Rückblick: Das jähe Ende des Apotheken-Reformgesetzes

Die Unvollendete

25.12.2024, 11:59 Uhr

Beim DAT im Oktober wurde noch heftig mit und über Karl Lauterbach und seine seine zweifelhaften Pläne zur Bekämpfung des Apothekensterbens diskutiert - nun ist seine Reform Geschichte. (Foto: Schelbert/DAZ)

Beim DAT im Oktober wurde noch heftig mit und über Karl Lauterbach und seine seine zweifelhaften Pläne zur Bekämpfung des Apothekensterbens diskutiert - nun ist seine Reform Geschichte. (Foto: Schelbert/DAZ)


Minister Karl Lauterbach (SPD) hatte sie vor einem Jahr, kurz vor Weihnachten, für 2024 angekündigt. Ihre greifbaren Anfänge in Form eines Referentenentwurfs nimmt sie ein halbes Jahr später. Begleitet wird sie in jeder Phase von Empörung und Widerstand. Nach dem Sommer geraten die Pläne ins Wanken und nach dem Ampel-Aus Anfang November wird sie ganz abgeblasen: die Apothekenreform. Eine Rückschau auf ein Trauerspiel.

Steigende Kosten an allen Ecken und Enden kombiniert mit einem seit mehr als einem Jahrzehnt unveränderten Packungshonorar (und weiterhin temporär höherem Kassenabschlag) lässt immer mehr Apotheken sterben. Standesvertreter*innen mahnen immer wieder: Im Jahr 2024 könnten es 600 Betriebsstätten sein, die für immer ihre Türen schließen. Einen so rasanten Abstieg und einen solchen Tiefstand (17.187 zum Ende des 3. Quartals) gab es zuvor noch nie.

Es zeigt sich also mit schmerzhafter Deutlichkeit, was der Apothekerschaft schon lange klar ist – und grundsätzlich auch dem Bundesgesundheitsminister: Es muss etwas geschehen, soll die Arzneimittelversorgung durch Vor-Ort-Apotheken flächendeckend erhalten bleiben. Allerdings weiß der Berufsstand spätestens seit dem Deutschen Apothekertag (DAT) 2023, dass der aus seiner Sicht wichtigste Hebel zur Rettung der Apotheken – ihre wirtschaftliche Stärkung – bei Lauterbach nicht die Rolle spielt, die er sich wünscht. Dort hatte der Minister erstmals über seine Reformideen gesprochen – nachdem er sie unmittelbar zuvor über die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in die Öffentlichkeit gebracht hatte. Die daraufhin Ende vergangenen Jahres vorgestellten ausformulierten Reformeckpunkte des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) bestätigten die Befürchtungen: Zu­sätzliches Geld steht nicht zur Debatte. Vielmehr soll es eine Umverteilung vom prozentualen Zuschlag hin zum Fixum richten. Zudem soll es Honoraranreize für Apothekenstandorte in ländlichen Regionen geben, die Notdienstpauschale erhöht werden. Die ABDA alarmieren aber schon im Eckpunkte-Stadium vor allem die Pläne für „Apotheken ohne Apotheker“: So soll eine Apotheke künftig auch dann öffnen dürfen, wenn nur ein*e PTA vor Ort ist – sofern ein Video-Kontakt („Telepharmazie“) zu einem Apotheker oder einer Apothekerin desselben Filialverbundes möglich ist.

Fast ein halbes Jahr Warten

Das Jahr startet also im bangen Warten auf den Referentenentwurf. Wie stellt sich das BMG die gesetzliche Umsetzung seiner Eckpunkte konkret vor? Zunächst klang es, als sei der nächste Aufschlag aus dem Hause Lauterbach schon zu Jahresbeginn zu erwarten. Doch Monat um Monat zieht ins Land. Derweil bringt sich die Apothekerschaft weiter in Position und macht deutlich, dass die Eckpunkte in eine falsche Richtung laufen. Die ABDA ruft im April die recht spontane Protestaktion „Wir sehen rot“ aus. Ansonsten setzt sie aber vor allem auf Dialog. Bundesweit werden Apotheken aktiv und laden beharrlich Politikerinnen und Politiker in ihre Offizinen ein – von der kommunalen über die Landes- bis zur Bundesebene. Selbst Bundeskanzler Olaf Scholz schaut im Frühjahr in einer Apotheke in seinem Wahlkreis vorbei. Lauterbach lässt es sich im Sommer nicht nehmen, denselben Apotheker ebenfalls zu besuchen. Vor Ort erläutern die Apothekenleiterinnen und -leiter ihre Sorgen. Und ihre Gegenüber zeigen sich zumeist sehr verständig.

