USPSTF ändert Empfehlungen

Kein routinemäßiges ASS in der Primärprävention

Stuttgart - 04.05.2022, 09:15 Uhr

In der Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse ist niedrig dosiertes ASS unumstritten. In der Primärprävention raten US-Expert:innen nun zu einem restriktiveren Einsatz. (Foto: IMAGO / agefotostock)

In der Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse ist niedrig dosiertes ASS unumstritten. In der Primärprävention raten US-Expert:innen nun zu einem restriktiveren Einsatz. (Foto: IMAGO / agefotostock)


Ab 60-Jährige sollen der „US Preventive Services Task Force“ (USPSTF) zufolge nicht mit der Einnahme von niedrig dosiertem ASS beginnen, um kardiovaskulären Erkrankungen primär vorzubeugen. Einen geringen Nutzen könnten 40 bis 59-Jährige haben – das sind die neuen Empfehlungen der USPSTF. Keinen Nutzen sieht sie für ASS zur Prävention von Dickdarmkrebs.

Was nutzt ASS in der Primärprävention? Bereits 2021 veröffentlichte die „US Preventive Services Task Force“ (USPSTF) einen Empfehlungsentwurf, der niedrig dosiertes ASS in der Primärprävention kardiovaskulärer Ereignisse stark einschränkte, ebenso in der Prävention von Dickdarmkrebs. Die USPSTF ist ein unabhängiges Expertengremium, das Empfehlungen für die Primärversorgung und Prävention ausspricht und vom US-Gesundheitsministerium ernannt und finanziert wird. Den letztjährigen Entwurf hat die USPSTF nun am 26. April offiziell werden lassen und ihre neuen Empfehlungen im Fachjournal „JAMA“ („Aspirin Use to Prevent Cardiovascular Disease: US Preventive Services Taskforce Recommendation Statement“) veröffentlicht. Was ändert sich?

Kein Start mit Low-Dose-ASS ab 60 Jahren

Die USPSTF rät, dass die Entscheidung, ob Erwachsene im Alter von 40 bis 59 Jahren, mit einem 10-jährigen kardiovaskulären Risiko von mindestens 10 Prozent, niedrig dosiertes ASS zur Primärprävention von kardiovaskulären Erkrankungen einnehmen, individuell getroffen werden sollte. Es gibt laut USPSTF „Hinweise“, dass der „Nettonutzen gering“ ist. Vor allem Personen ohne erhöhtes Blutungsrisiko könnten von niedrigdosiertem ASS profitieren (Empfehlungsgrad C). Zuvor hatte die Empfehlung der USPSTF erst ab 50-Jährige berücksichtigt – und riet zwischen 50 und 59 Jahren zur routinemäßigen Anwendung von niedrig dosiertem ASS, zwischen 60- und 69-Jährigen war es eine individuelle Kann-Empfehlung. Nun rät die USPSTF ab 60-Jährigen, gar nicht mehr mit der Einnahme von ASS zur Primärprävention zu beginnen.

So lautete die USPSTF-Empfehlung zuvor (2016)

2016 empfahl die „US Preventive Services Task Force“ (USPSTF) die Einnahme von niedrig dosiertem ASS zur Primärprävention von kardiovaskulären Ereignissen und von Darmkrebs. Exakter traf ihre Empfehlung die beiden Altersgruppen der 50- bis 59-Jährigen und der 60- bis 69-Jährigen. Sie riet dazu, dass Erwachsene zwischen 50 und 59 Jahren, die ein Zehn-Jahres-Risiko für eine kardiovaskuläre Erkrankung von mindestens 10 Prozent aufweisen und ohne erhöhte Blutungsgefahr, niedrig-dosiertes ASS einnehmen sollten. Zudem sollten diese Erwachsenen noch eine mindestens zehnjährige Lebenserwartung haben und gewillt sein, niedrig-dosiertes ASS sodann für mindestens zehn Jahre anzuwenden. Hinter dieser Empfehlung stand die USPSTF 2016 mit der Stärke B – es bestand ihrer Ansicht nach mit „hoher“ bis „moderater Sicherheit“ ein „mäßiger Nettonutzen“ für die Patient:innen.

