Die letzte woche

Mein liebes Tagebuch

16.04.2023, 07:30 Uhr

Lauterbachs Welt: Lieferengpässe können warten, Hauptsache Cannabis-Clubs. (Foto: Alex Schelbert) 

Lauterbachs Welt: Lieferengpässe können warten, Hauptsache Cannabis-Clubs. (Foto: Alex Schelbert) 


Auf die Politik ist kein Verlass mehr: Die Verlängerung der erleichterten Austauschregelungen ist  nicht rechtzeitig in Kraft getreten, warum auch immer. War’s Schlamperei? War’s Gleichgültigkeit? Wir wissen es nicht. Wenn die Apotheken nun weiterhin Engpass-Arzneimittel austauschen, dann sind sie vom Goodwill der Kassen abhängig. Kann das gut gehen? Ist auf das Wort der Kassen Verlass? Kann gut gehen, kann aber auch Retax bedeuten. Lauterbach kümmert sich lieber um seine Cannabis Clubs als um Lieferengpässe. Den Apotheken bringt er weiterhin Abneigung entgegen: Die 50 Cent für den Austausch von Lieferengpässen sieht die Freie Apothekerschaft als „eine Kriegserklärung“. Umgerechnet auf einen Stundenlohn sind die 50 Cent-Vergütung weit entfernt vom Mindestlohn.  

11. April 2023

Schöne Bescherung zu Ostern: Die Bundesregierung schaffte es nicht, das UPD-Gesetz rechtzeitig im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen, das Gesetz trat nicht in Kraft. Und damit gab es für die Apotheken keinen nahtlosen Übergang für die erleichterten Austauschregelungen und die heute so notwendige „Beinfreiheit“ für die Apotheke, wenn Arzneimittel nicht lieferbar sind und gegen gleichwertige ausgetauscht werden müssen, um die Versorgung der Patientinnen und Patienten aufrecht zu erhalten. Da die SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung nur bis Karfreitag galt, sollte ab Ostersamstag das UPD-Gesetz, mit dem die Austauschregeln temporär verlängert werden, in Kraft treten. Aber Fehlanzeige, warum auch immer war es unserer Regierung nicht möglich, das Gesetz am Gründonnerstag rechtzeitig zu veröffentlichen. Und nun, mein liebes Tagebuch? Die Apotheken hängen in der Luft. Wenn sie dennoch austauschen, um die Arzneimittelversorgung aufrecht zu erhalten, könnten die Krankenkassen – rein theoretisch – retaxieren. Nun war allerdings vom BMG zu vernehmen, dass man „auf die für die Umsetzung der Regelungen zuständigen Stellen zugehen und für eine Lösung im Sinne des vom Gesetzgeber beabsichtigten Regelungsziels eintreten“ werde. Mit der ABDA stehe man bereits im Austausch.

Und von den Krankenkassen (z. B. der DAK, Techniker und der Barmer) war zu hören, dass man bis auf Weiteres, also bis zur Veröffentlichung des Gesetzes im Lauf des Aprils, keine Retaxierungen vornehme, wenn die erleichterten Austauschregelungen angewendet werden.

Gegen Ende der Woche schrieb dann ganz offiziell das Bundesgesundheitsministerium den GKV-Spitzenverband an: Er möge doch darauf hinwirken, dass die Kassen bis zur Veröffentlichung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt nicht retaxieren. Na, mein liebes Tagebuch, können wir uns darauf verlassen?

 

12. April 2023

Eine wirkliche Besserung der Lieferengpass-Situation ist noch lange nicht in Sicht: Das Fehlen von Kinderarzneimitteln, insbesondere von Antibiotika-Säften, zeigte sich an den Ostertagen deutlich. Und unser lieber Herr Bundesgesundheitsminister Lauterbach posaunt in die  Öffentlichkeit, die Situation habe sich entspannt. Von wegen! Apothekerin Ingrid Schierle, Storchen-Apotheke in Gerzen, hatte genug von den säuselnden Worten des Ministers und schrieb ihm einen Brief, in dem sie auf die Situation vor allem auf dem Lande aufmerksam macht. „Kommen Sie raus aus Ihrem Elfenbeinturm und zurück auf den Boden der Realität…“, so ihr Appell an Lauterbach. Und sie sagte ihm auch ganz konkret, was sie von ihm erwartet: Die Apotheken brauchen eine Honorarerhöhung und eine angemessene Aufwandsentschädigung für die Mehrarbeit. Außerdem brauchen die Apotheken die Beinfreiheit, um die Engpässe zu managen – ohne Angst vor Retaxationen. Richtig, mein liebes Tagebuch. Apothekerin Schierle machte Lauterbach auch einen Vorschlag, wie er das Geld im Gesundheitswesen besser einsetzen könnte: „Vergeuden Sie die vorhandenen Mittel nicht dafür, Parallelstrukturen in Form von Gesundheitskiosken aufzubauen, sondern stärken Sie damit die bestehenden und zuverlässig arbeitenden Strukturen vor Ort“, schrieb sie dem Minister ins Logbuch, und fügte hinzu, er solle das ernst nehmen, denn „lange können wir Apotheken dieses Flickwerk nicht mehr am Laufen halten!“. Mein liebes Tagebuch, der Brief dieser Apothekerin bringt die Misere auf den Punkt. Briefe mit diesem Inhalt müssten zu Tausenden im BMG eintreffen.

