- DAZ.online
- News
- Debatte & Meinung
- Mein liebes Tagebuch
Auf geht’s ins neue Jahr! Die muntere Aufbruchstimmung am Jahresanfang kann einem allerdings rasch im Hals stecken bleiben. Denn das Problempaket aus dem alten Jahr ist nicht weg, es drückt gewaltig. Allem voran die Lieferengpässe, für die es noch nicht wirklich eine rasche Lösung gibt. Dann setzen uns das Bürokratiemonster, der Personalmangel und das Apothekensterben zu. Ganz zu schweigen von der fehlenden Honoraranpassung. Und dann gibt’s auch noch die Alltagsprobleme wie die hochpreisigen Arzneimittel, deren Beschaffung immer umständlicher wird und schon in einer kostenintensiven Parallelwelt abläuft. Und zu alledem: Die Wertschätzung unseres Berufs nimmt ab. Woher nehmen wir noch die Freude am Apothekerberuf, am Apothekerdasein?
2. Januar 2023
Es wird mehr und mehr zum Ärgernis: Die Arzneimittelhersteller liefern ihre hochpreisigen Produkte nicht mehr über den pharmazeutischen Großhandel, sondern nur noch direkt. Hersteller, die sich extra-smart fühlen, haben fürs Direktgeschäft sogar eine eigene Großhandelserlaubnis erworben oder arbeiten exklusiv mit Vertriebspartnern zusammen. Dann gibt’s noch ganz schlaue Großhändler, die für Hochpreiser-Lieferungen gleich eine eigene Company gegründet haben, um sich der Pharmaindustrie als „Spezialist für den Vertrieb hochpreisiger Pharmazie-Erzeugnisse“ anzudienen. Mein liebes Tagebuch, da ist so nach und nach ein Parallelhandel neben dem vollsortierten pharmazeutischen Großhandel entstanden, zum Teil mit Unterstützung durch ebendiesen. Wo genau die Preisgrenze verläuft, ab der die Hersteller diese Parallelstruktur bevorzugen, etwa ab 1200 Euro, ab 3000 Euro oder darüber – da hat wohl jeder Hersteller seine eigene Strategie. Denn letztlich geht’s in erster Linie nicht darum, dass die teuren Preziosen-Arzneimittel in Watte gepackt und mit Samthandschuhen ausgeliefert werden. Nein, es geht natürlich schlicht ums Geld. Kosten sparen durch Direktvertrieb. Bezahlen müssen es die Apotheken mit Arbeitszeit und satten Handlingskosten, die selbstverständlich in Rechnung gestellt – Virion lässt schön grüßen! Das Nachsehen haben – ganz klar, mein liebes Tagebuch – die Apotheken, die einen immensen Aufwand leisten müssen von der Bestellung übers Handling bis hin zur Fakturierung und zu den Kosten – und die schwerkranken Patienten, die nicht am selben Tag beliefert werden können, sondern erst nach ein, zwei Tagen, oder noch längere Wartezeiten in Kauf nehmen müssen. Da wundert es nicht, wenn manchmal selbst der pharmazeutische Großhandel und Apotheken mit Hochpreisern am liebsten nichts mehr zu tun hätten. Wenn so eine kleine Arzneipackung versehentlich hinters Regal fällt oder beim Transport gequetscht wird – das kann teuer werden, ganz zu schweigen von der Gefahr auf Null retaxiert zu werden, wenn z. B. der Arzt eine Rezeptformalie nicht erfüllt hat und sie übersehen wurde. In meinem Podcast-Gespräch zum Thema Hochpreiser sagt Apotheker Dr. Christian Fehske von der Rathaus-Apotheke in Hagen: „Da läuft etwas gewaltig in die falsche Richtung!“ Fehske macht dazu noch darauf aufmerksam, dass diese zeitverzögerten Belieferungen im Direktgeschäft durchaus Arzneimittelrisiken darstellen können, die bei der Arzneimittelkommission meldepflichtig sein können. Mein liebes Tagebuch, ein sehr interessanter Hinweis, den Apotheken im Auge behalten müssen. Dazu passt der Brief, den Apotheker Gerd Reitler, Barbara-Apotheke in Eschweiler, an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach schrieb. Reitler schildert ihm den Fall einer verzögerten Zustellung des Arzneimittels Lynparza im Direktgeschäft mit Virion: Ware bestellt am 2.9., Ware in der Apotheke eingetroffen am 7. 9.! In seinem Schreiben an Lauterbach kommentiert Reitler: „Ob es sich um Körperverletzung (Profit vor Patientenwohl?) aus niederen Motiven handelt, kann ich nicht beurteilen.“ Mein liebes Tagebuch, es wird Zeit, dass das Thema Direktbezug öffentlich diskutiert wird.