Bei älteren Menschen zwischen 60 und 69 Jahren hingegen sollte die Entscheidung über den Start einer Primärprävention von kardiovaskulären Ereignissen und Darmkrebs „individuell“ getroffen werden, empfahl die USPSTF 2016. Ihre Empfehlungsstärke zu einem Therapieangebot war bei Älteren etwas schwächer (Empfehlungsstärke C), die USPSTF war jedoch mit einer „moderaten Sicherheit“ von einem „geringen Nettonutzen“ überzeugt. Für unter 50-Jährige und über 70-Jährige reichte die vorliegende Evidenz nicht für eine Empfehlung zur Anwendung von ASS in der Primärprävention von Dickdarmkrebs und kardiovaskulären Erkrankungen.

Mit 75 Jahren über Absetzen nachdenken

Die USPSTF äußert sich auch zum „Absetzalter“: Da der Nettonutzen im Allgemeinen mit zunehmendem Alter wegen des erhöhten Blutungsrisikos immer geringer werde, könne es sinnvoll sein, ab einem Alter von 75 Jahren die Einnahme von niedrig dosiertem ASS zu beenden.

Generell kein ASS mehr zur Prävention von Dickdarmkrebs

Neues hat die USPSTF auch zur Prävention von Dickdarmkrebs durch ASS veröffentlicht: „Die USPSTF kam zu dem Schluss, dass die Beweise dafür, dass die Einnahme von niedrig dosiertem Aspirin die Häufigkeit von Darmkrebs oder die Sterblichkeit verringert, unzureichend sind“, erklärt die USPSTF im „JAMA“. Zuvor hatte sich die USPSTF für die routinemäßige Dickdarmkrebsprävention mit Low-Dose-ASS im Alter von 50 bis 59 Jahren ausgesprochen, für ab 60- bis 70-Jährige war es eine individuelle Entscheidung – analog der Primärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen. 

Was empfehlen die europäischen Leitlinien?

Europäische Fachgesellschaft für Kardiologie: keine allgemeine Primärprävention mit ASS

Die Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) „2021 ESC Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice“ spricht sich nicht für eine allgemeine Primärprävention mit ASS aus. Sie begründet ihre Einschätzung mit einer Meta-Analyse aus dem Jahr 2009, veröffentlicht in „The Lancet“. In dieser reduzierte Low-Dose-ASS zwar das Risiko für schwere kardiovaskulärer Ereignisse um 12 Prozent, führte aber zu einem signifikanten Anstieg gastrointestinaler Blutungen. Eine erst 2019 veröffentlichte Meta-Analyse, veröffentlicht im „Journal of the American College of Cardiology“, fand keinen Vorteil einer ASS-Gabe hinsichtlich kardiovaskulärer Mortalität oder Gesamtsterblichkeit, sondern nur für nicht-tödliche Myokardinfakrte und ischämische Schlaganfälle – und alles bei signifikant erhöhter Blutungsgefahr (nicht tödliche schwere, intrakranielle und schwere gastrointestinale Blutungen). Weitere Analysen bestätigen laut ESC diese Ergebnisse. „Insgesamt sollte ASS zwar nicht routinemäßig an Patienten ohne etablierte ASCVD (Atherosclerotic cardiovascular Disease) verabreicht werden, doch können wir nicht ausschließen, dass bei einigen Patienten mit hohem oder sehr hohem kardiovaskulären Risiko die Vorteile die Risiken überwiegen“, erklärt das ESC.

Primärprävention in Einzelfällen möglich

So konnte in der ASCEND-Studie, veröffentlicht 2018 im „The New England Journal of Medicine“, niedrig dosiertes ASS bei Diabetikern ohne kardiovaskuläre Erkrankung das Risiko für schwere kardiovaskulärer Ereignisse signifikant um 12 Prozent reduzieren, erhöhte aber auch das Risiko schwerer Blutungen (gastrointestinal und extrakraniell). Laut einer Studie aus „Cardiovascular Diabetology“ (2019) liegt die Number needed to treat bei 95, um über fünf Jahre ein schweres kardiovaskuläres Ereignis (MACE) zu verhindern. „Daher kann Aspirin, wie auch bei Patienten ohne Diabetes mellitus, in Betracht gezogen werden, wenn das kardiovaskulärer Risiko außergewöhnlich hoch ist“, erklären die Leitlinienautoren.

In der Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse ist niedrig dosiertes ASS unumstritten.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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