Cannabis als Fertigarzneimittel

Wann gibt es die Blüte als Fertigarzneimittel, Herr Rossoni?

Berlin - 08.02.2023, 07:00 Uhr

Alessandro Rossoni, Gründer und Geschäftsführer von Nimbus Health. (Foto: nikita kulikov I photography)

Alessandro Rossoni, Gründer und Geschäftsführer von Nimbus Health. (Foto: nikita kulikov I photography)


Seit 2017 können Cannabisrezepturen, die nicht als Fertigarzneimittel zugelassen sind, auf Kassenkosten verordnet werden. Nach fünf Jahren zog das BfArM ein Zwischenfazit: Eine langfristige Lösung können nur Fertigarzneimittel bieten. Doch warum wurden seit 2017 keine neuen Cannabis-Arzneimittel zugelassen? Alessandro Rossoni, Gründer und Geschäftsführer des deutschen Cannabis-Großhändlers Nimbus Health, erklärt im Gespräch mit der DAZ, woran es lag – und wo es Hoffnung auf Fertigarzneimittel gibt.

DAZ: 2022 schreibt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Abschlussbericht seiner Begleiterhebung zu Cannabisarzneimitteln: Das Cannabis-als-Medizin-Gesetz sollte Anreize für die Erforschung von Cannabisarzneimitteln bieten, um mittelfristig die arzneimittelrechtliche Zulassung von Fertigarzneimitteln zu erreichen. Warum wurde trotzdem seit 2017 kein weiteres Fertigarzneimittel auf Cannabisbasis zugelassen?

Alessandro Rossoni: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) musste eine Zwischenlösung der Versorgung anstreben, damit Unternehmen weitere Fertigarzneimittel entwickeln können. Der angedachte Zeitraum war dabei etwas sehr ambitioniert.

Warum?

Zwar boomten 2017 die Aktienkurse der Cannabisunternehmen an der Börse und es war viel Geld da. Doch die Cannabisindustrie stellte vielleicht mehr in Aussicht, als im Nachhinein als realistisch anzusehen ist. 2020 brachen die Kurse der Cannabisindustrie zusammen. Nun fehlte das Funding für die kostspielige Entwicklung und Zulassung, das war der erste Grund.

Welche weiteren Gründe gab es?

Für die von Investoren getriebenen Cannabisunternehmen geriet die Hoffnung auf eine Legalisierung in den Fokus – und auf das damit verbundene „einfachere Geld“ von Endverbrauchermärkten. Der dritte Grund: Cannabis als Naturprodukt enthält viele Inhaltsstoffe. Aus dem Rohstoff Cannabisblüte oder -Extrakt ein Fertigarzneimittel zu entwickeln, ist komplex und vielleicht nicht der richtige Ansatz.

Wie realistisch schätzen Sie es ein, dass Cannabisblüten als Fertigarzneimittel zugelassen werden könnten?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine bestimmte Cannabis-Blütensorte den Status des Fertigarzneimittels erreichen wird. Wenn, dann eher als Komponente in Verbindung mit medizinischen Gerätschaften, welche eine standardisierte, replizierbare und kontrollierbare Inhalation der Cannabisblüten ermöglichen. Wenn überhaupt, dann schätze ich die Zulassung von Cannabis-Extrakten als Fertigarzneimittel als realistischer ein als die Zulassung von Blüten.

Was macht es so schwierig?

Hersteller müssten von allen Komponenten der Blüte ein Profil erstellen, um nachzuweisen, dass das Tetrahydrocannabinol (THC) der aktive Wirkstoff in Kombination mit den vielen anderen Inhaltsstoffen ist. Dabei stellt sich die Frage, welche der vielen Komponenten Wirkungen oder Nebenwirkungen begünstigen. Daher haben wir bei den derzeitig zugelassenen Arzneimitteln in der Regel THC und oder Cannabidiol (CBD) in Reinform. Grundsätzlich sollte das Ziel aber nicht sein, ein Naturprodukt mit breitem Wirkspektrum zu ersetzen. Ein Fertigarzneimittel soll einen klinisch nachgewiesenen, indikationsspezifischen und pharmakoökonomischen Mehrwert bringen. Man stelle sich die klassischen Kapseln, Tabletten, Sprays etc. vor. Das wird bei Fertigarzneimittel auf Cannabinoid-Basis auf lange Sicht nicht anders sein.

Sie bei Nimbus Health sind Cannabis-Großhändler, Importeur und Logistiker. 2022 wurden Sie vom Pharma-Unternehmen Dr. Reddy’s Laboratories gekauft. Was planen Sie konkret?

Bis zum Fertigarzneimittel ist es ein weiter Weg. Wir arbeiten seit fast einem Jahr mit unserem Mutterkonzern Dr. Reddy's Laboratories zusammen. Dadurch können wir schnell und standardisiert neue Projekte evaluieren, beschleunigen und finanzieren. Gemeinsam mit Dr. Reddy's streben wir die Entwicklung von Medikamenten in Bereiche an, die bisher nur unzureichend mit herkömmlichen Darreichungsformen behandelt werden können.

Bei welchen Indikationen sehen Sie am meisten Potenzial?

Es gibt eine Vielzahl von Indikationen, bei denen Cannabinoide helfen, aber die Krankenkassen nicht die Kosten übernehmen. Gerade Patienten mit seltenen Erkrankungen und wenig Therapieoptionen können von Cannabinoiden profitieren. International werden Cannabinoide viel häufiger bei neurologischen und psychiatrischen Indikationen eingesetzt als in Deutschland, etwa bei posttraumatischen Belastungsstörungen. Dies liegt aus meiner Sicht in erster Linie an der restriktiven Kostenerstattung. Hier sehen wir großes Potenzial in der Fertigarzneimittelentwicklung.

Um Fertigarzneimittel zuzulassen, müssen klinische Studien durchgeführt werden. Beteiligen Sie sich auch hier?

Nicht nur im Bereich der Zulassung ist das Thema Evidenz in der Cannabinoid-Therapie ein zentrales Anliegen. Mit unserer Partnerschaft mit Dr. Reddy's haben wir uns nun so aufgestellt, dass wir sowohl allein als auch in Kooperation mit anderen Firmen die klinische Entwicklung von Produkten vorantreiben können.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Apotheker Marius Penzel
redaktion@daz.online


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