3. Januar 2023
Das kleine Honorar für unsere pharmazeutischen Dienstleistungen, die wir Apothekers seit Mitte vergangenen Jahres unseren Patientinnen und Patienten anbieten können, stieß bei einigen Ärztefunktionären auf deutliches Missfallen, so z. B. beim lieben hessischen Hausärzteverband, der spatzengleich aufgeregt dagegen wetterte. Und die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Hessen ging sogar mit einer Klage und einem Eilantrag gegen den Schiedsspruch vor, mit dem letztlich diese Honorare festgesetzt wurden. Die Klage gegen den Schiedsspruch hatte allerdings keine aufschiebende Wirkung, die pharmazeutischen Dienstleistungen dürfen also trotz des laufenden Rechtsstreits angeboten und durchgeführt werden. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat zum Ende des vergangenen Jahres seine Entscheidung im Eilverfahren getroffen: Die KV Hessen konnte sich nicht durchsetzen, das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg wies den Antrag gleich aus mehreren Gründen zurück. Mein liebes Tagebuch, die KV Hessen kann natürlich in die nächste Instanz gehen und Beschwerde bim Bundessozialgericht gegen den Beschluss des Landessozialgerichts einlegen. Außerdem stehen noch weitere Entscheidungen zum Thema honorierte pharmazeutische Dienstleistungen aus: So hat auch der GKV-Spitzenverband eine Klage laufen gegen die Vergütungen für die Dienstleistungen und gegen die Dienstleistung „Standardisierte Risikoerfassung hoher Blutdruck“. Mein liebes Tagebuch, mit diesen Meilensteinen und Quantensprüngen, wie die pharmazeutische Dienstleistung gerne liebevoll von unserer Standespolitik herausgestellt werden, werden wir Apothekers uns wohl noch öfters vor Gericht rechtfertigen werden müssen.
4. Januar 2023
Die zunehmende Zahl von Lieferengpässen setzt ihm zu: Apotheker Daniel Miller, Inhaber der Adler Apotheke in Kirchheim/Teck, Landkreis Esslingen, hat daher einen Brandbrief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach geschrieben, in dem er auf die katastrophale Situation in Deutschland aufmerksam macht. Über 400 Arzneimittel, die er normalerweise an Lager habe, seien derzeit nicht mehr vom Hersteller zu bekommen, und das alternativlos. Der SWR ist auf Miller aufmerksam geworden und hat ihn dazu interviewt. Miller macht im Interview auch auf die prekäre Situation im Gesundheitswesen aufmerksam: ungesicherte Arzneimittelversorgung, permanent sinkende Apothekenzahlen, Ärztemangel, das Aussterben von Praxen und Fachkräftemangel in den Kliniken. Außerdem beklagt er, dass Arzneimittel immer weniger wertgeschätzt werden: „Es braucht mehr Bewusstsein, dass Medikamente ein wertvolles Gut sind“. Vom Ministerbüro hat Miller übrigens bisher nur eine recht unpersönliche Eingangsbestätigung seines Briefes erhalten, mit dem Inhalt des Schreibens wolle man sich später auseinandersetzen. So geht man dort mit ernsten Sorgen um.
Auch Apotheker Erik Tenberken, Birken-Apotheke Köln, ging an die Öffentlichkeit und macht auf die Probleme der Lieferengpässe aufmerksam: Er spricht mit RTL News, die gleich in mehreren Beiträgen über das Lieferengpass-Desaster Probleme berichten: "Apotheker in der Arzneimittel-Krise: 'Wir arbeiten hier am Limit.'" Tenberken dazu: "Wir Apotheker sagen seit über zehn Jahren, dass das irgendwann schiefgeht" und "Wenn uns die ABDA nicht vertreten will/kann, müssen wir eben selber den nötigen Druck aufbauen. Glücklicherweise machen das ja schon viele Kolleginnen und Kollegen."
Die Bürokratie – das Ärgernis unseres Jahrhunderts! Die Bürokratie beschäftigt nicht nur uns Apothekers, sondern lässt auch die Arztpraxen ächzen. Dazu noch der Fachkräftemangel in Apotheken und Arztpraxen – das macht richtig Probleme. Der Ärzteverband Virchowbund, der die „niederlassungswilligen, niedergelassenen und ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte aller Fachgebiete“ vertritt, hat dazu eine Idee geäußert, wie man auf Bürokratie und Fachkräftemangel reagieren kann: Er ruft die Arztpraxen auf, ihren Betrieb auf eine Vier-Tage-Woche umzustellen konkret: Mittwochs ist die Praxis zu, am Mittwoch gehört der Arzt, die Ärztin der Bürokratie und der Fortbildung. Und da sich die Krankheiten der Patienten nach wie vor nicht an solche Regelungen halten, soll mittwochs doch gerne der ärztliche Bereitschaftsdienst einspringen. Mein liebes Tagebuch, immer wieder herrlich, wie rasch Ärzte doch auf zu viel Bürokratie und auf fehlendes Honorar (z. B. Abschaffung der Neupatientenregelung) reagieren. Die klare Ansage dazu von Dirk Heinrich, dem Bundesvorsitzenden des Virchowbundes, geht so: „Leistungen, die nicht bezahlt werden, können auch nicht erbracht werden. Deshalb müssen wir unsere Leistungen einschränken.