Hilfsmittelversorgung aus Sicht der Kassen

„Keine unüberwindbaren Hürden“

Stuttgart - 10.06.2022, 07:00 Uhr

Um beispielsweise Lanzetten abgeben zu dürfen, müssen Apotheken präqualifiziert sein. Ansonsten werden sie aus der Versorgung ausgeschlossen. (Foto: IMAGO / Panthermedia)

Um beispielsweise Lanzetten abgeben zu dürfen, müssen Apotheken präqualifiziert sein. Ansonsten werden sie aus der Versorgung ausgeschlossen. (Foto: IMAGO / Panthermedia)


Die bürokratischen Anforderungen in der Hilfsmittelversorgung ärgern die Apothekerinnen und Apotheker. Sie würden am liebsten auf die Zwänge der (Re-)Präqualifizierungen und Genehmigungsverfahren verzichten. Doch der GKV-Spitzenverband hält diese Instrumente für wichtig, um die Versorgungsqualität zu sichern. In der aktuellen DAZ erläutert eine Verantwortliche des Spitzenverbands die Sicht der Kassen.

Um GKV-Versicherte mit Lanzetten, Pen-Nadeln, Kanülen, Spritzen oder Infusionsbestecken im Rahmen ihrer Arzneimitteltherapie versorgen zu dürfen, sind Deutschlands Apotheken nicht automatisch qualifiziert. Sie müssen vielmehr präqualifiziert sein und sich alle fünf Jahre re-präqualifizieren. Ansonsten werden sie aus der Versorgung ausgeschlossen. Damit reihen sich die Apotheken – aus Sicht der Krankenkassen – ein in die Riege der übrigen Anbieter in diesem Sektor. Dass Apotheken zu den wahrscheinlich bestüberwachten Betrieben im Gesundheitswesen zählen und durch ihre Betriebserlaubnis und das Fachpersonal bereits wichtige Qualitätsnachweise liefern, spielt in der Welt der Hilfsmittelversorgung (zulasten der GKV) offenbar nur eine untergeordnete Rolle.

Das sorgt regelmäßig für Unverständnis, Ärger und Frust unter den Apothekerinnen und Apothekern. Der Apothekenklima-Index, den die ABDA seit 2016 erhebt, kommt jährlich zu dem Schluss, dass die Bürokratie für die Apothekenteams im Berufsalltag das größte Ärgernis ist und der Aufwand bei der Hilfsmittelversorgung durchschnittlich zwei Drittel der befragten Inhaberinnen und Inhaber stresst. In der DAZ sind regelmäßig entsprechende Erfahrungsberichte aus Apotheken zu lesen.

Standespolitik will Präqualifizierung weitgehend abschaffen

Standespolitisch hat sich daraus die Forderung abgeleitet, auf die Präqualifizierung weitgehend verzichten zu wollen. „Überall dort, wo Hilfsmittel abgegeben werden, bei denen die Apotheke nicht handwerklich tätig ist, muss es möglich sein, ohne Präqualifizierung zu versorgen“, sagte beispielsweise der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbands (DAV), Hans-Peter Hubmann, bei der diesjährigen Wirtschaftskonferenz. Der saarländische Apothekerkammerpräsident Manfred Saar machte den Delegierten diese Woche Hoffnung: „Die ABDA setzt sich dafür ein, die Präqualifizierung für Apotheken weitgehend abzuschaffen.“ Bei sehr spezialisierten Belieferungen solle aber eine Qualifizierung erforderlich bleiben. „Was auch sinnvoll ist“, so Saar.

Die Krankenkassen hingegen blicken anders auf die Thematik. „Wir haben in Deutschland rund 18.500 präqualifizierte Apotheken, wo das offenbar hervorragend klappt“, erklärt Carla Meyerhoff-Grienberger in der aktuellen DAZ. Meyerhoff-Grienberger ist als Referatsleiterin beim GKV-Spitzenverband für das Fachgebiet Hilfsmittelversorgung verantwortlich. Sie sieht in der historischen Entwicklung vom Zulassungs- zum Vertragsprinzip Vorteile: „Das Vertragsprinzip hat aus meiner Sicht insofern Vorteile, weil es die Vertragspartner rechtlich enger bindet, Verträge individueller ausgestaltet werden können und die Vertragsinhalte als Maßstab für die Prüfung der Ergebnisqualität herangezogen werden können.“ 

