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Radiopharmaka-Engpass im November?
Technetium soll knapp werden – technische Probleme an Forschungsreaktor
Wegen der Energiekrise war die Atomenergie zuletzt wieder einmal in aller Munde. Seit vergangener Woche macht der Berufsverband Deutscher Nuklearmediziner e.V. allerdings darauf aufmerksam, dass Kernreaktoren nicht nur zur Energiegewinnung benötigt werden, sondern auch zur Herstellung von diagnostischen Arzneimitteln in der Nuklearmedizin. Weil zur Herstellung benötigte Forschungsreaktoren alt sind, drohen jedoch immer wieder Engpässe. Welche Therapiegebiete sind betroffen, und was versteht man eigentlich unter Radiopharmaka?
Der technische Ausfall eines belgischen Forschungsreaktors (in Mol) fällt laut dem Berufsverband Deutscher Nuklearmediziner (BDN) aktuell mit Wartungsarbeiten in anderen Kernreaktoren zusammen, sodass im November ein kurzfristiger Engpass an Radionukliden droht. Patientinnen und Patienten in Deutschland sollen sich vorübergehend auf Terminverschiebungen und längere Wartezeiten in der Nuklearmedizin einstellen, heißt es in einer Mitteilung von vergangener Woche.
Bei bis zu 80 Prozent der Untersuchungen Technetium-99 im Einsatz
Die sechs maßgeblichen Forschungsreaktoren in Tschechien, Polen, Australien, Südafrika, in den Niederlanden und Belgien sollen für die Energieversorgung keine Rolle spielen. Doch wie der BDN-Vorsitzende Professor Dr. med. Detlef Moka erklärt, sind die Reaktoren „die einzige Quelle für bestimmte Radionuklide – radioaktiv strahlende Elemente also –, die für die nuklearmedizinische Diagnostik und Therapie dringend benötigt werden“.
Nuklearmedizinerinnen und Nuklearmediziner würden bei bis zu 80 Prozent ihrer Untersuchungen das Radionuklid Technetium-99 (Tc-99m) nutzen, das als Zerfallsprodukt aus dem Radionuklid Molybdän-99 (Mo-99) gewonnen wird, heißt es. Allein in Deutschland sollen wöchentlich etwa 60.000 Untersuchungen mit Tc-99m stattfinden, weltweit über 30 Millionen Untersuchungen jährlich.
Forschungsreaktoren produzieren Radionuklid Molybdän-99
Wie aus der Mitteilung hervorgeht, produzieren die Forschungsanlagen Mo-99. Wegen ihrer Bedeutung für die Nuklearmedizin würden die Anlagen ihre Aktivitäten eng aufeinander abstimmen. „Doch die beiden wichtigsten Anlagen in Belgien und den Niederlanden sind bereits 60 Jahre alt, und die technischen Probleme häufen sich“, sagt Moka. Bereits Anfang des Jahres sei der niederländische Reaktor für mehrere Wochen ausgefallen, nun gebe es in Belgien ein technisches Problem. „Es wäre im Sinne der medizinischen Versorgung dringend notwendig, eine weitere Anlage in Betrieb zu nehmen“, meint Moka.
Zwar sollen beispielsweise der australische und der südafrikanische Reaktor jetzt verstärkt arbeiten, doch werde man im November vermutlich für mindestens eine Woche ohne Radionuklide dastehen, prognostiziert Moka.
Welche Therapiegebiete vom Engpass betroffen sind
„Bei einer Vielzahl von Krebsarten gilt eine detaillierte nuklearmedizinische Diagnostik heute als wichtige Voraussetzung für die Therapieplanung, etwa durch Ausschluss oder Nachweis von Metastasen“, sagt Moka. So werde etwa bei Brustkrebs-Patientinnen der sogenannte Wächter-Lymphknoten per Tc-99m-Szintigraphie dargestellt. Mithilfe des kurzlebigen Radionuklids könne auch die Funktion von Organen wie Schilddrüse, Lunge, Niere, Galle oder Leber untersucht werden. Besondere Bedeutung hat Tc-99m darüber hinaus in der Diagnostik der Alzheimer-Krankheit, bei Herzerkrankungen, sowie in der Schlaganfall- oder Thrombose-Diagnostik, heißt es.
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In der DAZ 28/2022 beschreibt Prof. Dr. Kurt Grillenberger (Pharmaziestudium und Promotion in Erlangen; Forschungstätigkeit in der Abteilung Nuklearmedizin des Universitätsklinikums Ulm) die Herstellung und den Einsatz von Radiopharmaka ausführlich in einem Artikel. Demnach ist zu unterscheiden, ob die emittierte Strahlung bei kurzen Reichweiten einen therapeutischen Effekt haben soll, oder bei größeren Reichweiten zu diagnostischen Zwecken dienen soll. Technetium-99m ist demnach neben Iod-123 oder Indium-111 der konventionellen Diagnostik zuzuordnen.
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Doch ob diagnostischer oder therapeutischer Einsatz – immer müsse man die Begriffe „Radionuklid“ und „Radiopharmakon“ voneinander trennen. Während man unter Radionuklid das zerfallende Element verstehe, umfasse das Radiopharmakon sowohl das Radionuklid als auch den Komplex, woran das Radionuklid gebunden ist – gemeinsam bilden sie also das radioaktive Arzneimittel.
Als am wenigsten aufwendige Gewinnung des Radionuklids, die auch in niedergelassenen nuklearmedizinischen Praxen möglich sei, beschreibt Grillenberger die Elution des Radionuklids von einem sogenannten Radionuklid-Generator.
Das bekannteste Beispiel hierfür ist der Technetium-99m-Generator. Ganz allgemein ist bei diesen Generatoren das langlebige Mutternuklid (hier Molybdän 99Mo) als ionische Verbindung (hier als Molybdat 99MoO42-) auf einer Ionenaustauscher-Säule gebunden. Das gebundene Mutternuklid zerfällt mit einer gewissen Halbwertszeit (hier 66 Stunden) in das nuklearmedizinisch verwendete Tochternuklid (hier 99mTc), das in gewissen Zeitabständen ebenfalls in ionischer Form (hier als Pertechnetat 99mTcO4-) mit physiologischer Kochsalzlösung eluiert werden kann.“
Bei metallischen Radionukliden wie z. B. Tc-99m, Re-188 oder Ga-68 finde auf dem Weg zum Radiopharmakon „in der Regel eine koordinative Bindung an komplexbildende Liganden statt“. Die Synthese sei vergleichsweise einfach, und könne häufig mittels kommerziell erhältlicher Markierungs-Kits in herkömmlichen nuklearmedizinischen Einrichtungen von medizinischem Personal (z. B. medizinisch-technischen Radiologieassistenten, MTRA) durchgeführt werden, schildert Grillenberger in der DAZ 28/2022.
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Übrigens besteht nicht zum ersten Mal eine Versorgungslücke bei Technetium. Dr. Uwe Schulte machte bereits 2009 in der DAZ darauf aufmerksam, dass der Zwang zur permanenten Neuproduktion des Radionuklids ein Problem sei, auch weil die Reaktoren, die das Mutternuklid Mo-99 in marktrelevanten Mengen erzeugen, sich an einer Hand aufzählen ließen. Schon damals hieß es, dass alle wichtigen Anlagen alt seien und sich die technischen Probleme häuften.
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