Die Kernpunkte des ersten Referentenentwurfs für das Apotheken-Reformgesetz

Vergütung

Die versprochene Erhöhung der Notdienstpauschale – 550 Euro pro Vollnotdienst sind vorgesehen – soll finanziert werden, indem ein Teil des für die pharmazeutischen Dienstleistungen vorgesehenen Zuschlags umgewidmet wird: Der Notdienst-Zuschlag soll von 21 auf 28 Cent je Rx-Packung erhöht, der pDL-Zuschlag von 20 auf 13 Cent gesenkt werden.

Das Packungsfixum wiederum soll zulasten des prozentualen Aufschlags und damit kostenneutral erhöht werden: Zum 1. Januar 2025 soll es von 8,35 Euro um 31 Cent auf 8,66 Euro erhöht werden. Ein Jahr später soll es um weitere 34 Cent auf 9 Euro steigen. Der prozentuale Zuschlag soll über zwei Jahre hinweg von 3 auf zunächst 2,5 und dann 2 Prozent abgesenkt werden.

Ab 2027 soll das Fixum dann in den Händen von Deutschem Apothekerverband und GKV-Spitzenverband liegen. Sie sollen im Benehmen mit der PKV jährlich eine Anpassung verhandeln.

Zudem sollen Großhandelsskonti wieder ermöglicht werden und die vergessene Engpasspauschale von 50 Cent für nicht verfügbare Kinderarzneimittel der Dringlichkeitsliste nachgeholt werden.

Strukturelle Anpassungen

  • Bei Anwesenheit von erfahrenen PTA sollen öffentliche Apotheken auch ohne eine*n anwesende Approbierte öffnen können, sofern eine „telepharmazeutische“ Anbindung an Apothekerinnen und Apotheker im Filialverbund sichergestellt ist und die Apothekenleitung mindestens 8 Stunden pro Woche persönlich anwesend ist.
  • In Orten mit eingeschränkter Arzneimittelversorgung sollen unter neuen Bedingungen leichter Zweigapotheken gegründet werden können.
  • Filialapotheken sollen nicht mehr nur im selben oder benachbarten Kreis bzw. derselben oder benachbarten kreisfreien Stadt gegründet werden können (bis zu drei Stunden Fahrtzeit zwischen den Standorten akzeptabel).
  • Filial- und Zweigapotheken eines Filialverbundes sollen von der Apothekeninhaberin oder Apothekeninhabern selbst geleitet werden können.
  • Die Leitung von Filial- und Zweigapotheken soll unter zwei Apothekerinnen und Apothekern aufgeteilt werden können.
  • Flexiblere Öffnungszeiten sollen ermöglicht werden, um diese an Personalressourcen und Bedürfnisse der Versorgung vor Ort anzupassen.
  • Möglichkeit der Apothekenneugründung für approbierte Apothekerinnen und Apotheker, die ihre Prüfung außerhalb Deutschlands bestanden haben.
  • Fachkräfte aus dem Ausland sollen bereits während des Anerkennungsverfahrens wie Auszubildende für pharmazeutische Tätigkeiten eingesetzt werden können.
  • Weitere Berufsgruppen mit „geeigneter Ausbildung“ sollen für bestimmte unterstützende Tätigkeiten in der Apotheke eingesetzt werden können.
  • Auch Betäubungsmittel sollen in Kommissionier­automaten aufbewahrt werden können.
  • Die Impfberechtigung für Apothekerinnen und Apotheker soll ausgeweitet werden, ebenso die Möglichkeit, patientennahe Schnelltests anzubieten.