Früher galt die Maxime „Einmal zugelassen, immer zugelassen“. Laut Meyerhoff-Grienberger kam es dann mitunter vor, dass sich die Betriebe einzelner Leistungserbringer z. B. nach 20 Jahren grundlegend verändert hatten und gar nicht mehr über die personellen, räumlichen oder technischen Voraussetzungen verfügten. Das neu geschnürte Gesamtpaket hingegen trage zur Qualitätssicherung bei. Dass mit Einführung der Präqualifizierungen und der alle fünf Jahre anstehenden Re-Präqualifizierungen die Bürokratie auf die Apotheken und die anderen Leistungserbringer abgewälzt wird, sieht Meyerhoff-Grienberger nicht. Befähigungsnachweise müssten nun nur noch einmalig erbracht werden und gelten kassenartenübergreifend.

Sind negative Erfahrungen nur Einzelfälle?

„Im Großen und Ganzen funktioniert das sehr gut und die allermeisten Apotheken finden sich in dem System zurecht“, erklärt die Referatsleiterin, die sich seit rund 30 Jahren mit der Hilfsmittelversorgung beschäftigt. Negative Erfahrungen seien dagegen Einzelfälle, die man in der Presse liest. Wenn überhaupt, denn für Meyerhoff-Grienberger entbehren die Vorwürfe im Zusammenhang mit der Präqualifizierung im Speziellen oder der Hilfsmittelversorgung im Allgemeinen jeglicher Grundlage. „Da werden Versorgungsbereiche genannt, wie beispielsweise Trinknahrung, bei denen wir angeblich einen Spiegel fordern würden. Das entspricht nicht den tatsächlichen Anforderungen für die jeweiligen Versorgungsbereiche.“ Keine Apotheke sei gezwungen, jedes Hilfsmittel vorzuhalten. Es obliege der freien Entscheidung, ob und welche Hilfsmittel neben den Arzneimitteln angeboten werden und ob die Apotheke hierüber Verträge schließt.

Wie steht der GKV-Spitzenverband zu den standespolitischen Forderungen der Apothekerschaft, von der Präqualifizierungspflicht weitgehen abzusehen, wenn die Hilfsmittelabgabe beispielsweise an die Arzneimittelabgabe gekoppelt ist oder wenn, wie der DAV-Vizevorsitzende Hubmann es forderte, die Apotheke nicht selbst handwerklich tätig ist? „Eine Applikationshilfe für ein Arzneimittel bleibt nun mal ein Hilfsmittel“, macht Meyerhoff-Grienberger deutlich. Die zur Abgabe erforderlichen Kenntnisse werden ihrer Meinung nach nicht dadurch erlangt, dass man sich mit dem zu applizierenden Arzneimittel auskennt. Die Forderung sei daher nicht nachvollziehbar. 

Hilfsmittel aus der Drogerie?

Die Präqualifizierungsanforderungen bei Hilfsmitteln wie Lanzetten, Pen-Nadeln, Kanülen, Spritzen oder Infusionsbestecken stellen „gerade für Apotheken“ keine unüberwindbaren Hürden dar, so Meyerhoff-Grienberger, und sie denkt die Forderung weiter: „Wenn es für bestimmte Produkte sachliche Gründe gäbe, dass für deren Abgabe keine Präqualifizierung notwendig wäre, müsste sie für alle Leistungserbringer in diesen Bereichen aufgehoben werden.“ Dann wäre es nicht mehr möglich, die Qualität zu steuern und man könnte mit gleichen Qualitätsergebnissen auch andere Vertriebskanäle, z. B. Drogeriemärkte und andere Geschäfte nutzen. „Wäre dies im Interesse der Apotheken?“, fragt sie.

Das gesamte Interview mit Carla Meyerhoff-Grienberger vom GKV-Spitzenverband finden Sie in der aktuellen DAZ Nr. 23.


Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@daz.online


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4 Kommentare

Keine Drohung

von Stefan Haydn am 10.06.2022 um 13:44 Uhr

Die Abgabe in Drogeriemärkte zu verlagern stellt keine Drohung dar.
Die stellen dies bei gleichem Arbeitsaufwand und Bürokratie schnell wieder ein, da nicht lohnend.