 

Die Lieferengpässe versucht er mit einem butterweichem Gesetz anzugehen, den immensen Mehraufwand der Apotheken will er mit einer abschätzig geringen Almosen-Vergütung abtun – unserem Bundesgesundheitsminister fällt nicht viel ein, die drängenden und ernsten Probleme im Gesundheitswesen zu lösen. Aber Halt, mein liebes Tagebuch, so einfallslos, wie es scheint, ist er doch wirklich nicht: Wenn es um seine geliebte Legalisierung des Cannabis-Konsums zu Genusszwecken geht, dann dreht er richtig auf. Und setzt echt Energien frei. Sein erstes Eckpunktepapier stieß bei der EU-Kommission bekanntlich auf wenig Anklang, die  Legalisierungspläne à la Lauterbach standen nicht mit europäischem und internationalem Recht in Einklang. Das wollte er nicht auf sich sitzen lassen, das forderte ihn heraus: Es muss doch um alles in der Welt möglich sein, dem deutschen Volk den Cannabis-Genuss (der Ampel sei Dank) zu ermöglichen. Also, neuer Anlauf, er zaubert einen neuen Gesetzentwurf aus dem Hut: Der private  Anbau der Hanfpflanzen und der Anbau in „Cannabis Clubs“ ohne Gewinnorientierung soll bundesweit möglich sein. Bis zu 500 (erwachsene) Mitglieder sollen die privaten Clubs haben können. Hier kann dann gemeinsam gegärtnert werden, die Cannabis-Pflänzchen gemeinschaftlich angebaut und an die Mitglieder zum Eigenkonsum abgegeben werden. Aber Achtung, max. 25 g Cannabis pro Tag und max. 50 g pro Monat. Mein liebes Tagebuch, ist doch richtig putzig, was sich ein Gesundheitsminister so alles ausdenkt! Wir sehen schon die Cannabis-Gärtner-Clubs und -Schrebergärten vor uns, natürlich alle beim Erntedankfest ganz brav mit der Waage in der Hand, um die 25 bzw. 50 Gramm nicht zu überschreiten. Ach ja, die Mitglieder dieser Clubs sollen auch bis zu sieben Samen oder fünf Stecklinge monatlich erhalten können – hoffentlich verzählt sich da keiner. Dumm nur, dass es in den Clubs beim gemeinsamen Anbau bleiben soll, dem gemeinsamen Konsum in diesen Clubs – wäre das nicht das erstrebenswerte Ziel? – steht Lauterbach skeptisch gegenüber. Wir werden sehen, wie es weitergeht: Lauterbach jedenfalls hat es mit diesen Plänen eilig. Noch im April soll ein erster Gesetzentwurf, den weder Bundesrat noch EU absegnen müssen, vorgelegt werden. Und erst in einem zweiten Schritt will sich die Ampel dann in regionalen Modellprojekten an kommerzielle Lieferketten wagen. Hier soll dann Unternehmen die Produktion, der Vertrieb und die Abgabe in Fachgeschäften von Genuss-Cannabis an Erwachsene in einem lizenzierten und staatlich kontrollierten Rahmen ermöglicht werden. Diese Modellprojekte werden erprobt und wissenschaftlich evaluiert und die Auswirkungen auf den Schwarzmarkt beobachtet. Möglicher könnten dann auch die Apotheken bei diesen Modellprojekten eingebunden werden, ließ Lauterbach durchblicken. Mein liebes Tagebuch, in welcher Welt leben wir eigentlich? Thomas Preis, Chef des Apothekerverbands Nordrhein kommentierte die Lauterbachschen Cannabis-Anstrengungen treffend: „Es ist schon absurd, dass wir gegen massive Lieferprobleme bei Medikamenten für Kinder, Blutdruck-Patienten, Krebskranken und Diabetikern kämpfen müssen und jetzt viel politische Energie verwenden, um Drogen salonfähig zu machen…, wir schaffen uns zusätzliche Probleme, insbesondere bei jungen Menschen.“

 