Erst Mitte Juni erblickt der Referentenentwurf für das Apotheken-Reformgesetz das Licht der Welt. Und wie schon beim DAT 2023 arbeitet Lauterbach Hand in Hand mit der FAZ: Sie berichtet zuerst über den Entwurf. Der ABDA wird er erst zwei Tage später offiziell zugestellt. Schon elf Tage später soll die Verbändeanhörung im BMG stattfinden, für die schriftliche Stellungnahme werden drei Tage mehr eingeräumt. Plötzlich scheint es der Bundesgesundheitsminister eilig zu haben, Mitte Juli, so heißt es, soll das Kabinett die Reform beschließen. Übrigens zeitgleich mit der Notfallreform – ein Gesetzesvorhaben, das ebenfalls Neuerungen für Apotheken enthält, die in der Apothekerschaft wenig Anklang finden.

Das Gesunde-Herz-Gesetz

Neues für die Apotheken sah Karl Lauterbach auch in weiteren Gesetzen vor. Immer wieder hatte er betont, sie stärker in Präventionsaufgaben einbinden zu wollen. Geschehen sollte dies im Zuge des „Gesundes-Herz-Gesetz“. Das im Detail umstrittene Vorhaben hatte zum Ziel, die Vorsorge und Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verbessern und damit die Sterblichkeit zu senken. Geplant waren unter anderem neue Gesundheitschecks; Apotheken waren drei neue pharmazeutische Dienstleistungen zugedacht, die Beratungen und Messungen, aber auch eine Kurzintervention zur Prävention tabakassoziierter Erkrankungen vorsahen. Der Gesetzentwurf hatte am Tag des Ampel-Bruchs seine erste Lesung im Bundestag – und blieb dann stecken.

ABDA auf Blockade-Kurs

In der ABDA brodelt es angesichts des zeitlichen Drucks und des Inhalts (siehe Kasten auf der Seite zuvor). Sie zögert nicht lange mit ihrer schriftlichen Stellungnahme, die ungewöhnlich knapp ausfällt. Viele der zahlreichen geplanten Neuerungen greift sie gar nicht auf. Für sie ist allein der Ansatz der „Apotheke ohne Apotheker“ Grund genug, das Vorhaben rundweg abzulehnen. Nicht einmal die Revision des Skonto-Verbots schmeckt ihr – dies sähe sie lieber schon in einem früheren Gesetzgebungsverfahren umgesetzt, im Medizinforschungsgesetz. Die ABDA ist überzeugt: Die Pläne des BMG degradierten das Arzneimittel zum Konsumgut und gingen von einer Verzichtbarkeit von Apotheke und Apotheker aus. Beabsichtigt sei offenbar ein grundlegender Systemwandel.

Erste Nachjustierungen

Die Kritik an Lauterbachs Plänen ist gewaltig. Auch andere Organisationen und Verbände, von der Apothekengewerkschaft Adexa bis zum Bundesverband PTA lehnen sie weitgehend ab. Mag es auch einzelne Vorschläge geben, denen Positives abzugewinnen ist – sie treten hinter der „Apotheke ohne Apotheker“ in den Schatten. Einige Kritikpunkte kommen beim BMG jedoch an. Es feilt nach der Verbände­anhörung nochmals am Entwurf. Das betrifft etwa die geplante Ausweitung der Impfberechtigung auf alle Totimpfstoffe, die nun praktikabler ausgestaltet ist. Zudem sollen neben erfahrenen PTA auch Pharmazieingenieure ohne Approbierte in der Apotheke die Stellung halten können. Weiterhin soll klargestellt werden, dass auch E-Rezepte für Heimbewohner*innen direkt von der Arztpraxis an die Vertragsapotheke gesendet werden dürfen. Und: Deutscher Apothekerverband und GKV-Spitzenverband sollen künftig nicht nur das Fixum, sondern auch die prozentuale Spanne aushandeln. Aus dem Entwurf heraus fallen die Vorhaben mit Bezug auf die Berufsanerkennung aus dem Ausland – man will vermeiden, dass das Gesetz im Bundesrat zustimmungspflichtig werden könnte.