Oder es wird von den Patienten ein kräftiger Zuschlag verlangt, wie aktuell oft in Sanitätshäusern.
Da könnten sich die kranken Kassen mal drum kümmern.
Leider interessiert dies nicht, da ja nur der Versicherte zusätzlich zur Kasse gebeten wird.

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Bürokratie

von ecke2 am 10.06.2022 um 10:25 Uhr

Letztendlich scheitert die Präqualifizierung doch immer am Beratungsraum. Bestehende Apotheken haben vorne einfach zu wenig Platz um sich noch ein Alibipuff hinzustellen.
Die Zeit der kleinen Apotheken in normalen Ladengeschäften ist halt endgültig vorbei. Das wird jetzt mit der Brechstange von den Großraumbürokraten erzwungen. Es gibt keinen Grund warum Kanülen oder Occlusievpflaster in einem separaten Beratungsraum abgegeben werden sollen. Dass diese Leute sich nicht schämen so etwas weltfremdes zu fordern. Was ist mit den 25 Grad Höchsttemperatur? Warum macht sich von diesen Besserwissern nicht mal einer daran diese Industrienorm zu ändern angesichts des Klimawandels die Industrie die Verfallszeiten bei 28 oder 30Grad testen zu lassen? Da müssen sie sich ja mit der Industrie anlegen. Laborprüfungen in jeder Apotheke sind auch ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Dann lieber die Industrie verpflichten jede Substanz in zwei unabhängigen Laboren überprüfen zu lassen als die ganzen Resourcen in jeder Apotheke zu verschwenden. Die Pharmazeutische Chemie im Studium massiv zurechtstutzen anstatt zwei Semester draufsatteln. Aber da müssten ja manche Professoren ihre Pfründe aufgeben. Liebe jedes Jahr ein neues demütigendes und erniedrigendes bürokratisches Monster erfinden und sich dann wundern warum man einen Fachkräftemangel hat. Viele verabschieden sich doch von diesem Wahnsinn frühzeitig oder reduzieren ihre Arbeitszeit, weil es sonst zu demütigend ist.

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Ignoranz hoch 3

von ratatosk am 10.06.2022 um 8:43 Uhr

Noch offensichtlicher hätte sich völlige Ignoranz oder einfach der Wille möglichst viel Versorgung für die Versicherten zu unterdrücken nicht zeigen können. Was macht die Dame eigentlich hauptberuflich. Von der praktischen Umsetzung hat sie offensichtlich keine Ahnung. Ein typische selbstgefällige Apparatschik.
An der Stelle mit den individuellen Bedingen hat sie offensichtlich unabsichtlich des Pudels Kern verraten . Teilen und herrschen, billig bis kein Arzt mehr kommt. Flächendeckende Versorgung , kein Anliegen der GKV mehr. Über die Verschwendung von Ressourcen durch die kleinsteinigen Verträge ist sie sich offensichtlich nicht im Klaren, oder es ist ihr egal, da sie sowieso nur immer in Verwaltung macht, die eigentliche Versorgungsarbeit und die vielfältigen Probleme sind ihr ja fremd. Solche Leute sind leider nur ein weiterer Puzzlestein in einer grotesken Bürokratie, die in D immer weitere Lebensbereiche bewußt ruiniert.
Fast alle, wenn ihre Abteilung durch diesen Unsinn größer wird, gibt es sicher mehr Geld und Boni.

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nicht unüberwindbar.....aber weitestgehend unnötig und hoffnungslos überzogen

von Thomas B am 10.06.2022 um 8:24 Uhr

Das Procedere entspricht dem Sparmodell der allermeisten Versicherungen: Durch Kleingedrucktes oder künstlich aufgeblähte Bürokratiemonster Zahlungen entweder ganz vermeiden oder oder so unattraktiv wie möglich machen. Und wer seine Zeit damit verschwenden muss, dem fehlt sie, um an anderen Stellen hinreichend darauf zu achten, dass die kranken Kassen (Versicherungsmentalität!) nicht andere Hintertürchen finden, berechtigte(!) Leistungen nachträglich zu verweigern.

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