13. April 2023

Deutliche Worte von Apothekerin Daniela Hänel, Vorsitzende der Freien Apothekerschaft, zum Lauterbachschen Kabinettsentwurf für das Lieferengpass-Gesetz: Das ist eine „Kriegserklärung des Ministers“. Angesichts dieser Gesetzespläne müssten die Apotheken „geradezu Geld mitbringen, um die Patienten zu versorgen“, so Hänel. Sie kritisiert vor allem auch die vorgesehene Aufwandsentschädigung von 50 Cent für den Austausch von Medikamenten bei Lieferengpässen. Diese Entschädigung stehe „in absolut keinem Verhältnis“ zum entstandenen Mehraufwand und liege „je nach Fall bei einem Stundenlohn von 1 bis 2 Euro“. Mein liebes Tagebuch, vielleicht erkundigt sich Lauterbach mal bei seinem Kollegen Hubertus Heil, dem Arbeitsminister, um den neuesten Stand beim Mindestlohn zu erfahren. Apothekerin Hänel fügt noch hinzu: „Mit den Apotheken so umzugehen, dazu bedarf es schon einer ziemlichen Abneigung gegen uns und unsere Mitarbeiter*innen.“ Mein liebes Tagebuch, die Vermutung, dass Lauterbach die Apothekers nicht besonders schätzt, steht schon lange im Raum. Und jetzt noch das „würdelose Gesetz“, wie es Hänel nennt: Wer so ein Gesetz auf den Weg bringe, habe  „anscheinend keinen Anstand und auch keinen Respekt gegenüber der Leistung der Apothekerinnen und Apotheker“. Und ja, eigentlich müsse man sich nicht wundern über solche Pläne und Gesetze , da den Apotheken bereits seit 20 Jahren „ohne Gegenwehr der Berufsvertretung ABDA eine höhere und angemessene Vergütung, angepasst an die Inflationsrate oder an die allgemeine Einkommensentwicklung, vorenthalten“ werde. 

 

14. April 2023

Er legt nochmal nach: Berend Groeneveld, Chef des Landesapothekerverbands Niedersachsen, sieht die Apotheken in einer unsicheren Rechtssituation, weil das UPD-Gesetz nicht rechtzeitig in Kraft getreten ist und die Apotheken somit keine Sicherheit haben, die Arzneimittel von den Kassen erstattet zu bekommen, wenn Sie Lieferengpass-Arzneimittel austauschen. Eigentlich habe die Bundesregierung den Apothekerinnen und Apotheken eine nahtlose Verlängerung der erleichterten Austauschregelungen bis zum 31. Juli zugesichert, aber nicht Wort gehalten, ärgert sich Groeneveld: Es sei „unfassbar“ und „macht uns wütend“. Mein liebes Tagebuch, er hat vollkommen recht, diese Unzuverlässigkeit der Politik kann man nicht oft genug tadeln. Immerhin, das Bundesgesundheitsministerium hat den GKV-Spitzenverband angeschrieben, die Kassen mögen doch bitte nicht retaxieren. Ob die Bitte bei allen erhört wird? Einige Kassen haben bereits ihr Plazet zum erleichterten Austausch gegeben. Und ja, sollte sich eine Kasse wirklich stur stellen (wovon wir nicht ausgehen), dann wäre eine sofortige Protestaktion in der Öffentlichkeit notwendig.


Peter Ditzel (diz), Apotheker / Herausgeber DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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4 Kommentare

Das BMG bittet um Restaxverzicht

von Dr. House am 17.04.2023 um 9:25 Uhr

Achso, also hätte man bei den Urteilen der Sozialgerichte gegen die Apotheken auch einfach bitten können? Hätte uns das mal jemand gesagt... Es ging den Kassen nie um Augenmaß bei der Versorgung, sondern immer um die knallharte Auslegung der Verträge zulasten der Leistungserbringer. Warum sollte sich das jetzt ändern, ausgerechnet nach den scharfzüngigen Worten der AOK?

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…tausende Briefe

von Conny am 16.04.2023 um 9:16 Uhr

Da ist sie wieder die ganze Naivität der vergangenen Jahre. Und da ich ja Conny bin, schreibe ich ganz schlimm: die Briefe liest keine Sau.

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von Anita Peter am 16.04.2023 um 8:43 Uhr

Wir brauchen ein business reengineering. Einen big reset. Alles zurück auf 0. Aussteig aus allen Verträgen zum 31.12.2023. Alles muss neu verhandelt werden.
Ansonsten ab 01.01.2024 Umstellung auf Selbstzahler und Einstellung NN.

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Briefe ans BMG

von Ulrich Ströh am 16.04.2023 um 8:18 Uhr

Guten Morgen Herr Ditzel,

glauben sie wirklich,dass Tausende von möglichen Briefen aus Apotheken ans BMG
Durchschlagskraft aufweisen würden?

Und unsere Honorarmisere beenden können?

Nein… es würde sie keiner mehr lesen.

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