“ Mein liebes Tagebuch, da gucken wir als Apothekers doch immer wieder mit versteckter Bewunderung zur Ärzteschaft, die es schafft, ihre Forderungen deutlich und präzise zu formulieren. Seufz. Aber wäre eine Vier- oder zumindest Fünf-Tage-Woche für Apotheken überhaupt machbar und ein Thema? Wie wärs zum Beispiel für den Anfang damit: Alle Apotheken schließen am Mittwochnachmittag? (Gibt es bereits vereinzelt im Land.) Für Notfälle gibt’s die Notdienst-Apotheken. Oder Apotheken sind mittwochs und samstags geschlossen? Mein liebes Tagebuch, kann man diskutieren – allerdings gibt es da das Problem der fehlenden Geschlossenheit, des Zusammenhalts in unseren Reihen, frei nach dem Motto: Der größte Feind des Apothekers ist…
5. Januar 2023
Die Überlegung des Virchowbunds, eine Vier-Tage-Woche für Arztpraxen einzuführen, stößt bei Thomas Preis, Chef des Apothekerverbands Nordrhein, dagegen auf wenig Zuspruch. Er macht sich Sorgen um die Versorgung der Patientinnen und Patienten, sagt er. Schon jetzt seien viele Praxen schwer erreichbar und der ärztliche Bereitschaftsdienst sei da auch keine Alternative. Preis sieht in der Forderung des Virchowbunds allerdings eine Chance für Apotheken: Wenn die Ärzte so überlastet sind, könnte man doch darüber nachdenken, den Apothekers mehr Kompetenzen einzuräumen, z. B. die eigenständige Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, die die Patienten als Dauermedikation bekommen. Bingo, mein liebes Tagebuch, guter Vorschlag, bin schon auf die Reaktion der Ärztefunktionäre gespannt. Denn schon heute besteht bekanntlich die Möglichkeit für die Ärzteschaft, chronisch kranken Patienten ein Dauerrezept auszustellen – der Renner ist das bisher allerdings nicht geworden. Aber vielleicht sollte Preis seine Forderung auch gleich damit verbinden, dass die Leistung der Apothekerinnen und Apotheker mit einem kleinen Zusatzhonorar verbunden sein muss, z. B. für die aufwendige Dokumentation der abgegebenen verschreibungspflichtigen Arzneimittel.
Nur eine Momentaufnahme, aber dennoch zeigt sie den Trend: Soeben veröffentlichte Zahlen aus den Kammerbezirken Westfalen-Lippe und Saarland zeigen deutlich, dass das Apothekensterben weiter geht. Dort gab es Ende vergangenen Jahres 37 beziehungsweise neun Apotheken weniger als noch ein Jahr zuvor. In Westfalen-Lippe ist im 18. Jahr in Folge die Zahl der Apotheken gesunken. Außerdem zeigt sich ein Trend zu immer größeren Apotheken, immer mehr Apotheken (mehr als jede vierte!) werden als Filialen geführt. Und es gibt immer mehr offene Stellen für Apothekerinnen, Apotheker, PTA und PKA in den Apotheken. Der Hauptgeschäftsführer der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, Andreas Walter, erklärt zur Lage: „Die aktuellen gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen muss jede Apothekerin und jeder Apotheker, der oder die darüber nachdenkt, sich selbstständig zu machen, als absolute Zumutung empfinden.“ Mein liebes Tagebuch, dem ist nichts hinzuzufügen. Wir sind gespannt auf die aktuellen Zahlen und Daten zur Zahl der Betriebsstätten bundesweit, die die ABDA in Kürze veröffentlichen wird.
6. Januar 2023
Allein die Nachrichten in der vergleichsweise noch ruhigen ersten Woche des neuen Jahres stimmen wenig hoffnungsfroh für die kommenden zwölf Monate: Wir nehmen den gesamten Frust, den Ärger über alle Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten in unserer Apothekenwelt mit ins neue Jahr, die Lieferengpässe, den Personalmangel, fehlende Honoraranpassungen, die überbordende Bürokratie, Nullretax und Präqualifizierung bis hin zu einer wenig schlagkräftigen Standesvertretung und einer abnehmenden Wertschätzung der apothekerlichen Arbeit in der Politik. Der Frust an der Basis ist groß. Auch bei Apotheker Gunther Böttrich, Burg Apotheke Volkmarsen, hat sich in den vergangenen Jahren viel angestaut. Mit einem offenen Brief an die ABDA will er ein Zeichen setzen und fordert zum Handeln auf. Er fragt, ob wir Apothekers die Deppen der Nation sind. Sein Frust gipfelt in der Überschrift seines Briefs: „Ich schäme mich, Apotheker zu sein“. Ich habe mich mit Böttrich im Podcast-Gespräch unterhalten und gefragt, was ihn dazu bewogen hat, diesen Brief zu schreiben, warum er sich schämt und was er sich von einem Dialog mit der ABDA erwartet. Und er ruft Kolleginnen und Kollegen dazu auf: „Raus an die Öffentlichkeit!“ Man sollte sich z. B. viel häufiger an die Standesvertretung und an die Gesundheitspolitik wenden.
2 Kommentare
Furchtbare Zustände
von Linda F. am 08.01.2023 um 10:37 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Prinzipiell
von Ulrich Ströh am 08.01.2023 um 8:47 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.