FDP-Ministerin mit Leitungsvorbehalt

Nichtsdestotrotz: Während das Gesetz zur Notfallreform am 17. Juli vom Kabinett beschlossen wird, gelingt die Ressortabstimmung zur Apothekenreform nicht. Mitte August wird klar, wo es hakt: Der Koalitionspartner FDP tritt auf die Bremse. Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat „Leitungsvorbehalt“ eingelegt; ihr Parteikollege im Justizministerium Marco Buschmann hängt in einer „Rechtsförmlichkeitsprüfung“ fest. In der Folge werden zwar immer wieder neue Termine für den Kabinettsbeschluss avisiert – doch sie alle verstreichen ohne dass Lauterbach vorankommt. Die ABDA schreibt sich dies durchaus als Erfolg zu.

Notfallreform

Mit der Notfallreform sollten Rettungsdienste und Krankenhaus-Notaufnahmen entlastet werden. Im Zentrum standen Integrierte Notfallzentren (INZ), die aus der Notaufnahme eines Krankenhauses, einer Notdienstpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) im oder am Krankenhausstandort und einer zentralen Ersteinschätzungsstelle bestehen. Vorge­sehen war, dass die KV und der Krankenhausträger eines solchen INZ künftig einen Versorgungsvertrag mit einer öffentlichen Apotheke schließen müssen. Diese Apotheke sollte sodann die Praxis mit Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinprodukten („notdienstpraxisversorgende Apotheke“) versorgen. Bis so ein Vertrag geschlossen ist, sollte den Notärzten ein begrenztes Dispensierrecht zustehen. Die ABDA hatte das Vorhaben stark kritisiert und vor Doppelstrukturen gewarnt. Diese muss sie nun nicht mehr fürchten.

Es wird filetiert

Ende August finden in Erfurt und Dresden nochmals Protestkundgebungen der Apothekerschaft statt – in Thüringen und Sachsen stehen zudem Landtagswahlen an. Die Gespräche werden fortgeführt, die Apotheken sind erneut in einer Warteschleife – was wird aus der Reform? Wiederum werden diverse Kabinetttermine avisiert und verstreichen fruchtlos. Offenbar wird selbst Lauterbach das Warten zu lang. Er beginnt Teile der Reform in anderen Gesetzesvorhaben unterzubringen: Im Entwurf für das Gesetz zur Stärkung der öffentlichen Gesundheit werden die erweiterte Impfbefugnis sowie die Ausnahme vom Abspracheverbot bei der Rezeptzuweisung in der Heimversorgung per Änderungsantrag untergebracht.

Das Ampel-Aus

Am Abend des 6. November zerbricht dann die Ampel – und Lauterbachs Reformwelt liegt in Trümmern. Schnell ist klar: Das Apotheken-Reformgesetz ist vom Tisch. Selbst die vorgezogenen positiven Teilaspekte haben keine Chance mehr auf parlamentarische Mehrheiten. Nur seine Krankenhausreform bringt der Minister noch über die Ziellinie. Alles Weitere, das in dieser Legislaturperiode nicht abgeschlossen wird, ist für die nächste verloren. Eine neue Regierung muss von vorn beginnen. Das Dilemma für die Apothekerschaft: Die Apotheke ohne Apotheker ist abgewendet – doch es passiert auch sonst nichts, das zur Stabilisierung beitragen kann. Und bis eine neue Bundesregierung steht, kann Zeit ins Land gehen – erst recht bis ein neues Reformgesetz auf den Weg gebracht und verabschiedet ist, das den Apotheken wirklich hilft.


Kirsten Sucker-Sket
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Kommentar abgeben

 

Ich akzeptiere die allgemeinen Verhaltensregeln (Netiquette).

Ich möchte über Antworten auf diesen Kommentar per E-Mail benachrichtigt werden.

Sie müssen alle Felder ausfüllen und die allgemeinen Verhaltensregeln akzeptieren, um fortfahren zu können.