheitssystem zu übertragen. „Diese bedürfen selbstverständlich einer fairen zusätzlichen Honorierung!“

Wandel mit Augenmaß

Der MVDA spricht sich angesichts der großen Herausforderungen dafür aus, den gesellschaftlichen, aber auch den technischen Wandel „vorsichtig und ohne Gefährdung von bewährten Strukturen in eine Apothekenlandschaft der Zukunft zu überführen“. Die Apothekerinnen und Apotheker der Kooperation stünden einem system- und versorgungsorientierten Wandel positiv gegenüber. „Sie bieten sich als starker und kompetenter Partner der Politik an, um gemeinsam mit allen Beteiligten und den Versicherten und Patient*innen nach neuen Lösungen auf der Basis des Bewährten zu suchen. Uns eint die Überzeugung, dass eine solche Weiterentwicklung unseres Gesundheitssystems mit Augenmaß nur im Dialog und ohne wettbewerbliche oder standesrechtliche Ideologien gelingen kann.“

Das Positionspapier finden Sie auf der Website des MVDA.



Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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